Afghanistan vor der Wahl:Autobomben gegen Wahlurnen

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Blutige Rache: Die Taliban versuchen, die afghanischen Wähler mit Anschlägen einzuschüchtern. In Kabul wollen sich viele aber nicht von der Stimmabgabe abschrecken lassen.

Tobias Matern, Kabul

Sainullah ist außer sich. "Wie kann ein Mensch nur so etwas machen", schreit er. "Das sind Mörder, das sind Verbrecher, das sind keine Moslems." Sainullah arbeitet als Aushilfe im afghanischen Radio- und Fernsehsender RTA in Kabul. In unmittelbarer Nähe sprengte sich am Samstagmorgen ein Selbstmordattentäter vor dem Hauptquartier der von der Nato geführten internationalen Afghanistan-Schutztruppe (Isaf) in die Luft.

Am Samstag sprengte sich ein Selbstmordattentäter vor dem Nato-Hauptquartier in Kabul in die Luft. Mindestens sieben Menschen starben. (Foto: Foto: dpa)

Mindestens sieben Menschen riss der Attentäter mit in den Tod. Etwa 100 weitere Menschen wurden verletzt. Sainullah und einigen seiner Kollegen fiel die grausige Aufgabe zu, Finger und Gliedmaßen einzusammeln, die über die Mauer auf das Gelände von RTA geflogen sind. "So etwas hat doch mit unserem Glauben nichts zu tun", schimpft der Moslem. Die Lage in Kabul empfindet er als extrem bedrohlich. "Wir kommen mit Angst zur Arbeit, wir gehen mit Angst nach Hause. Warum das alles?"

Die Taliban haben nicht lange gezögert, sich des Anschlags zu rühmen. Am Donnerstag wählen die Menschen in Afghanistan ihren Präsidenten, und die Extremisten bemühen sich vorher mit aller Macht, durch Attacken wie am Wochenende ihre Stärke zu zeigen. Sie wollen die Abstimmung sabotieren, die westlichen Truppen vom Hindukusch vertreiben und die Demokratie abschaffen.

Taliban sollen gedroht haben, Wählern die Finger abzuhacken

Es ist in der afghanischen Geschichte erst die zweite Präsidentschaftswahl nach 2004. Die Islamisten drohen jedem Gewalt an, der sich an der Abstimmung beteiligt. Es kursieren Drohungen der Taliban, Wählern die Finger abzuhacken, wenn darauf die Tinte zu erkennen ist, mit der die Menschen ihren Abdruck auf den Wahlzetteln machen.

Bislang lassen sich die Afghanen von solchen Drohungen nicht davon abhalten, rege über die Bewerber zu diskutieren. Zahlreiche Bürger rufen in den politischen Radiosendungen an und gehen zu den Wahlveranstaltungen - von denen die meisten Kandidaten angesichts der angespannten Sicherheitslage aber nicht viele abhalten.

Beobachter in Kabul gehen davon aus, dass im ganzen Land etwa zehn Prozent der vorgesehenen 7000 Wahllokale aus Sicherheitsgründen geschlossen bleiben werden. Betroffen davon wird wohl nicht nur der Süden, wo die Taliban besonders aktiv sind, sondern auch die Region Kundus sein, in der die Bundeswehr stationiert ist.

"Die Taliban möchten jetzt mehr denn je zeigen, dass sie machen können, was sie wollen", sagt Lailuma Ahmadi. Die RTA-Moderatorin sitzt in ihrem Büro, der warme Wind zieht durch den Raum. Die Fensterscheibe ist zersprungen, die Splitter von dem Selbstmordattentat haben einen Riss im Polster ihres Stuhls hinterlassen.

Ahmadi kam zwei Minuten nach der Explosion, die in fast ganz Kabul zu hören war, an ihren Arbeitsplatz. Viele Kollegen seien verletzt worden und im Krankenhaus, sagt sie. Geschockt sei sie zunächst gewesen, "aber leider gehört die Unsicherheit für uns im Moment zum Alltag". Lailuma Ahmadi will an diesem Tag ganz normal auf Sendung gehen: "Ich muss den Leuten doch zeigen, dass es weitergeht", sagt sie.

Auf symbolträchtige Ziele wie den streng bewachten Armee-, Botschafts- und Ministeriumskomplex in Kabul, in dem das Isaf-Hauptquartier liegt, haben es die Militanten besonders abgesehen. Auch der Präsidentenpalast von Hamid Karsai, der den Anschlag ebenso wie viele westliche Politiker als feige Tat verurteilte, ist nicht weit vom Anschlagsort entfernt.

Bis in das hermetisch abgeriegelte Gebäude der Nato drang der Attentäter, mit seinem Toyota, dessen Kofferraum voll Sprengstoff war, zwar nicht vor, aber einige Kontrollposten konnte er ungehindert passieren. Es gibt hier ein mehrstufiges Sicherheitssystem, Autos kommen zur Hauptschranke der militärischen Anlage nur nach einer eingehenden Prüfung: Mit Spiegeln schauen die Sicherheitskräfte unter die Fahrzeuge, sie lassen den Fahrer auch häufig den Kofferraum öffnen.

Diese Checks führen häufig Afghanen durch - bei Attacken wie am Samstag sterben daher vor allem Einheimische. Unter den Verletzten sind aber auch mazedonische Soldaten der Nato-Truppe. Die Taliban ließen wissen, der Angriff habe der amerikanischen Botschaft gegolten, am schwersten betroffen war allerdings ein afghanisches Ministerium.

"Das geschieht halt während der Wahlzeit"

Kabul steht nach dem Angriff keineswegs still. Im Gegenteil: Die Menschen machen Einkäufe, die Geschäfte bleiben geöffnet. Die Stadt glich auch vor der Attacke schon einer Festung - Polizisten, schwerbewaffnete Soldaten und Panzer gehören zum alltäglichen Bild auf den Straßen.

Im Zentrum der Hauptstadt reagieren die Menschen fast gelassen auf den Anschlag. "Das geschieht halt während der Wahlzeit", sagt der Mann an der Rezeption eines Hotels, der namentlich nicht genannt werden will. "Man muss halt im Moment besonders auf sich aufpassen, alles kann passieren", sagt Sabir, der äußerlich ungerührt in einem der Kabuler Kebab-Restaurants sitzt.

Zur Wahl am Donnerstag will er dennoch gehen. Davon könnten ihn die Extremisten nicht abhalten, sagt der junge Mann.

© SZ vom 17.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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