Saudi-Arabien:Ein Tag, der das Leben in Saudi-Arabien verändern dürfte

Das weltweit einzigartige Frauen-Fahrverbot in Saudi-Arabien ist seit diesem Sonntag Geschichte. Zwei Frauen und zwei Männer erzählen, was das für sie bedeutet.

Von Paul-Anton Krüger und Dunja Ramadan

Das weltweit einzigartige Frauen-Fahrverbot in Saudi-Arabien galt lange als Symbol schlechthin für die Rückständigkeit und Frauenfeindlichkeit des Königreichs. Dabei gibt es kein Gesetz, kein religiöses Gebot, das ihnen verbietet, Fahrzeuge zu steuern - der Staat stellte Frauen einfach keinen Führerschein aus.

Versuchten sie, das mit einer im Ausland erworbenen Fahrerlaubnis zu umgehen, wurden sie inhaftiert, zum Beispiel die Aktivistin Loujain al-Hathloul, die im November 2014 aus den Emiraten kommend nach Saudi-Arabien gefahren war und sich selbst filmte. Proteste von Frauen gegen das Verbot hatte es bereits seit den Neunzigern gegeben.

Kronprinz Mohammed bin Salman, der seinem Land wirtschaftliche und gesellschaftliche Reformen verordnet hat, sagte noch im April 2016, Saudi-Arabien sei nicht bereit für Fahrerinnen. Er gilt aber als entscheidende Figur hinter dem königlichen Dekret vom September 2017, das die weltweit kritisierte Praxis beendete. Seit einigen Tagen stellen die Behörden Führerscheine an Frauen aus, von diesem Sonntag an dürfen sie damit fahren. Der Kronprinz will Frauen stärker in die Arbeitswelt integrieren. Bisher waren sie von einem Chauffeur oder Mitfahrdiensten abhängig.

Haton al-Olayan, 26, Grafikdesignerin

"Wir sparen Geld"

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(Foto: N/A)

"Ich bin gespannt auf die Atmosphäre. Meine Freundinnen und ich werden uns auf jeden Fall ans Steuer setzen, ich werde zum ersten Mal mit dem Auto zur Arbeit fahren. Ich habe acht Jahre lang in den USA studiert und bin dort jeden Tag Auto gefahren. Ich hatte keine andere Wahl, wir haben außerhalb der Stadt gelebt, die Busverbindungen waren so schlecht, dass mein Vater mich überredet hat, einen Führerschein zu machen, damit ich unabhängiger bin. Und jetzt geht das in Saudi-Arabien. Mein Leben wird sich zwar nicht schlagartig verändern, aber ich freue mich für all die Saudis, deren ganzes Gehalt für einen Chauffeur draufgegangen ist und deren Leben jetzt leichter wird. Bislang hatte ich immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich im Restaurant saß und mein Chauffeur draußen in der Hitze warten musste. Jetzt kann ich freier entscheiden, wie lange ich wo bleibe. Außerdem sparen wir als Familie Geld, die Benzinpreise sind in den letzten Monaten stark gestiegen. Früher ist der Chauffeur wegen mir oft viermal hin- und hergefahren. Ich habe mir noch kein Auto gekauft, aber wenn, dann muss es ein Geländewagen sein: Je höher ein Auto ist, desto sicherer fühle ich mich." (Foto: privat)

Mohamed Ibrahim, 36, Chauffeur

"Ich hatte nie Sorge"

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(Foto: N/A)

"Dem Sonntag sehe ich gelassen entgegen. Ich arbeite seit acht Jahren für eine Familie und werde das auch in Zukunft machen. Selbst wenn die Frauen in der Familie ab Sonntag selbst das Steuer übernehmen, werde ich eben die Männer und Kinder weiter zur Arbeit oder in die Schule fahren. Ich mache meine Arbeit gerne und hatte nie Sorge, dass mir gekündigt wird. Am liebsten fahre ich den Mercedes, die Familie hat aber noch einen BMW und einen Lexus. Bei anderen Chauffeuren höre ich eine gewisse Verunsicherung heraus, aber wie es dann wirklich für sie ausgeht, werden wir erst ab Sonntag erfahren. Ich jedenfalls werde meinen Chef am Sonntag ganz normal zur Arbeit fahren." Chef, aus dem Hintergrund rufend: "Ich könnte auf alle Frauen und Männer dieser Welt verzichten, aber nicht auf meinen Mohamed. Er ist loyal, zuverlässig und immer für mich da. Er ist ein Teil der Familie, den gibt man nicht so schnell her. Aber natürlich finden wir es gut, dass die Frauen nun Autofahren können. So werden sie selbständiger und tragen mehr Verantwortung - und dann wissen sie auch, wie stressig wir Männer es oft im Alltag haben." (Foto: privat)

Mohamed Mokhtar, 29, Pharmazeut

"Eine Umgewöhnung"

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(Foto: N/A)

"Ich bin etwas besorgt, wie das alles ab Sonntag ablaufen wird. Saudi-Arabien hat eine der höchsten Unfallraten in der arabischen Welt. Ich behandle häufig Patienten, die schwer verletzt sind, weil sie waghalsige Stunts oder Autorennen veranstaltet haben, die schief gegangenen sind. Wenn sich nun viele unerfahrene Frauen ans Steuer setzen, könnte sich die Situation noch verschlechtern. Man darf nicht vergessen, dass in Saudi-Arabien eine sehr strenge Geschlechtertrennung herrscht. Bislang war es so geregelt, dass Familien die hinteren Scheiben im Auto verdunkeln konnten, um die Frauen vor Männerblicken zu schützen. Ich komme aus Ägypten, meine Mutter fährt Auto seitdem ich denken kann, deshalb ist das für mich persönlich kein großes Ding. Aber für meine saudischen Freunde, die andere Traditionen haben als wir Ägypter, wird es schon eine Umgewöhnung, denke ich. Die saudische Regierung hat allerdings vorgesorgt: Die ganze Autodienstleistungsbranche ist weiblicher geworden. Hat eine Frau eine Autopanne, hilft ihr ein weiblicher Pannendienst. Wir werden ab Sonntag sehen, ob sich das Geschlechterverhältnis dadurch insgesamt irgendwie verändert." (Foto: privat)

Huda AlAfaliq, 27, Vermögensverwalterin

"Sofort losfahren"

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(Foto: privat)

"Ich habe mich schon vor längerer Zeit in einer Fahrschule angemeldet, habe aber noch keine Bestätigung bekommen. Die Wartezeiten sind lang, weil im Moment natürlich viele Frauen den Führerschein machen wollen. Tatsächlich gibt es zwei Lager: Auf der einen Seite die Leute, die wahnsinnig toll finden, was da gerade passiert und den Führerschein am liebsten schon in der Tasche hätten. Auf der anderen Seite Frauen, die nicht davon ausgehen, dass sich für sie viel verändert und die sich das Ganze erst mal in Ruhe anschauen wollen, bevor sie in ein, zwei Jahren entscheiden, ob sie am Steuer sitzen wollen oder nicht. Ich selbst gehöre zur ersten Kategorie. Am liebsten würde ich sofort losfahren. Ich versuche zwar, geduldig zu sein, aber es fällt mir schwer. Deshalb habe ich schon mal heimlich auf einem Parkplatz geübt. Gesellschaftlich wird sich durch die Aufhebung des Verbots einiges ändern. Frauen werden sich auf dem Arbeitsmarkt neue Bereiche erschließen. Ich kenne mehrere, die gut ausgebildet sind, aber nicht arbeiten, weil der Arbeitsweg ohne eigenes Auto zu beschwerlich ist. Auch wenn ich meinen Führerschein noch nicht habe, werde ich am Sonntag nach draußen gehen, um diesen historischen Tag mitzuerleben." (Foto: privat)

Freiheit aber gewährt der Prinz nicht: Seit Mitte Mai nahm der Sicherheitsapparat mindestens neun Frauen in Haft, die für eine Ende des Fahrverbots gekämpft hatten und fordern, das System der männlichen Vormundschaft zu beenden. Staatsnahe Medien bezichtigten die Aktivistinnen des Verrats. Sie werden den Tag ihres Triumphes wohl hinter Gittern verbringen. Dennoch ist der Sonntag ein Tag, der das Leben der Menschen im Land verändern dürfte. Die SZ hat zwei Frauen und zwei Männer in Saudi-Arabien befragt.

© SZ vom 23.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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