Verbrechen im Internet:Die schwierigen Ermittlungen in Kinderporno-Foren

Bundeskriminalamt in Wiesbaden

In der Waschbeton-Burg des Bundeskriminalamts in Wiesbaden gehen jeden Tag ein paar Dutzend verdeckte Ermittler in Kinderporno-Foren.

(Foto: dpa)

Der Kampf gegen Kindesmissbrauch im Internet stürzt die Fahnder in ein moralisches Dilemma. Um in innere Zirkel vorzudringen, müssten sie selbst Bilder hochladen.

Von Ronen Steinke

Der anonyme User im Kinderporno-Chat war eine Weile offline. Als er wieder auftauchte, schrieb er: "Ich lag 3 Wochen im Krankenhaus." Er verriet auch, warum. "Motorradunfall." Gute Besserung, antworteten die Chatpartner. Willkommen zurück. Aber einer von ihnen horchte heimlich auf.

Die Anzahl der Männer, die gerade drei Wochen wegen eines Motorradunfalls in einem Krankenhaus gelegen haben, ist im deutschen Sprachraum überschaubar. Mit den Mitteln der Kriminalpolizei ließ sich das gut eingrenzen. Wenig später wurde der anonyme User gefasst. "Darauf hatten wir gewartet", sagt ein Ermittler.

Wenn die Täter glauben, unter sich zu sein, reden manche

Männer, die Kinder vergewaltigen oder den Anblick davon genießen, haben oft ein Mitteilungsbedürfnis. Das ist eines der ersten Dinge, die man lernt, sagt ein junger Strafverfolger, der ihnen tagein, tagaus im Netz auflauert. Keine andere Gruppe von Kriminellen wird von der Gesellschaft derart tief verachtet. Selbst im Gefängnis, selbst im verschlüsselten Teil des Internets. Wenn sie dann mal meinen, unter sich zu sein, an einem geschützten Ort, an dem sie nicht verheimlichen müssen, dass sie pädophil sind - dann reden manche.

Deshalb schlüpfen jeden Morgen in der Waschbeton-Burg des Bundeskriminalamts (BKA) in Wiesbaden ein paar Dutzend Kriminalistinnen und Kriminalisten in fremde Häute. Sie gehen als verdeckte Ermittler in Kinderporno-Foren, oft mit schwülstigen Account-Namen, die nicht auffallen sollen in Chatrooms, die "Lolita" oder "Pedo Lover" heißen. So sind jüngst auch die Hauptverdächtigen im Freiburger Missbrauchsfall gefasst worden, Christian L. und seine Lebensgefährtin, die den neunjährigen Sohn der Lebensgefährtin gegen Geld zum Missbrauch angeboten haben sollen. Sie hatten in einem Darknet-Forum Bilder geteilt. Was sie nicht wussten: Dort war auch ein Ermittler unterwegs.

Wenn Bilder von gefesselten und geknebelten Kleinkindern auf einschlägigen Seiten herumgereicht werden, dann geben die verdeckten Ermittler sich angetan. Sie ahmen den Szenejargon nach. Stets in der Hoffnung, dass echte Täter Vertrauen fassen. Um aber in die inneren Zirkel von Pädophilen-Foren zu gelangen, an jene Orte also, wo die Täter offener über aktuelle Missbrauchstaten reden, müssten die Ermittler selbst kinderpornografisches Material hochladen. "Wie in einem Computerspiel, in dem man in das nächste Level aufsteigen möchte", sagt einer.

Das ist die Schwierigkeit: Deutsche Ermittler machen sich aus Prinzip nicht die Hände schmutzig, sie laden nichts hoch. Weder beim BKA noch bei den vielen Landeskriminalämtern, die ihre Kinderporno-Einheiten in den vergangenen zwei, drei Jahren stark aufgestockt haben. Die Strafprozessordnung erlaubt Ermittlern keinerlei Straftaten aus taktischen Gründen. Auch nicht für den edelsten Zweck. Auch nicht, wenn die Konsequenz heißt: Die Ermittler bleiben draußen. Und drinnen sind die Vergewaltiger von Kindern ungestört.

Man lädt Schuld auf sich, wenn man Kinderporno-Bilder hochlädt, sagt der Oberstaatsanwalt Georg Ungefuk, der in der Zentralstelle für die Bekämpfung der Internetkriminalität der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt arbeitet. Auch wenn es alte Bilder sind. Sie haben ja eine Wirkung. Sie stacheln Betrachter an, in der realen Welt Dinge zu tun.

Wäre das anders, Ermittlungserfolge wie jetzt in Freiburg gäbe es wahrscheinlich viel öfter. Nur wenige Kinderporno-Täter sind so unvorsichtig wie die Freiburger Verdächtigen. Viele sind klüger und ziehen sich einfach in geschützte Chats zurück.

In Frankreich, Großbritannien oder den USA lassen die Ermittler sich nicht so leicht abhalten. Wenn es sein muss, laden sie alte Kinderporno-Bilder hoch, Asservate aus früheren Ermittlungen. Die australische Polizei hat sogar einmal eine komplette Kinderporno-Plattform betrieben, die Seite "Child's Play", nachdem deren Administrator im Oktober 2016 identifiziert worden war. Er hatte sich mit einem Bekannten getroffen, um dessen vierjährige Tochter zu vergewaltigen, als die Strafverfolger zugriffen. Bis September 2017 hielt die australische Polizei seine Plattform zum Schein weiter am Laufen. Ähnlich wie zuvor das amerikanische FBI die Kinderporno-Seite "Play Pen".

Der Erfolg war beachtlich. Die australischen Ermittler bauten die Kinderporno-Börse heimlich zu einer digitalen Falle um. Alle Besucher wurden bei der Polizei registriert. Um Misstrauen zu vermeiden, posteten die Polizisten weiter Kinderpornos. Es hat sie schwer belastet, wie sie nachher Reportern erzählten; sie machten sich mitschuldig, quälende elf Monate lang. Aber so konnten die Ermittler am Ende 900 Verdächtige verhaften, sie konnten vermutlich größeres Unrecht verhindern.

Wer nichts tut, lädt auch Schuld auf sich

Es ist ein Dilemma. "Aus der Nummer kommen Sie nicht unschuldig raus", sagt die Staatsanwältin Isa Böhmer, die im Auftrag der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe einen Ermittlerstab gegen Cyber-Kriminalität mit aufbaut. Es habe einen Sinn, dass verdeckte Ermittler nach deutschem Recht die Finger von Straftaten lassen müssen, sagt auf der einen Seite Oliver Malchow, der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei. "Das trägt zum Vertrauen bei. Auch wenn es der Effektivität mitunter abträglich ist." Man stelle sich vor, sagt er, ein Kind werde missbraucht. Und Jahre später erführe es: Der Internet-Nutzer, der Bilder davon in alle Welt verbreitete, war ein getarnter Polizist.

Andererseits: Wer nichts tut, lädt auch Schuld auf sich. Vielleicht ist diese Schuld sogar größer, wendet die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) ein. Sie fordert, verdeckten Ermittlern in solchen Fällen Straftaten zu erlauben. Man könnte es von richterlichen Genehmigungen im Einzelfall abhängig machen. Es sei eine schwierige Abwägung, sagt die Politikerin. Aber wenn der Staat sich zu vornehm sei, um in die inneren Kreise von Verbrecher-Chats vorzudringen, dann versage er. "Wenn wir unseren Ermittlern solche Möglichkeiten nicht geben, werden wir kaum in der Lage sein, gegen die Hintermänner vorzugehen."

Im Juli 2017 feierten deutsche Ermittler mal einen Durchbruch, einen Schlag gegen die Kinderporno-Plattform "Elysium". 87 000 Nutzer hatten dort verkehrt. Vier Männer sitzen inzwischen in Untersuchungshaft, weil sie die Administratoren gewesen sein sollen, als Kopf gilt ein 28-Jähriger aus Wien. Er soll seine beiden Kinder, die heute fünf und sieben Jahre alt sind, über Jahre schwer sexuell missbraucht haben. Dann soll er sie einem 61-jährigen Bayern aus dem Landkreis Landsberg am Lech zur Verfügung gestellt haben und mehrmals auch einem 40-jährigen Österreicher. Die Prozesse sollen 2018 beginnen. "Wenn wir in den USA wären, hätte man die Plattform wahrscheinlich infiltriert und noch viel mehr herausgefunden", überlegt ein deutscher Ermittler. "Dann hätten wir jetzt Hunderte in Haft." Nicht vier.

Das FBI hat weniger Skrupel als die Deutschen

Am Ende muss man wohl in Rechnung stellen, wie gut Deutschland trotz alledem durchkommt. Dazu noch einmal zurück in die Wiesbadener Zentrale des BKA. Die Kinderporno-Ermittler der Abteilung "Schwere und Organisierte Kriminalität" hier sitzen in einem speziell gesicherten Teil des Gebäudes. Nie zuvor hatten sie so viele Treffer zu bearbeiten, also Kinderpornos, deren Spur sich nach Deutschland zurückverfolgen lässt. Aber das liegt vor allem daran, dass sie große Mengen an gutem Beweismaterial "geliefert" bekommen, wie es heißt. Sozusagen frei Haus, von den Kollegen des amerikanischen FBI.

Vor allem aus diesem Grund können heute mehr Kinder in Deutschland gerettet werden: weil ein amerikanisches Gesetz von 2012, der Paragraf 2258A des US-Bundesrechts, alle "elektronischen Kommunikationsdienstleister" verpflichtet, die Inhalte ihrer Nutzer nach kinderpornografischem Material zu durchkämmen; das betrifft Google, Microsoft, Facebook und Twitter. Und weil amerikanische Ermittler immer öfter ihre Skrupel herunterschlucken, um Kinderporno-Strukturen zu knacken.

Das ist der bequeme Ausweg, den Deutschland bislang aus dem moralischen Dilemma nimmt. Die Hände schmutzig machen, das tun andere.

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