Verbrechen in Herne:Was wir über den Fall in Herne wissen

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Der 19-jährige Marcel H. soll einen Neunjährigen und einen 22-Jährigen getötet haben. Was ist sein Motiv? Wo hielt er sich versteckt? Und welche Rolle spielt das Darknet? Ein Überblick über die wichtigsten Fragen.

Von Oliver Klasen

Mehr als drei Tage lang stand Herne unter Schock. Seit diesem Freitag können die Menschen wieder aufatmen. Der Mann, der am Montagabend einen neunjährigen Jungen getötet haben soll, ist gefasst: Am Donnerstagabend betritt er einen griechischen Schnellimbiss unweit des Bahnhofs in der 150 000-Einwohner-Stadt im Ruhrgebiet. Dort bittet er um ein Telefon und ruft selbst die Polizei.

Als die Beamten kurz danach eintreffen, lässt sich der 19-Jährige widerstandslos festnehmen. Noch im Imbiss erzählt er, dass es in einer nahegelegenen Wohnung brenne. Dort finden die Polizisten die Leiche eines Mannes.

Inzwischen wurde Haftbefehl erlassen. Polizei und Staatsanwaltschaft haben über ihre bisherigen Erkenntnisse auf einer Pressekonferenz informiert. Ein Überblick über die wichtigsten Fakten.

Der Verdächtige Marcel H.

Was wir wissen: Marcel H. war bis Montagabend polizeilich noch nie in Erscheinung getreten. Die Polizei stufte ihn allerdings sofort nach der Tat in Herne als gefährlich ein und warnte mögliche Zeugen davor, sich dem Mann zu nähern. Marcel H., so heißt es, soll nur wenige Kontakte zu anderen Menschen gepflegt haben. Ein Polizeisprecher beschrieb ihn als "sozial arm". Der 19-Jährige sei Einzelgänger, verfüge über einen Realschulabschluss, sei aber arbeitslos. Er habe viel Zeit mit Chats und Spielen im Internet verbracht. Außerdem habe er Kampfsport betrieben. Der Spiegel berichtet, Marcel H., habe erfolglos eine Laufbahn als Berufssoldat angestrebt. Der 19-Jährige habe sich im vergangenen Herbst als Zeitsoldat bei der Bundeswehr beworben, sei jedoch nicht angenommen worden. Im Verhör mit der Polizei habe Marcel H. ausgesagt, dass er sich vor der ersten Tat habe umbringen wollen. Zwei Suizidversuche seien jedoch gescheitert, worauf Marcel H. sich laut eigener Aussage entschied, jemanden zu töten, um ins Gefängnis zu kommen.

Was wir nicht wissen: Die Motive Marcel H.s sind noch nicht restlos geklärt. Ob der Wunsch ins Gefängnis zu kommen, tatsächlich der Hauptgrund für die erste Tat war, ist ungewiss. Die Ermittler gehen davon aus, dass er den neunjährigen Jungen aus Mordlust tötete. Das ist eines der Merkmale, die einen Täter als Mörder qualifizieren.

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Die Ermittlungen

Was wir wissen: Nach Angaben des Bochumer Oberstaatsanwalts soll sich Marcel H. bei den polizeilichen Vernehmungen ausführlich zur Tat geäußert haben. "Er redet viel", sagte der Leiter der Mordkommission Bochum, Klaus-Peter Lipphaus. In der Wohnung in Herne, wo in der Nacht die zweite Leiche gefunden wurde, waren am Freitag Experten der Spurensicherung im Einsatz. In weißen Schutzanzügen und mit Mundschutz betraten am Vormittag mehrere Kriminaltechniker das Mehrfamilienhaus. Die Straße vor dem Haus ist weiterhin abgesperrt.

Was wir nicht wissen: Etwa 72 Stunden gelang es Marcel H., sich vor der Polizei versteckt zu halten. Sein Verbleib in dieser Zeit ist noch nicht restlos geklärt. Kurze Zeit soll er sich in einem Wald versteckt haben. Irgendwann danach soll er in der Wohnung des 22-Jährigen - seines zweiten Opfers - aufgetaucht sein.

Die erste Tat

Was wir wissen: Gegen 20.30 Uhr am Montagabend finden Polizisten im Keller des Reihenhauses, in dem Marcel H. lebt, die Leiche eines neunjährigen Jungen. Schnell stellt sich heraus, dass es sich um Jaden F. handelt, einen Sohn der Nachbarsfamilie. Der Junge, das ergibt die rechtsmedizinische Untersuchung später, wurde etwa zwei Stunden zuvor durch mehr als 50 Messerstiche getötet. Ein Sexualdelikt schließt die Polizei aus. Von Anfang an besteht ein dringender Tatverdacht gegen Marcel H.: Der 19-Jährige, das ergaben die Ermittlungen der Polizei, hat den Jungen in den Keller gelockt. Marcel H. habe ihn gebeten, bei einer Reparatur in seinem Keller die Leiter zu halten. Als Jaden stundenlang nicht nach Hause kam, suchte der Lebensgefährte seiner Mutter nach dem Kind. Wenig später wurde die Leiche des Jungen in dem Keller gefunden. Marcel H. war da schon auf der Flucht.

Was wir nicht wissen: Bisher liegt völlig im Dunkeln, warum gerade der neunjährige Jaden F. zum Opfer wurde. Die Ermittler gehen davon aus, dass Marcel H. aus Mordlust handelte. Doch ob der Junge gezielt ausgewählt wurde oder auch jedes andere Kind hätte Opfer werden können, ist unsicher.

Die zweite Tat

Was wir wissen: Bei dem in der ausgebrannten Wohnung in Herne entdeckten Toten handelt es sich um einen 22-jährigen Mann aus Herne. Marcel H. soll ihn auf einem Berufskolleg kennengelernt und mit ihm Computer gespielt oder über Chatrooms Kontakt gehalten haben. Die Wohnung des 22-Jährigen befindet sich etwa 300 Meter von dem Imbiss entfernt, an dem sich Marcel H. stellte. Nach der Tat an dem Neunjährigen soll Marcel H. unter einem Vorwand bei seinem Bekannten Unterschlupf gesucht und auch bei ihm übernachtet haben. Als der 22-Jährige ihn auf die Polizeifahndung ansprach, soll Marcel H. ihn getötet haben. Das Opfer wies 68 Messerstiche und Würgemale am Hals auf. Anschließend legte er Feuer, offenbar, um die Spuren der Tat zu verwischen.

Mögliche weitere Taten

Was wir wissen: Weitere Tötungsdelikte, so sagt Klaus-Peter Lipphaus, der Leiter der Mordkommission in Bochum, schließe man derzeit aus. In einem anonymen Chatbereich im Internet hatte ein Unbekannter am Mittwoch nähere Umstände eines möglichen weiteren Verbrechens beschrieben. Er erzählt, wie er eine Frau überwältigt hat, um an Daten für einen Bankzugang sowie Computer und Telefon zu gelangen. Auch von Folter ist in dem kurzen Eintrag, den die Polizei veröffentlichte, die Rede.

Was wir nicht wissen: Es ist zweifelhaft, ob es ein solches Verbrechen tatsächlich gegeben hat. Möglicherweise handele es sich dabei um eine Falschmeldung, so ein Polizeisprecher. Dennoch werde weiter ermittelt, ob Marcel H. nach der ersten Tat am Montag noch weitere Straftaten begangen habe.

Internet-Bilder, Chats und Audiobotschaften

Was wir wissen: Sowohl im sogenannten Darknet als auch auf dem Portal 4chan ist Material aufgetaucht, das wohl mit der Tat an dem neunjährigen Jungen in Zusammenhang steht. Wie die bisherigen Ermittlungen ergeben haben, soll sich Marcel H. am Abend vor der Tat mit einem Freund auf Whatsapp unterhalten haben und damit gedroht haben, sich umzubringen. Am nächsten Tag kündigte er an, etwas "Knastwürdiges" zu tun. Kurz darauf schickte er Fotos, auf denen er mit blutverschmierten Händen zu sehen ist und ein Messer abwäscht. Screenshots dieses Whatsapp-Chats tauchten auf 4chan auf, einem Forum, in dem Nutzer anonym Bilder teilen und sich unterhalten können. Es gilt als eine Art "Untergrund" des Internets, hat aber nichts mit dem Darknet zu tun. 4chan ist mit jedem normalen Webbrowser aufrufbar, während für Seiten im Darknet ein spezieller Client wie etwa der Tor-Browser nötig ist, der Verbindungsdaten anonymisiert. Außerdem soll eine Audiobotschaft mit Schilderungen der ersten Tat aufgetaucht sein.

Was wir nicht wissen: Es ist unklar, wer die einzelnen Bilder und Chatprotokolle jeweils ins Netz hochgeladen hat. Auch die Herkunft der Audiobotschaft ist nicht bekannt. Die Polizei machte dazu bisher keine Angaben.

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