Urteil des BGH:Wenn verdeckte Ermittler zum Drogenkauf anstiften

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In Sachen Mietrecht hat der Bundesgerichtshof in Karlruhe das letzte Wort. (Foto: Uli Deck/dpa)
  • Wenn ein Verdächtiger durch einen Polizeispitzel rechtswidrig zu einer Straftat animiert wird, darf er bisher trotzdem bestraft werden.
  • Der Bundesgerichtshof hat diese Praxis jetzt für rechtswidrig erklärt - und riskiert damit einen Konflikt mit dem Bundesverfassungsgericht.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Bisher hat die deutsche Rechtsprechung einen eher wohlwollenden Umgang mit fragwürdigen Ermittlungsmethoden gepflegt. Wenn ein Verdächtiger durch einen Polizeispitzel rechtswidrig zur Begehung einer Straftat animiert worden war, durfte er gleichwohl bestraft werden - allerdings wurde die illegale Staatsaktion meist mit einem Strafrabatt kompensiert.

Nun hat der Bundesgerichtshof (BGH) dieser Praxis teilweise einen Riegel vorgeschoben. Wer durch massiven Druck eines verdeckten Polizeiermittlers gleichsam in die Straftat hineingetrieben wird, darf überhaupt nicht mehr verurteilt werden. Es bestehe ein "endgültiges Verfahrenshindernis", entschied der zweite BGH-Strafsenat unter Vorsitz von Thomas Fischer.

Damit hat der BGH einen überraschenden Schwenk in seiner anderthalb Jahrzehnte alten Rechtsprechung vollzogen. Anlass war ein haarsträubender Fall aus dem Drogenmilieu. Monatelang hatten die Ermittler Telefone und Autos zweier Männer überwacht, die in Drogen- und Geldwäschegeschäfte verstrickt gewesen sein sollen. Als die Abhöraktionen nichts brachten, zog die Polizei die Schrauben an und setzte zwei verdeckte Ermittler ein. Über einen Zeitraum von mehreren Monaten drängten die Undercover-Polizisten die Verdächtigen, große Mengen von Ecstasy-Pillen aus den Niederlanden zu beschaffen. Doch die Männer weigerten sich beharrlich. Erst als einer der Ermittler Druck aufbaute und vorgab, seine Familie sei mit dem Tode bedroht, wenn das Geschäft nicht zustande komme, fädelten sie widerwillig einen Deal ein - und dies, ohne dafür einen Lohn zu fordern. (Az: 2 StR 97/14)

Das Landgericht Bonn hatte sie wegen Beihilfe zum Drogenhandel zu drei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Der BGH hat das Urteil nun aufgehoben und das Verfahren eingestellt - die Angeklagten bleiben straffrei. Niemand dürfe zum Objekt staatlicher Maßnahmen bei der Verbrechensbekämpfung gemacht werden, sagte der Senatsvorsitzende Fischer: "Das ist eine Instrumentalisierung des Menschen, die von der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht gedeckt ist."

Drogendealer wider Willen

Auslöser des Grundsatzurteils war eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Oktober des vergangenen Jahres - auch damals ging es um einen Drogendealer wider Willen. Der Straßburger Gerichtshof hatte gefordert, rechtswidrige Ermittlungsmethoden müssten in Deutschland schärfer sanktioniert werden, entweder durch eine Sperre für die dadurch gewonnenen Beweise oder durch ein Verbot, solche Täter überhaupt vor Gericht zu stellen. Die bisherige Lösung des BGH, lediglich eine mildere Strafe zu verhängen, sei damit "obsolet", sagte Fischer. Der BGH müsse das Straßburger Urteil umsetzen, um weitere Verurteilungen Deutschlands zu vermeiden.

Allerdings hat der Senat offengelassen, ob seine neue rechtsstaatliche Strenge nur für besonders krasse Fälle gilt, in denen die Ermittler Verdächtige unter Druck gesetzt haben - oder auch für sanftere Formen polizeilicher Anstiftung, die das Menschenrechtsgericht ebenfalls zurückdrängen will. In jedem Fall dürfte noch nicht das letzte Wort zu diesem Thema gesprochen sein. Denn mit seinem Urteil hat der zweite Strafsenat einen kühnen Alleingang unternommen. Erstens hat er die übrigen vier BGH-Strafsenate nicht einbezogen - was dort üblicherweise nicht goutiert wird. Zweitens könnte ihm ein Konflikt mit dem Bundesverfassungsgericht bevorstehen, das erst im Februar die deutsche Strafrabatt-Lösung gebilligt hatte - ausdrücklich auch nach dem strengen Maßstab des Menschenrechtsgerichts.

Zwar lässt der Beschluss des Verfassungsgerichts durchaus Spielraum für eigene Lösungen des BGH, der nun mal zuvorderst für die konkrete Anwendung des Strafrechts zuständig ist. Jedoch ist das Verfassungsgericht ersichtlich der Meinung, im Normalfall könne auch der staatlicherseits angestiftete Täter verurteilt werden. Dass der Staat wegen rechtswidriger Tatprovokation seinen Strafanspruch vollständig verwirke, komme "nur in extremen Ausnahmefällen" in Betracht.

© SZ vom 11.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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