Scientology-Funktionärin kritisiert die Sekte:Strickkurse und Protzbauten

Kritik aus den eigenen Reihen gibt es äußerst selten für Scientology. Umso erstaunlicher sind die harten Vorwürfe einer hochrangigen Funktionärin der Sekte. Sie prangert die aggressive Geldbeschaffung und fragwürdige Freizeitangebote an.

Jörg Häntzschel, New York

Prominente Scientology-Aussteiger, die mit den Praktiken der Kirche abrechnen, gibt es immer wieder. Zuletzt vor einem Jahr, als der Drehbuchautor Paul Haggis (Million Dollar Baby) der Zeitschrift New Yorker schilderte, warum er nach 35 Jahren mit Scientology brach. Doch Kritik an der Sekte von überzeugten Mitgliedern ist äußerst selten. Umso mehr Aufsehen hat die Brandmail erzeugt, die eine prominente Scientology-Funktionärin am Neujahrstag an 12 000 Mitglieder der Sekte verschickt hat. Debbie Cook, die bis vor einigen Jahren eine hohe Angehörige der Scientology-Kaderabteilung Sea Org war, prangert in ihrem ausführlichen Schreiben die aggressiven Geldbeschaffungs-Methoden der Kirche an. Die Kirche verschwende ihre Millionen für protzige Gebäude. Außerdem wirft sie dem Scientology-Führer David Miscavige vor, die Organisation autokratisch zu führen. All das verletze die Prinzipien und Lehren des 1986 gestorbenen Scientology-Gründers und Science-Fiction-Autors Ron Hubbard, dessen Direktiven sie in ihrer Mail immer wieder zitiert.

Scientology wirft ARD Kampagne vor

Rotes Licht für Scientology aus den eigenen Reihen? Eher selten. Doch eine Funktionärin der Sekte rechnet in einem Neujahrsbrief mit der Führungsetage ab.

(Foto: dpa)

Wie ungewöhnlich Cooks Vorstoß im auf Gehorsam und Loyalität fußenden Scientology-Milieu erscheinen muss, lässt sich schon daran ablesen, dass sie wieder und wieder betont, keineswegs vom rechten Glauben abgefallen zu sein: "Ich bin vollkommen überzeugt von der Technologie von Dianetik und Scientology und den Werken von Ron Hubbard" schreibt sie und stellt sich demonstrativ auf die Seite der Scientology-Verteidiger: "Wir sind zusammen durch alles gegangen, was einem diese Welt an den Kopf werfen kann."

Bingo und Strickkurse

Dann jedoch holt sie selbst zum Schlag aus: Hubbard habe einen bescheidenen Mitgliedsbeitrag vorgesehen, der von der örtlichen Scientology-Gemeinde zum Anwerben neuer Mitglieder zu verwenden sei. Heute jedoch würden die Gemeinden durch die Kirchenverwaltung zu immer aggressiverem Spendensammeln gezwungen. Auch für Bingo oder Strickkurse sei man sich nicht zu schade, Hauptsache, die Spendenquoten würden erfüllt. Und statt diese Gelder dann für das Wachstum der Kirche auszugeben, horte man sie oder gebe sie für extravagante Gemeindezentren aus. Hubbard hingegen war von bescheiden ausgestatteten Scientology-"Orgs" ausgegangen: "sauber und attraktiv genug, dass sie die Öffentlichkeit nicht abschrecken", sollten sie sein, mehr nicht.

Cook beklagt außerdem, dass die von Hubbard eingesetzten Führungsfiguren offenbar von ihren Posten entfernt worden seien: "David Miscavige ist der Führer von Scientology geworden", schreibt sie. Doch "es sollte nie einen anderen ,Führer' geben als Hubbard selbst". Sie schließt mit einem offenen Aufruf an die Mitglieder, kein Geld mehr für zweifelhafte Projekte zu geben; sich zweifelhaften Fundraising-Methoden zu verweigern und den Schriften Hubbards treu zu bleiben.

"Wenn jemand von diesem Format die Sachen beim Namen nennt, wird das Wirkung zeigen"

Mittlerweile hat Scientology auf Cooks Vorwürfe reagiert. Sie "reflektieren eine kleine, unwissende und unaufgeklärte Sicht der Welt von Scientology", erklärte Karin Pouw, die Sprecherin der Organisation.

Die New Yorker Stadtzeitung Village Voice, eines der wenigen amerikanischen Medienorgane, die das Thema aufgriffen, befragte ehemalige Scientology-Insider nach ihrer Einschätzung des internen Aufrufs zur Revolte. Der Schauspieler Jason Beghe, der die Scientology-Kirche 2008 verließ, erklärte in dem Blatt: "Wenn jemand von diesem Format die Sachen beim Namen nennt, wird das Wirkung zeigen. ...Es geht darum, den armen Schweinen in dieser Sekte zu helfen. Diese Mail wird viel dazu beitragen, glaube ich. Ich bin sicher, Hunderte sagten sich: Verdammt noch mal!, und werden etwas begreifen."

Leicht wird es für die Scientology-Kritiker aber sicher nicht werden: "Natürlich wird es jetzt eine Kampagne gegen sie geben. Sie werden ihre Standard-Routine anwenden", sagte Regisseur Beghe. Damit meinte er die bei Scientology üblichen Verfahren, missliebige Mitglieder zu Unpersonen zu erklären. "Aber das ist nur gut. Mit jedem Mal werden diese Methoden etwas weniger effektiv", meinte Beghe. Über die Sektenmitglieder sagte er, sie seien in einer "Trance". "Aber irgendwann werden sie aufwachen. Hoffentlich."

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