Anschläge auf Flüchtlinge:Die Würde des Menschen ist auch an der Grenze unantastbar

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Flüchtlinge, die auf dem Bahnhof von Freilassing an der deutsch-österreichischen Grenze von der Polizei kontrolliert werden. (Foto: AP)

Grenzkontrollen gelten derzeit als Allheilmittel und die Rechtsradikalen fühlen sich zur Notwehr gegen Flüchtlinge berufen. Aber wer Schutz suchen muss, ist kein Verbrecher - auch die CSU muss das vermitteln.

Kommentar von Heribert Prantl

Die schleichende Radikalisierung ist nicht mehr schleichend; sie macht Sprünge: Die Zahl der Anschläge auf Flüchtlinge hat sich 2015 im Vergleich zum Vorjahr vervierfacht, in Nordrhein-Westfalen versechsfacht. Den Gewalttaten gehen Gewaltworte voraus. Menschen werden bei Pegida-Aufmärschen als "Dreck" und "Ratten" bezeichnet. Und Aufrufe zu Mord und Totschlag gegen Flüchtlinge auf Facebook gelten dort oft nicht einmal als Verstoß gegen Community-Regeln.

Was die CSU jetzt fordert, ist schwarze Pädagogik

Die rechtsradikale Szene meint, sie habe Oberwasser. Sie fühlt sich stark, mindestens so stark wie vor 25 Jahren; sie fühlt sich zur Notwehr gegen Flüchtlinge berufen. Damals änderte die Politik deswegen das Asylgrundrecht. Was damals diese Änderung war, ist heute die Einschränkung der EU-Freizügigkeit: Über die Wiedererrichtung nationaler Grenzen und umfassender Kontrollen an den Binnengrenzen wird geredet wie über ein Allheilmittel. In Wahrheit handelte es sich um die Rückkehr in die europäische Eis- und Eisenzeit.

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Der Ungeist der "geistigen Brandstifter", gegen den Außenminister Frank-Walter Steinmeier antritt, beginnt nicht erst bei handgreiflicher Hetze. Er beginnt dort, wo Flüchtlinge als Feinde betrachtet werden. Wer Schutz suchen muss, ist in Not; er ist kein Verbrecher. Man darf den Einzelnen nicht dafür strafen, dass es so viele sind, die Schutz brauchen. Bei allem Streit um die Flüchtlingspolitik muss es diesen gemeinsamen Nenner geben: Flüchtlinge, ob sie bleiben dürfen oder nicht, brauchen Schutz vor Gewalttaten und Gewaltmenschen. Die Würde des Menschen beginnt nicht erst mit der Anerkennung als Asylberechtigter; und sie ist auch an Außen- und Binnengrenzen unantastbar.

Dies zu vermitteln und Flüchtlinge vor Gewalt zu schützen ist vor allem auch Aufgabe der CSU. Warum? Weil Äußerungen etwa des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann rechtsdraußen als Freibrief für Hemmungslosigkeit betrachtet werden. Es ist gut, wenn sich die CSU in Kreuth über Integration Gedanken machen will; es ist nicht gut, wenn sie dabei vor allem mit Sanktionen droht. Das ist schwarze Pädagogik.

Die Flüchtlingskrise wird für Nationalismen missbraucht. Die Wiedereinführung von Dauerkontrollen an Binnengrenzen widerspricht EU-Recht, dessen Kern die Freizügigkeit ist. Die Staaten, die diese Kontrollen einführen, verweisen auf EU-Verordnung Nr. 1051 von 2013, in der es um vorübergehende Kontrollen bei ernster Bedrohung geht. In der Präambel dort heißt es allerdings, dass "Migration und das Überschreiten der Außengrenzen durch eine große Anzahl von Drittstaatsangehörigen nicht an sich" als Gefahr betrachtet werden soll. Bis zu sechs Monaten dürfen Not-Grenzkontrollen dauern, bis zu dreimal darf das verlängert werden - dies alles unter Beachtung von Regeln, von denen bislang kaum eine eingehalten wurde.

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Der Bundespolizei fehle das Personal, um die Grenzen richtig zu kontrollieren, sagt der bayerische Innenminister Joachim Herrmann. Deshalb hat er dem Bund ein Angebot gemacht.

Man darf solche Verordnungen auch bei Not nicht verbiegen. Mit dem Missbrauch von Not-Verordnungen kann man Europa so kaputt machen, wie einst die Weimarer Republik damit kaputt gemacht wurde.

© SZ vom 28.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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