Afghanistan-Debatte:Merkel verbittet sich Kritik an Bundeswehr

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Kanzlerin Angela Merkel nimmt in ihrer Regierungserklärung die Bundeswehr in Schutz, wehrt sich gegen Kritik aus dem Ausland - und erwähnt den Verteidigungsminister mit keinem Wort.

Der Gesichtsausdruck von Franz Josef Jung ändert sich den ganzen Vormittag nicht. Egal wer gerade spricht, seine Mundwinkel sind nach unten gezogen, sein Blick meist auf die verschränkten Arme gerichtet. Obwohl das Augenmerk an diesem Tag vor allem auf ihm liegt, muss der Verteidigungsminister fast eine Stunde lang warten, bevor er ans Rednerpult des Bundestags treten kann.

Dort räumt er - zumindest indirekt - ein, was kurz zuvor schon die Nato zugegeben hatte: Dass es bei dem von der Bundeswehr angeordneten Nato-Luftangriff nicht nur Taliban ums Leben gekommen sind. "Wenn es zivile Opfer gegeben hat, dann erfordert das unsere Anteilnahme und unser Mitgefühl," sagt er.

Die Kanzlerin, die sich als Erste äußerte, erwähnt ihren Verteidigungsminister in ihrer Regierungserklärung mit keinem Wort. Auch seine Informationspolitik spielt keine Rolle.

Vielmehr verspricht Angela Merkel "lückenlose Aufklärung" des Vorfalls vom vergangenen Freitag, ohne aber genauere Aussagen zu bisherigen Untersuchungsergebnissen zu machen. Sie spricht ihr Bedauern über mögliche zivile Opfer aus und bekräftigt ansonsten das Engagement der Bundeswehr in Afghanistan.

Eine internationale Übergabestrategie

Außerdem weist Merkel jegliche Kritik der Verbündeten am deutschen Verhalten zurück. "Ich verbitte mir so etwas, und zwar im Inland genauso wie im Ausland", sagte sie. Solange nicht aufgeklärt sei, was wirklich geschehen ist, könne sie Vorverurteilungen nicht akzeptieren. In einem Gespräch habe sie das auch dem Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen deutlich gemacht - "und zwar unmissverständlich".

Bei einer Afghanistan-Konferenz will Merkel noch in diesem Jahr eine internationale "Übergabestrategie in Verantwortung" entwickeln. Das Ziel: ein Afghanistan, das selbst für seine Sicherheit sorgen kann. Innerhalb der kommenden fünf Jahre müssten Forschritte erzielt werden, die es den internationalen Truppen erlaubten, sich zurückzuziehen, betont Merkel. Das Vorgehen sei mit Frankreich und Großbritannien abgestimmt.

Direkt nach der Kanzlerin kommt die Opposition zu Wort. Guido Westerwelle, FDP-Chef und Anwärter auf den Posten des Außenministers, tritt mit ernster und entschlossener Miene ans Rednerpult. Er spricht von einem "tragischen und furchtbaren Freitag".

Er kritisiert die Informationspolitik der Bundesregierung, die "eher zur Verwirrung als zur Aufklärung beigetragen" habe, lobt aber zugleich Merkels Worte des Bedauerns. "Es ist wichtig, dass, wenn Fehler gemacht wurden, wir als ganzes Land die Verantwortung dafür übernehmen."

Während Westerwelle noch davor warnt, die Afghanistan-Debatte zu einem billigen Wahlkampfthema zu machen und die Zwischenrufe aus dem Plenum immer mehr werden, beobachtet Gregor Gysi die Redner mit ernster Miene. Die Arme hat er vor der Brust verschränkt, den Kopf leicht gesenkt. Nur noch ein Redner, dann wird der Parteichef der Linken, Oskar Lafontaine, seine Sicht der Dinge kundtun. Und dass die ganz anders sind als die Mehrheitsmeinung im Plenum, das ist bekannt.

Doch zunächst erhält Außenminister und Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier das Wort. Auch er ist an diesem Tag in einem dezenten Dunkelgrau gekleidet. Auch er spricht etwas leiser und langsamer als sonst. Er weiß, dass es sich "nicht um irgendeinen bedauerlichen Zwischenfall" handelt. Die internationale Gemeinschaft schaut kritisch auf Deutschland, will wissen, was in jener Nacht in Afghanistan wirklich vorgefallen ist. Doch Steinmeier warnt vor Vorverurteilungen - egal, ob sie aus dem In- oder Ausland kämen.

Steinmeier gibt Westerwelle recht, dass die Deutschen "nicht für die Ewigkeit" in Afghanistan bleiben würden. Gleichzeitig mahnt er aber vor voreiligen Abzugsforderungen. Man sei "nicht kopflos" in das Land "hineingestolpert". Also werde man es auch nicht einfach "kopflos" wieder verlassen. Jetzt, nach der Wahl in Afghanistan, sei es an der Zeit, klare Ziele zu vereinbaren, um das Land in die Eigenständigkeit zu überführen.

Eine Strategie, die die Linken nicht teilen. "Wir fordern den Rückzug," sagt Oskar Lafontaine, kaum dass er das Rednerpult erreicht hat. Es sei endlich an der Zeit, die Realitäten anzuerkennen. Man kämpfe in Afghanistan gegen eine Stammeskultur. Und: "Der Kampf gegen eine Kultur ist nicht zu gewinnen." Die Regierungsparteien beeindrucken kann er damit aber auch nicht.

Genauso wenig wie der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Jürgen Trittin, der Franz Josef Jung der Lüge bezichtigt: "Ihr Grundsatz lautet: vertuschen, leugnen, und - wenn es gar nicht anders geht - entschuldigen für das, was Sie vorher bestritten haben." Merkel und Steinmeier blättern derweil in ihren Akten. Nur Jung trägt noch immer seinen betroffenen Gesichtsausdruck.

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