USA:Auf Kiffer-Kaffeefahrt im Cadillac

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Zuhause werden sie ausgegrenzt, in Colorado dürfen sie einen zwölf Meter langen Cadillac vollqualmen: Teilnehmer der Kiffertour in Denver. (Foto: Steve Przybilla)

Für Cannabis-Touristen ist Colorado das gelobte Land, für viele andere ist der US-Bundesstaat der Vorhof der Hölle. Impressionen einer dreistündigen Tour mit Cannabis-Liebhabern.

Von Steve Przybilla, Denver

Es ist eng in dem zwölf Meter langen Cadillac. Fünf Männer und eine Frau sitzen sich Knie an Knie gegenüber. Manche der Insassen stoßen mit dem Kopf gegen die Decke, doch das stört an diesem Nachmittag niemanden. Schon fünf Minuten nach der Abfahrt wabert dichter Rauch durch den Innenraum, ein Joint macht die Runde. Im Sektkühler liegt eine Wasserpfeife; die Champagnergläser dienen als Aschenbecher. Durch die Lautsprecher dröhnt, ein bisschen zu klischeehaft, Bob Marley.

Als der Cadillac durch ein Schlagloch rumpelt, muss der erste Mitfahrer rülpsen. "Dass ihr mir ja nicht ins Auto kotzt", sagt Tourguide Vee mit gespielt ernster Miene. "Das habe ich schließlich auch nur geliehen. Oder meint ihr etwa, ich könnte mir so eine Karre leisten?"

Timothy Vee ist ein groß gewachsener Mittvierziger, der früher als Restaurant-Manager gearbeitet hat. Heute kutschiert der Inhaber von "Colorado Highlife Tours" Marihuana liebende Touristen durch Denver.

Noch vor wenigen Jahren wären Ausflüge wie dieser undenkbar gewesen. Eine Kontrolle durch die Polizei, und schon hätten die Teilnehmer nicht nur ihren Joint, sondern auch jede Menge Geld verloren - wenn nicht sogar ihre Freiheit. Doch seit einiger Zeit dreht sich in den USA der Wind, was den Umgang mit Marihuana angeht. Immer mehr Bundesstaaten wenden sich vom Totalverbot ab und erlauben - zumindest in kleinen Mengen - den privaten Konsum.

Ein Milliardengeschäft - auch für den Staat

Am liberalsten geht es in Colorado zu, wo seit 2012 nicht nur zu medizinischen Zwecken, sondern auch zum privaten Vergnügen gekifft werden darf. Einheimische wie Touristen können sich in offiziellen Abgabestellen, den sogenannten Dispensaries, mit allem eindecken, was das Kifferherz begehrt - zumindest solange die Menge von 28 Gramm nicht überschritten wird. Der Staat verdient durch die Steuereinnahmen kräftig mit, agiert also gewissermaßen als Dealer. Allein 2015 hat die Cannabis-Industrie in Colorado fast eine Milliarde Dollar Umsatz gemacht.

Für einige Amerikaner ist der Bundesstaat daher das gelobte Land. Für viele andere ist er der Vorhof der Hölle. Längst klagen die Nachbarstaaten Nebraska und Oklahoma darüber, dass massenhaft "Gras" über die innerstaatlichen Grenzen geschmuggelt wird. Bisher ohne Erfolg: Der Oberste Gerichtshof verwarf erst Ende März eine Beschwerde gegen Colorados Marihuana-Gesetz.

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"Ein wahnsinniges Gefühl"

Während die Luft im Cadillac immer dicker wird, werden die Mitfahrer umso gesprächiger. "Zu Hause kann man höchstens in einer stillen Ecke rauchen", erzählt die 21-jährige Stacey aus Wisconsin. Sie möchte ihren Nachnamen lieber nicht nennen - aus "Angst vor Stigmatisierung", wie sie sagt. Ihr Freund Ken (23) erzählt, er sei in der Highschool das erste Mal high gewesen: "Der Joint wurde die Liebe meines Lebens. Das war ein wahnsinniges Gefühl."

Michael Rosales, ein 35-jähriger Reisegruppenleiter aus Hawaii, steht zu seinem Drogenkonsum. "Ich kiffe einfach überall: am Strand, an der Bushaltestelle, auf dem Bürgersteig. Und wisst ihr was? Mich hat noch niemand angehalten. Sie können uns schließlich nicht alle verhaften!"

Als die Limousine ihren ersten Stopp einlegt, fällt das Aussteigen schwer. "Ich bin so was von zugedröhnt", kichert ein junger Mann mit Jamaika-Mütze, der sich selbst Angel nennt. Auch Tourguide Vee spricht nun etwas langsamer, auch wenn er sich Mühe gibt, die Contenance zu wahren. Schließlich waren die Tütchen im Auto nur ein erster Vorgeschmack.

Bei "3D", einer der vielen offiziellen Cannabis-Plantagen in Denver, können die Tourteilnehmer den Entstehungsprozess ihrer Droge beobachten. Hinter dickem Glas sind Hunderte von Pflanzen zu sehen, die unter gelblichem Licht gedeihen - ein Anblick wie aus einem Polizeibericht, nur dass er hier legal ist.

"Unglaublich, wie viel Geld dem Staat früher entgangen ist", meint Derrick Davis (32), der als Botaniker in der Plantage arbeitet. "Gekifft haben die Leute schon immer, aber jetzt kann das Geld sinnvoll eingesetzt werden." 2015 hat Colorado rund 135 Millionen Dollar an Marihuana-Steuern eingenommen. Ein Großteil des Geldes fließt in Schulen, aber auch in Kampagnen gegen Drogenmissbrauch - und in Entzugskliniken.

Ein Joint geht immer

Zurück im Cadillac setzt Timothy Vee seine Brille auf. "Wenn ihr kifft wie ich, ist das Sehvermögen nicht mehr so gut", sagt der Tourguide und lacht über seinen eigenen Witz. Dann dreht er das Gebläse hoch, um den Kopf wieder freizubekommen. Der eingebaute Disco-Laser und das Bob-Marley-Gedudel sind ihm nicht mehr geheuer. Doch ein Joint geht immer. Schnell unterhalten sich wieder alle über ihre Lieblingsprodukte. Die Gespräche drehen sich um Haschkekse, Schmerzlinderung durchs Kiffen und Cannabis-Farmer, die Pflanzen mit verbotenen Pestiziden besprühen.

In einem Außenbezirk von Denver kommt der Cadillac erneut zum Stehen. Hier gibt es 10 000-Dollar-Bongs sehen, die in der Glasbläserei "Illuzions" dargeboten werden. Gleich nebenan liegt "Peak", eine Abgabestelle, in der am Eingang erst mal die Ausweise kontrolliert werden. Genau wie Alkohol ist Marihuana unter 21 Jahren nämlich tabu, Legalisierung hin oder her.

Innen wirkt die Dispensary wie eine Mischung aus Tante-Emma-Laden und Apotheke. Im Regal reihen sich Glasbehälter mit Cannabis-Produkten in allen Formen und Farben; ein unverkennbarer Geruch liegt in der Luft.

Timothy Vee mit seiner Limousine. In Colorado ist Autofahren mit einer Menge von weniger als 5,0 Nanogramm des Cannabis-Wirkstoffs Tetrahydrocannabinol (THC) pro Milliliter Blut erlaubt. (Foto: Steve Przybilla)

60 000 Dollar fürs Finanzamt - in bar

Hinter der Ladentheke plaudert Eigentümer Justin Hinderson mit seinen Kunden. "Das Arbeitsleben in den USA ist so hart, da braucht man ab und zu ein Ventil", sagt er und klagt über bürokratische Hürden, die seine Branche immer noch ausstehen müsse. "Weil Cannabis auf Bundesebene illegal ist, dürfen wir kein Konto eröffnen", erzählt der Geschäftsmann. Einmal im Jahr müsse er deshalb bis zu 60 000 Dollar an Steuern zum Finanzamt bringen - in bar.

Längst toben die Diskussionen darüber, wie weit man die Legalisierung noch treiben darf. In einer Umfrage, die das Gesundheitsministerium von Colorado im Sommer 2015 veröffentlichte, gaben 13,6 Prozent aller Befragten an, regelmäßig zu kiffen. Das ist fast doppelt so hoch wie der amerikanische Durchschnittswert, der zuletzt 2013 erhoben wurde.

Während religiöse Gruppen und Ärzte eher zur Zurückhaltung mahnen, prescht die Tourismus-Industrie weiter vor. Hotels bieten kifferfreundliche Räume an, in Denver steigt ein jährliches "Highlife-Festival", und Timothy Vee ist längst nicht der Einzige, der rauchige Rundfahrten anbietet.

"Fast wie Amsterdam"

Nach drei Stunden hält die Limousine wieder in der Innenstadt von Denver. "Das ist fast wie Amsterdam", jauchzt Angel, als er im Zeitlupentempo aussteigt. "Am besten, ihr raucht das Zeug ziemlich schnell auf", rät Tourguide Vee, denn jenseits von Colorado ist Marihuana nach wie vor verboten. Wobei es für vergessliche Kiffer eine Notlösung gebe. "Am Flughafen stehen Amnestie-Boxen", erklärt Vee. "Wenn ihr euer Zeug bis dahin immer noch bei euch habt, ist das eure letzte Chance."

Mit einem Winken schlägt der Profi-Kiffer die Tür des Cadillacs hinter sich zu. Dann ist er weg, nur die Abgaswolke hängt noch einige Zeit zwischen den Häusern.

© SZ vom 30.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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