Angst vor Anschlägen in Italien:Als habe Rom seine Leichtigkeit verloren

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Ein italienischer Soldat vor dem Kolosseum in Rom. (Foto: Alessandro Bianchi/Reuters)

Militär auf den Straßen und leere Restaurants: Die Angst vor einem terroristischen Anschlag verändert das Leben in Rom. Das FBI sorgt für weitere Verunsicherung.

Von Oliver Meiler, Rom

Es ist, als habe Rom seine Leichtigkeit verloren, die schöne Leichtherzigkeit, die diese Stadt ausmacht. Als habe jemand mal schnell auf Pause gedrückt. Vor dem Pantheon spielt ein Straßengitarrist vor sieben Zuhörern. Man steht nicht mehr so gern in Menschentrauben. Vor der Fontana di Trevi kommt man in normalen Zeiten kaum vorbei an aufgeregt kichernden Japanern und Chinesen, die Münzen über ihre Schultern werfen. Nun geht das ganz leicht.

Am Petersplatz steht der Weihnachtsbaum schon, doch zur Sonntagsmesse, dem Angelusgebet des Papstes, kommen viel weniger Gläubige als sonst. Am Kolosseum und den Kaiserforen steht da so viel Militär, dass vielen die Lust am Kontemplieren der Antike vergeht. In der Konditorei im jüdischen Viertel sagt eine der übel gelaunten Angestellten beim Verpacken einer verbrannten Süßigkeit mit Mandeln und kandierten Früchten: "Gott weiß schon, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Was soll ich mich verrückt machen lassen?"

FBI warnt US-Bürger vor Vatikanbesuchen

Der Moment, als die Angst kam, lässt sich ziemlich genau festmachen. Sie kam nicht direkt nach den Terroranschlägen von Paris. Sie kam mit einer Warnung aus den USA einige Tage später. Das FBI riet den Amerikanern, die nach Italien reisen wollten, davon ab, sich den Vatikan anzuschauen, das Kolosseum, die römische Synagoge. Und sollten sie nach Mailand fahren wollen, hieß es in der Unterweisung, dann möchten sie doch den Dom und das Opernhaus, die Scala, meiden.

Das FBI warnte also nicht kategorisch vor Reisen nach Italien. Es empfahl den Reisenden nur, sich für einmal dem Sog der berühmtesten Sehenswürdigkeiten zu entziehen. Den "obiettivi sensibili", wie die Italiener mögliche Terrorziele nennen - jenen mit besonders hohem Symbolwert, auch für Terroristen. Man könnte also meinen, das FBI habe eine Banalität verbreitet, zumal für die Römer selbst, die sich daran gewöhnt haben, auf einer besonders exponierten Bühne zu leben. Doch banal ist gerade gar nichts.

Italiens Premier Matteo Renzi soll sich fürchterlich geärgert haben über die offene Kommunikationspolitik des FBI. Die Amerikaner, sagt er, hätten mit ihren Ratschlägen nur die Panik genährt. Es sei richtig, alert zu sein, aber nicht alarmiert. Italien sei nicht stärker gefährdet als andere europäische Länder, nicht konkreter. Obschon der "Islamische Staat" Rom regelmäßig droht.

Restaurantbesitzer klagen über Umsatzeinbußen von sechzig Prozent

Doch da hatte die Stadt schon eine neue Form der Psychose erfasst. Die römische Zeitung La Repubblica schreibt, die Angst sei erstmals richtig "greifbar", der Blick der Menschen habe sich verändert.

Mehr noch als das plötzliche Gefühl der Leere in den Straßen und auf den Plätzen beeindrucken die Zahlen der Baristi und der Restaurantbesitzer. In den Kaffeebars, diesen Primärinstitutionen des italienischen Gesellschaftslebens, ist der Umsatz in der vergangenen Woche um dreißig Prozent zurückgegangen. In den Trattorien und Restaurants gar um sechzig Prozent. Es gab schon Versuche, das Phänomen mit der aufkommenden Winterkälte zu erklären, oder mit dem klammen Monatsende. Es sind Versuche der Selbstberuhigung und der Selbsttäuschung.

Mittlerweile hat Italien 1400 "obiettivi sensibili" ausgemacht und zusätzliche 300 Millionen Euro für deren Schutz veranschlagt. In Umfragen sagt jeder zweite Italiener, er passe sein Leben der neuen Gefahrenlage an, reise fürs Erste nicht mehr, gehe an keine Konzerte und an keine Fußballspiele mehr. Man ist bereit, Freiheiten zu opfern. 91 Prozent der befragten Italiener wären damit einverstanden, dass der Staat noch mehr Überwachungskameras montierte; 46 Prozent nähmen gar in Kauf, dass der Staat künftig ohne richterliche Zulassung jeden privaten Mailverkehr mitlesen und bei jedem Telefongespräch mithören dürfe, wenn die Stärkung des "Grande fratello", des Big Brother, der Sicherheit diene.

Jede Menge Fehlalarme

Noch traut man ihm das nicht zu. Fehlalarme in "industrieller Menge" gingen nun ein, sagt Franco Gabrielli, der Präfekt von Rom. Allein in den letzten Tagen musste er ein halbes Dutzend Mal die Metrolinien A und C schließen. In den nächsten Wochen, wenn das päpstliche Jubiläumsjahr der Barmherzigkeit beginnt, dürfte die Zahl der Alarme noch wachsen. Gabrielli ist für die Sicherheit der Veranstaltung zuständig, für die Unversehrtheit jener Pilger auch, die sich trotz vermuteter Risiken nach Rom trauen. Er erließ schon einmal ein Überflugverbot für das gesamte Jahr, eine "No fly zone". Man sei gewappnet, sagt er, auch Drohnen vom Himmel zu holen. Am Petersplatz wurden Metalldetektoren platziert. Und viel Militär in Camouflage und mit Maschinengewehren.

Große Aufregung löste eine besorgte Mutter aus, die ihrer offenbar sorglosen Tochter im Teenageralter Angst einflößen wollte, damit sie nicht ausgeht und ihr eine Tonbotschaft aufs Handy schickte. Alles sei viel schlimmer, als die Behörden zugäben, sagte die Mutter mit zittriger Stimme, sie habe mit ihrer Freundin im Innenministerium gesprochen. Die Tochter, nunmehr besorgt, teilte die Botschaft mit ihren Chatgruppen, diese wiederum mit weiteren, so erreichte sie bald Hunderttausende. Und drängte Matteo Renzi dazu, seinerseits eine Tonnachricht aufzunehmen und herumzuschicken: "Ragazzi", sagte der Premier, "Kinder, lasst euch nicht hinters Licht führen, die Botschaft ist falsch." Später meldeten sich Mutter und Tochter bei der Polizei, um sich zu entschuldigen. Nichts ist mehr lustig, auch Familiengeschichten nicht.

Es kursieren aber auch trotzige, ironische Botschaften. Als Mutmacher. In den sozialen Netzwerken geht der Spruch herum: "Isis, ihr wollt Rom einnehmen? Meidet dabei die große Ringstraße, sonst bleibt ihr im Stau stecken." Auf einer Mauer in Rom tauchte diese hingesprayte Inschrift auf, verfasst im römischen Dialekt: "Isis, wann immer ihr wollt - aber mit den Fäusten."

© SZ vom 23.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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