Abstimmung der UN-Vollversammlung:Wie Abbas in New York die Wut der Israelis schürt

Lesezeit: 4 min

Die Abstimmung bei den Vereinten Nationen ist noch einmal eine Chance für den moderaten Palästinenser-Präsidenten Mahmud Abbas, vielleicht seine letzte. Denn die radikalen Islamisten von der Hamas erhalten immer größeren Zulauf. Auch in Gaza-Stadt wurde Abbas vor der Abreise nach New York gefeiert. (Foto: AP)

Für den moderaten Palästinenser-Präsident Abbas ist es die wahrscheinlich letzte Chance: Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird die UN-Generalversammlung heute den Status der Palästinenser aufwerten. Diese feiern dies bereits vorab als großen Schritt zum eigenen Staat - und könnten die Aufwertung als scharfe diplomatische Waffe gegen Israel einsetzen.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Mit wehenden Fahnen haben sie ihn verabschiedet, mit Sprechchören und Lobgesängen - dann zog er gen New York in den Kampf. Der nach Landessitte inszenierte Helden-Abschied in Ramallah sollte dem Präsidenten Mahmud Abbas noch einmal den Rücken stärken für den großen Auftritt, den er an diesem Donnerstag vor der UN-Generalversammlung plant: Dort will er einen Antrag zur Abstimmung stellen, mit dem die Palästinenser bei den Vereinten Nationen aufgewertet werden sollen zu einem "beobachtenden Nicht-Mitgliedstaat". Ein eher sperriger Status ist dies, doch gefeiert wird das bereits vorab als großer Schritt zum eigenen Staat.

Mit Sinn für Symbolik wurde deshalb auch das Datum der Abstimmung gewählt: Am 29. November im Jahre 1947 nämlich hatten die UN einst den Teilungsplan für Palästina beschlossen, der die Gründung zweier Staaten vorsah. Einer dieser Staaten existiert bekanntlich: Israel. Auf den anderen warten die Palästinenser, seitdem die arabischen Führer damals den Teilungsplan abgelehnt haben. Nun will Abbas nach 65 Jahren das Datum aus palästinensischer Sicht offenbar neu besetzen. Doch was eine solche Status-Aufwertung wirklich wert ist, bleibt umstritten.

Denn der nun angestrebte Erfolg ist zunächst einmal nicht viel mehr als das Ergebnis eines Scheiterns mit Pauken und Trompeten. Vor gut einem Jahr nämlich war Abbas schon einmal nach New York gereist, um bei den UN einen Antrag einzureichen. Damals allerdings war es um die volle Mitgliedschaft gegangen - und der Schuss ging nach hinten los. Der Antrag wurde nicht einmal zur Abstimmung gestellt, als klar wurde, dass ihn nicht nur die USA wie angedroht mit ihrem Veto blockieren würden, sondern dass es nicht einmal die notwendige Mehrheit von neun Stimmen im 15-köpfigen Sicherheitsrat gab.

Nun also folgt der zweite Versuch mit der kleinen Lösung, und das Risiko des Scheiterns ist minimal. Denn abgestimmt werden muss dieses Mal allein in der Vollversammlung; es gibt kein Veto, und es reicht die einfache Mehrheit der 193 Mitgliedstaaten. Mit bis zu 150 Stimmen wird gerechnet.

Die Frage ist also nicht, ob die Aufwertung der Palästinenser bei den UN gelingt, sondern vielmehr, was sie damit anfangen werden. Stimmrecht gewährt dieser spezielle Beobachterstatus, den derzeit nur der Vatikanstaat innehat, nicht. Doch zum einen wird er als Sprungbrett verstanden - schließlich können die Palästinenser argumentieren, sie seien nun mit dem Terminus "Staat" geadelt worden, selbst wenn dies mit dem Präfix "Nicht-Mitglied" verbunden ist. Zum anderen ermöglicht dies den Beitritt zu Organisationen wie dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag - und dies könnte zu einer neuen scharfen Waffe im diplomatischen Kampf gegen Israel werden.

Wie scharf, das wurde bereits nach der Exhumierung des legendären Palästinenser-Führers Jassir Arafat deutlich: "Wenn wir den Beweis haben, dass er vergiftet wurde, dann ziehen wir nach Den Haag", drohte der Chef der palästinensischen Untersuchungskommission Taufik Tirawi. Zudem könnte aber auch der Bau jüdischer Siedlungen auf besetztem palästinensischem Land ein Fall für den Internationalen Strafgerichtshof werden.

Genau solche Szenarien sind es, die in Israel für Alarmstimmung gesorgt haben. Deshalb war größtmöglicher diplomatischer Druck aufgebaut worden, um auch diesen Anlauf der Palästinenser bei den UN zum Scheitern zu bringen. Außenminister Avigdor Lieberman warf Palästinenser-Präsident Abbas "diplomatischen Terror" vor und drohte gar mit der Aufkündigung des Osloer Friedensvertrags von 1993. Diskutiert wurde überdies die Genehmigung neuer Siedlungsbauten sowie die Annektierung palästinensischen Landes, auf dem bereits Siedlungen stehen.

Parallel dazu hatten auch die USA versucht, die Palästinenser von ihren UN-Plänen abzubringen. Argumentiert wird, dass Fortschritte allein am Verhandlungstisch erzielt werden müssen, einseitige Schritte würden den Friedensprozess belasten. Dies jedoch können die Palästinenser relativ gelassen kontern, denn ein Friedensprozess existiert seit dem Regierungsantritt des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu vor knapp vier Jahren nicht mehr. Abbas also trotzte dem Druck und fuhr nach New York. Inzwischen scheint sich sogar Israel ins Unvermeidliche zu fügen - und Washington rät dem Verbündeten eindringlich, von allzu harschen Reaktionen abzusehen.

"Wir warten ab, was passiert", sagt auf Anfrage eine Sprecherin des israelischen Außenministeriums zur anstehenden Statusaufwertung der Palästinenser. "Wenn sie das als Plattform zur Aggression benutzen, werden wir entsprechend antworten, wenn es symbolisch bleibt, dann gibt es keinen Grund, etwas zu unternehmen." Hauptursache für die neue Zurückhaltung dürfte die Sorge sein, dass sich Israel erstens selbst schaden könnte mit radikalen Reaktionen und dass zweitens vermieden werden soll, Abbas zum jetzigen Zeitpunkt noch weiter zu schwächen.

Wenn die von der Fatah geführte Autonomie-Behörde im Westjordanland unter israelischem Druck kollabiert, birgt das viele Gefahren. Denn die Alternative zum moderaten Präsidenten Abbas ist die bereits in Gaza herrschende Hamas. Der jüngste Krieg hat die radikalen Islamisten zumindest politisch weiter gestärkt. In den Augen des palästinensischen Volkes haben die Islamisten gezeigt, dass man Israel höchstens mit gewaltsamem Widerstand Konzessionen abringen kann. Der verhandlungsbereite Abbas dagegen steht vor seinem Volk seit langem schon als Kaiser ohne Kleider. Ein erneuter Misserfolg bei den UN würde ihn vollends ins Abseits stellen.

Die Abstimmung bei den Vereinten Nationen ist also noch einmal eine Chance für den 77-jährigen Präsidenten, vielleicht ist es seine letzte. Wenn er gestärkt durch die Statusaufwertung heimkehrt, werden sie ihm gewiss einen Heldenempfang bereiten. Es wird ein Fest geben in Ramallah - doch schon am nächsten Tag werden die Menschen fragen, was ihnen der Kampf im fernen New York gebracht hat. Der eigene Staat bleibt eine Schimäre. Die Friedensverhandlungen mit Israel, die zur Staatsgründung führen sollen, sind seit Jahren blockiert. Und an der Besetzung ihres Landes wird auch der neue Status bei den UN so schnell nichts ändern.

© SZ vom 29.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: