Timo Kraus:Wie ein HSV-Mitarbeiter auf dem Heimweg verschwand

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Taucher suchen in der Elbe nach dem HSV-Mitarbeiter Timo Kraus (Foto vom 12. Januar 2017). (Foto: Bodo Marks)

Seit fast zwei Wochen sucht die Hamburger Polizei einen Familienvater und Mitarbeiter des Bundesliga-Vereins. Handydaten und ein Zeuge helfen bei der Rekonstruktion - doch der Fall bleibt mysteriös.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Ein Familienvater geht an einem Samstagabend aus dem Haus und fährt zu einem Fest mit Kollegen. Er ist 44 Jahre alt, verheiratet, hat zwei Kinder und einen guten Job: Leiter der Abteilung Merchandising beim Hamburger SV. Man trifft sich in einem Lokal an den Landungsbrücken, einem der bekanntesten Orte der Hansestadt. Es wird offenbar viel getrunken, gegen 23.30 Uhr sitzt Timo Kraus im Taxi. Er kommt aber nie zu Hause in Buchholz in der Nordheide an. Seine Spur verliert sich 150 Meter von der Gaststätte "Blockbräu" entfernt, in der er gefeiert hatte, direkt an der trüben Elbe.

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Was geschah in dieser Stunde vom 7. auf den 8. Januar 2017? Und: Wie kann ein erwachsener Mann mitten in einer ziemlich sicheren deutschen Metropole vom Erdboden verschwinden? Das fragen sich nicht nur seine verzweifelten Angehörigen und Freunde. Die Ermittler gehen davon aus, dass Timo Kraus in den Fluss gefallen und ertrunken ist. Es war dunkel, kalt, neblig, spiegelglatt, und eine Menge Alkohol war auch im Spiel. Kraus könnte ausgerutscht sein. Das letzte Signal seines Mobiltelefons ortete seine Frau nach seinem Verschwinden über einen privaten Dienst um 0.40 Uhr bei Brücke 1, seither ist es ausgeschaltet. Ein Spürhund der Polizei nahm wenige Tage später seine Witterung auf, folgte ihr bis zum grün-weiß-roten Museumsdreimaster Rickmer Rickmers und verlor sie erst am Wasser. Doch bislang wurde trotz Taucheinsätzen nichts entdeckt, was seinen Tod beweist.

Für Hauptkommissar Jan Krüger von der Polizeiinspektion in Buchholz ist der Fall ein weiteres Rätsel. Es gebe keinen Hinweis auf eine Straftat, sagt er, die einzige Tendenz deute auf ein Unglück. Aber "die Gesamtumstände sind hier so mysteriös". Krüger hat bereits seit Juli 2016 mit dem Schicksal der Schulzes aus Drage zu tun, damals verschwand von einem Tag auf den anderen eine Kleinfamilie. Marco Schulze wurde eine Woche später tot aus der Elbe gezogen, mutmaßlich Suizid. Seine Frau und seine Tochter wurden bisher nicht gefunden. Nun zählt also auch Timo Kraus zu jenen Menschen, für die es dieses furchtbare Wort gibt: vermisst.

SZ-Karte (Foto: a)

Hinweise und Erkenntnisse machen seine Causa noch seltsamer

Weltweit sind unzählige Menschen verschollen, im Krieg, aber eben auch im Frieden. Und selbst im geordneten Deutschland waren im April 2016 rund 18 400 Vermisste gemeldet. Etwa zwei Drittel der Gesuchten sind dem BKA zufolge männlich, die Hälfte Kinder und Jugendliche. 80 Prozent der Fälle sind binnen weniger Tage oder Wochen geklärt, vor allem die Kinder kommen meist schnell zurück. Nur drei Prozent, so die Statistik des Bundeskriminalamts, werden länger als ein Jahr vermisst. Dahinter kann ein versteckter Suizid stecken, ein Mord, ein Unfall oder auch Flucht. Bei Timo Kraus deutet vieles auf eine Tragödie hin, aber man weiß es nicht.

Die Handydaten von Timo Kraus machen sein Verschwinden noch rätselhafter. (Foto: oh)

Timo Kraus, 1,83 Meter groß, Vollbart, Halbglatze, dunkles Resthaar, Brille. Hinweise und Erkenntnisse machen seine Causa noch seltsamer. Die Fahnder glauben, dass Kraus im Taxi nur einen Kilometer Richtung Osten unterwegs war und am Nikolaifleet umdrehte. Das passt zu Handydaten, Hundefährte und der Aussage eines Zeugen, der ihn nach Mitternacht auf den Landungsbrücken gesehen haben will. Demnach trug Kraus da anders als vorher beim Abschied aus dem "Blockbräu" keine beigefarbene Winterjacke mit Fellkragen mehr, sondern nur noch seinen grauen Pulli mit HSV-Emblem. Unklar ist auch, ob er zurückgefahren wurde oder zu Fuß ging.

Seit Tagen versuchen Polizisten, den anscheinend dunkelhäutigen Taxifahrer ausfindig zu machen, bei dem Kraus eingestiegen sein soll. Für Hinweise wurde sogar eine Belohnung ausgesetzt. 6000 Taxifahrer seien in Hamburg registriert, "die alle einen guten Job machen", so der Leiter der Hamburger Suchaktion, Kriminalhauptkommissar Jürgen Schubbert. Es könne nicht sein, dass sich der dringend benötigte Zeuge nicht melde. Er könnte seine Gründe haben, ahnt Jan Krüger von der Polizei in Buchholz. Vielleicht besitze der Chauffeur keine Lizenz. Vielleicht sei es kein richtiges Taxi gewesen, doch auch das ist nur eine Hypothese.

Nachts ist an den Landungsbrücken nichts los, sagt ein Barkassenkapitän

Piraten der Straße kennt man eher aus Mexiko-Stadt. Aber von den Landungsbrücken in Hamburgs St. Pauli? Dies ist ein Postkartenmotiv, beliebt bei Einheimischen und Touristen, gewöhnlich so schön und gefahrlos wie ein Spaziergang an der Alster: Unten glitzert die Elbe mit ihren Schiffen, hinten glänzt die Elbphilharmonie. Drüben liegen die Trockendocks der Werft Blohm & Voss und die Musicalhallen. Möwen kreischen, Passanten essen Fischbrötchen, ein Mann mit Schifferklavier spielt Seemannslieder. "Ihr sicherer Hafen!", steht auf Linienbooten, die Werbung einer Versicherung.

Nachts indes "ist hier Totentanz", brummt ein stämmiger Barkassenkapitän. Jedenfalls sei in ungemütlichen Winternächten zu später Stunde wenig los. Es gibt auch keine Überwachungskameras. Wer in die Fluten fällt, der sollte wegen der Strömung ein guter Schwimmer sein, vier Grad Wassertemperatur, da überlebt man nicht lange. Noch dazu bei Dunkelheit und Eisregen. Die Pontons ohne Begrenzung sind vor allem für Kinder schon tagsüber tückisch. Eine Fünfjährige war da 2014 in die Elbe gestürzt, wurde erst nach 30 Minuten gerettet und reanimiert.

Nach dem HSV-Mitarbeiter Kraus tauchten nun 18 Spezialisten, sie tasteten sich bei miserabler Sicht an Seilen neben und unter der schwimmenden Plattform entlang. Er könnte abgetrieben worden sein oder sich irgendwo verfangen haben, das geht schnell. Die Elbe wirkt träge und ist doch ein kräftiger Strom.

Am vergangenen Wochenende schlugen dann drei Schiffsführer Alarm. In der Nähe des Museumshafens Övelgönne, einige Kilometer flussabwärts, treibe etwas, das aussehe wie eine Leiche. Polizei und Feuerwehr rückten mit Booten und Hubschraubern aus, fanden aber nur einen Baumstamm. Inzwischen gäben Anrufer vor allem "gut gemeinte Ermittlungsratschläge", sagt Kommissar Krüger. Niemand weiß oder verrät, wie Timo Kraus verschwand.

© SZ vom 18.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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