Flüchtlinge:Warum so viele Flüchtlingskinder verschwinden

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Sicher aufgehoben: Ein Flüchtlingskind schläft am 24.09.2015 in Berlin auf dem Gelände des Landesamtes für Gesundheit und Soziales auf dem Arm der Mutter. (Foto: dpa)
  • Fast 300 Flüchtlingskinder sind derzeit in Deutschland als vermisst gemeldet.
  • Die meisten in Deutschland vermissten Kinder werden schnell wieder gefunden.
  • Wenn sich Eltern und Kinder auf der Flucht in verschiedenen Ländern verlieren, ist die Zusammenführung sehr schwer.

Von Martin Schneider, Berlin

Mohamed bleibt verschwunden. Die Suchaktion mit 30 Polizisten in einem Park in Berlin-Moabit: erfolglos. Die Plakate mit dem Gesicht des Vierjährigen brachten bisher keine konkrete Spur. Auch am sechsten Tag nach der Vermisstenmeldung weiß niemand, wo der Junge mit dem roten Pullover und der grünen Tasche ist.

Zuletzt gesehen hat man ihn vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin, das man mittlerweile deutschlandweit unter der Abkürzung LaGeSo kennt, weil die Zustände dort besonders chaotisch sind. Tausende stehen dort jeden Tag in eng abgesperrten Schlangen, um einen Asylantrag zu stellen. Dort verschwand der Junge aus bisher "nicht nachvollziehbaren Gründen aus der Obhut seiner Mutter", wie die Polizei mitteilte.

Die Aufklärungsquote ist hoch

Die Familie Mohameds ist eine Flüchtlingsfamilie, die schon länger in Deutschland wohnt - genauere Angaben macht die Polizei in Berlin nicht - aber dass Kinder in der aktuellen Flüchtlings-Situation verschwinden, ist nicht selten. Das Bundeskriminalamt (BKA) spricht zum Stichtag 1. Oktober von 299 minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen, die in Deutschland als vermisst gemeldet sind. Insgesamt stellten bis Ende August mehr als 6000 Minderjährige ohne Begleitung einen Asylantrag in Deutschland.

Für begleitete Flüchtlingskinder gibt es keine eigene Statistik - sie werden nicht separat erfasst oder wie es ein Sprecher der Polizei in Berlin ausdrückte: "Wir machen da keinen Unterschied. Ein vermisstes Kind ist für uns ein vermisstes Kind." Insgesamt waren Anfang September in Deutschland 852 Kinder als vermisst gemeldet. Das BKA selbst sagt dazu, dass ein großer Teil dieser Fälle Sorgerechtsstreitigkeiten sind - ein Elternteil bekommt kein Sorgerecht und nimmt die Kinder darum mit ins Ausland; sie gelten dann als vermisst. Ein anderer großer Teil seien eben Flüchtlingskinder.

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Allerdings müsse man bei diesen Zahlen vorsichtig sein, sie klängen hoch, die Aufklärungsquote sei aber auch sehr hoch, teilt das BKA mit. Größtenteils würden die Kinder innerhalb eines kurzen Zeitraums wiedergefunden. "Das ist eine hoch-flexible Datei", sagt eine Sprecherin. Es sei nicht selten, dass hundert Fälle gestrichen werden und dafür wieder hundert Fälle neu erfasst werden. 2014 wurden insgesamt 7174 Kinder bis 14 Jahre in Deutschland als vermisst registriert, davon wurden 6986 Fälle aufgeklärt.

Über Landesgrenzen hinweg ist die Suche ungleich schwieriger

Dass es bei einer Flucht aber leicht dazu kommen kann, dass Kinder von ihren Eltern getrennt werden, ist kein Geheimnis. Schlepper separieren oft junge Männer, um eigene Gruppen zu bilden, wobei manche dabei schon Kinder mit elf Jahren als "junge Männer" zählen. Wie viele Familien das betrifft, ist aber kaum zu sagen. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR sagt, dass es in der aktuellen Situation nicht möglich sei, verlässliche Zahlen zu nennen.

Ein Indiz liefert der Suchdienst des Roten Kreuzes. Schon seit 1945 hilft die Organisation Menschen, die auf der Flucht oder im Krieg ihre Verwandten verloren haben.

In Deutschland hat der Dienst in diesem Jahr bis September 1290 Anfragen von Familien bekommen, die über 3000 Personen auf der Flucht verloren haben und nun suchen. "Ein typischer Fall in Deutschland ist, dass sich Eltern und Kinder beim Einsteigen in einen Bus oder Zug verlieren", sagt Susanne Pohl vom Roten Kreuz. "Wenn sich Kind und Familie dann bei uns melden, können wir das schnell lösen."

Über Landesgrenzen hinweg ist das natürlich ungleich schwieriger. Auf dem Portal "Trace the Face" (etwa: Spüre das Gesicht auf) des Roten Kreuzes können Flüchtlinge, die Angehörige verloren haben, ihr Foto hochladen und eine Suchanfrage starten. Ihren Namen müssen sie dabei nicht angeben, ihr Aufenthaltsland ist auch für Dritte nicht einsehbar. Zwar gebe es Erfolgsmeldungen, sagt Pohl, aber: "Die Erfolgsquote ist da nicht sehr hoch."

© SZ vom 08.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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