USA:Stehplätze für alle

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Nach einer Untersuchung der Betreibergesellschaft ist der Massenansturm auf die Subway der wichtigste Grund dafür, dass die Bahn so oft verspätet ist. (Foto: AFP)

Täglich nutzen fast sechs Millionen Menschen die New Yorker U-Bahn. Jetzt will der Betreiber die Sitze aus den chronisch überfüllten Zügen herausreißen.

Von Claus Hulverscheidt

In der New Yorker U-Bahn einen Sitzplatz zu ergattern ist vor allem morgens und spätnachmittags so wahrscheinlich, wie in Jogginghose und Adiletten einen Modewettbewerb zu gewinnen. Meist muss man sich mit einer DIN-A4-großen Stehfläche zufriedengeben, Exerzierhaltung einnehmen und hoffen, dass Herz und Kreislauf den Unterschied zwischen plus 50 Grad Bahnhofs- und minus 50 Grad Waggontemperatur unbeschadet überstehen. Selbst wenn ein Sitz frei wird, verzichten viele darauf, sich niederzulassen: Zu groß ist die Gefahr, von einem Rucksack erschlagen oder für immer vom Ausgang abgeschnitten zu werden.

Wenn Sitzplätze aber mehr Ärger als Nutzen stiften, so hat sich jetzt offenbar die staatliche Betreibergesellschaft MTA gedacht, dann ist es sicher schlau, die grauen oder gelb-orangenen Plastikschalen einfach aus den Wagen herauszureißen. Stehplätze für alle - das ist nicht nur sozial gerechter, vielmehr passen plötzlich auch zwei, drei Dutzend mehr Menschen in einen Waggon. MTA-Chef Joseph Lhota will deshalb in den nächsten Wochen auf gleich zwei U-Bahn-Linien testen, ob das Projekt "Sitzplatz raus" zumindest vorübergehend eine Lösung für die Überfüllung der U-Bahn sein könnte.

Nach einer Untersuchung der MTA ist der Massenansturm der New Yorker und der vielen Touristen auf die Subway der wichtigste Grund dafür, dass die Bahn so oft verspätet ist. Die Züge brauchen länger als geplant, um die Bahnhöfe wieder zu verlassen, und müssen langsamer fahren, als sie könnten. New Yorks Gouverneur Andrew Cuomo hatte nach einer Unfall-und Pannenserie bei der U-Bahn, vor allem aber bei der Regionalbahn Long Island Rail Road, im Juni den "Notstand" für die MTA ausgerufen. Lhota reagiert nun mit einem Erste-Hilfe-Paket.

Acht Milliarden Dollar, um das alte U-Bahn-Netz zu modernisieren

Etwa 30 Notmaßnahmen hat der MTA-Chef im Blick: Neben der Einführung von Stehplatzwagen will er zusätzliche Waggons an die Züge hängen, 2700 neue Mitarbeiter einstellen, Signale austauschen und medizinisch geschultes Personal einsetzen, das sich rascher um Passagiere etwa mit Kreislaufproblemen kümmern kann. Allein die Sofortmaßnahmen sollen fast 840 Millionen US-Dollar kosten. Um sie aufzutreiben, wirbt Lhota dafür, dass neben Gouverneur Cuomo auch Bürgermeister Bill de Blasio Geld beisteuert. Cuomo und de Blasio allerdings - obwohl beide Mitglieder der Demokratischen Partei - pflegen seit Jahren ihre Feindschaft und behindern sich, wo sie nur können.

Auf lange Sicht benötigt die MTA nach eigenen Angaben acht Milliarden Dollar, um das mehr als 100 Jahre alte U-Bahn-Netz zu modernisieren. Täglich nutzen fast sechs Millionen Menschen die 25 Linien und gut 470 Bahnhöfe zwischen der Bronx und Coney Island - eine planmäßige Instandhaltung ist so kaum möglich. Stattdessen werden viele Probleme oft nur notdürftig behoben. Die Folge sind Verspätungen, Pannen und Unfälle.

Um etwas hinzuzuverdienen, verkauft die MTA im Übrigen alles, was sie nicht mehr braucht. Wer sich etwa einen grauen U-Bahn-Doppelsitz ins heimische Loft stellen möchte, muss dafür stolze 500 Dollar berappen. Derzeit dürfte es sich aber lohnen zu warten: Die Preise könnten wegen des steigenden Angebots bald deutlich fallen.

© SZ vom 04.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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