Sadistische Paare:Wenn Frauen für ihre Männer foltern

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Auf ihrem Hof in Höxter-Bosseborn (links) soll das Ehepaar Wilfried und Angelika W. mehrere Frauen gequält haben. (Foto: Getty Images)

Warum hilft eine Frau ihrem Ehemann, andere Frauen zu versklaven? Fälle wie in Höxter gab es häufiger. Über sadistische Paare - und die Motivation der Komplizinnen.

Von Violetta Simon

Vertraue niemals einem Fremden. Überlege dir genau, zu wem du ins Auto steigst. Fahre nur mit, wenn eine Frau im Wagen sitzt. Das waren Colleen Stans Faustregeln, als sie 1977 durch Kalifornien trampte. Zwei männliche Fahrer hatte die junge Anhalterin zuvor weitergewinkt, erst zu einem Ehepaar mit kleinem Baby stieg die damals 20-Jährige ein. Eine Entscheidung, die sie für den Rest ihres Lebens bereuen würde.

Eine Ehefrau und Mutter, die ihrem Mann hilft, Frauen zu foltern und zu vergewaltigen, ist eine absurde Vorstellung. So absurd, dass Colleen Stan diese Option nicht in Betracht zog. Was die junge Frau nicht wissen konnte: Cameron und seine Frau Janice Hooker hatten einen Deal. Janice gestand ihrem Mann eine Sexsklavin zu, an der er seine sadistischen Fantasien ausleben konnte - damit sie nicht dafür herhalten musste.

Cameron Hooker vor dem Beginn seines Prozesses im Jahr 1985, in dem er zu 104 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. (Foto: imago/ZUMA Press)

Für Colleen Stan bedeutete dieser Deal, sieben Jahre lang Tag und Nacht in einer sargähnlichen Kiste eingepfercht zu sein, die sich unter dem Ehebett des Paares befand. Nur eine Stunde am Tag durfte sie raus, bekam Essen, konnte die Toilette benutzen - und wurde vergewaltigt.

Ein bisher einmaliger Fall in der Geschichte des FBI, der im Herbst, fast 40 Jahre später, unter dem Titel "Girl in a Box" in den US-Kinos gezeigt wurde. Besonders unerträglich erscheint das Grauen darin, weil es durch die Unterstützung einer anderen Frau ermöglicht wurde - der Ehefrau des Täters.

In ihrem aktuellen Buch "Sadisten" beschreibt Lydia Benecke unter anderem die Geschichten und Motivationen sadistischer Paare. Die Kriminalpsychologin glaubt nicht, dass weibliche Mittäter ausnahmslos sadistisch im eigentlichen Sinne sind. "Die meisten leben ihre Aggressionen aus, weil sie davon profitieren", erklärt Benecke, die sich als Straftätertherapeutin seit Jahren mit der Gedankenwelt von Schwerverbrechern auseinandersetzt.

In ihrem Buch erklärt sie auch, warum persönlichkeitsgestörte Menschen einander intuitiv als Partner wählen. "Gerade Frauen mit einem niedrigen Selbstwertgefühl fühlen sich zu egozentrischen, dominant auftretenden Männern hingezogen", sagt die Psychologin. "Durch die Verbindung mit dem Partner versprechen sie sich - bewusst oder unbewusst - Schutz und Teilhabe an dessen Stärke."

Janice ist 15, als sie Cameron Hooker trifft. Die schüchterne Epileptikerin ist bei den Jungs nicht gerade begehrt. In der Ehe fühlt sie sich von den extremen Bedürfnissen ihres Mannes überfordert. Dass sie sie nicht befriedigen kann, beunruhigt sie. Aus Angst, Cameron zu verlieren, unterstützt sie ihn bei der Entführung von Colleen Stan. So wird aus der unzulänglichen Ehefrau eine Komplizin.

Auch in dem berüchtigten Haus im nordrhein-westfälischen Höxter lebten die Täter in einer solch abnormen Dreierkonstellation mit ihren Opfern. Denn außer Wilfried W., der über Zeitungsinserate bindungswillige Frauen in den Saatweg 6 lockte, wohnte in dem ehemaligen Gutshof noch eine weitere weibliche Person: Angelika W., die Exfrau von Wilfried W. (die beiden ließen sich 2013 scheiden, aber nur aus finanziellen Gründen). Vor dem Landgericht Paderborn sagte die 47-Jährige aus, sie sei 1999 in dem Wissen eingezogen, dass sie sich ihrem Ehemann unterordnen müsse. Es hätten strenge Regeln geherrscht, die sie zu befolgen hatte.

Landgericht Paderborn
:Angeklagte Angelika W. spricht über eigenes Leid in Höxter

Angelika W. und Wilfried W. stehen vor Gericht, weil sie mindestens zwei Frauen getötet haben sollen. Die 47-Jährige macht ihrem Ex-Partner vor Gericht schwere Vorwürfe.

Vor den Frauen gab sich ​Angelika W. als seine Schwester aus. Über Jahre hinweg soll sie Wilfried W. dabei geholfen haben, seine Opfer zu ködern, als Leibeigene zu halten und zu foltern. Insgesamt gehen die Ermittler von mindestens acht Frauen aus, die in dem Haus gefangen gehalten und misshandelt wurden, für mindestens zwei von ihnen endete das Martyrium mit dem Tod.

Noch ist nicht in allen Einzelheiten klar, was in dem Haus passierte. Doch ein Motiv scheint sich abzuzeichnen: "In der Dreiecksbeziehung ging es darum, Macht auszuüben auf diese Frauen", sagte Staatsanwalt Ralf Meyer aus Paderborn bei einer Pressekonferenz. Der Chef sei Wilfried W. gewesen, sein Wort war Gesetz - und Angelika W. musste es in die Tat umsetzen.

Musste sie wirklich? Hätte sie ihn nicht verraten und dem Wahnsinn ein Ende bereiten können?

Vor Gericht schildert Angelika W. detailliert, wie sie selbst jahrelang von ihrem Exmann gequält und gedemütigt wurde. Warum sie dennoch bei ihm blieb, darauf hat sie keine Antwort. Kriminalpsychologin Benecke leitet jedoch eine Erklärung aus vergleichbaren Fällen ab: "Durch die gemeinschaftliche Erniedrigung anderer Frauen steigt die Partnerin in der Hierarchiekette nach oben." Das Opfer diene quasi als "Trittbrett" für den Aufstieg - vom Opfer zur Mittäterin.

Ein Blick in die Historie sadistischer Straftaten ( siehe Infobox) zeigt, dass ein Verbrechen wie das von Höxter zwar außergewöhnlich in seiner Grausamkeit ist, das Tatmuster sich jedoch in den meisten Fällen ähnelt: Immer wieder haben Frauen ihre Partner dabei unterstützt, ihre Machtfantasien auszuleben.

"Manche Frauen haben eine solch panische Angst davor, von ihrem Partner verlassen zu werden, dass sie bereit sind, alles zu tun, um seine Bedürfnisse zu befriedigen", sagt Benecke. Indem sie das dunkle Geheimnis mit ihm teilen, hoffen sie, ihn an sich zu binden. Jegliche Empathie für die Opfer werde dabei von einer anderen Empfindung überdeckt: "der Erleichterung, endlich nicht mehr der Fußabtreter zu sein".

Bei Verbrechen, die von Paaren begangen wurden, fällt auf, dass die weiblichen Komplizen kein konkret autonomes Motiv, aber immer ein schlüssiges Erklärungsmuster hatten, das auf ihre passive Rolle verweist: Wäre das nicht passiert, hätte ich jenes nicht getan. "Bei aggressiven Ausbrüchen des Partners fallen die Frauen jedes Mal wieder in ihre Opferrolle zurück", erklärt die Psychologin. Dadurch können sie die eigene Täterschaft relativieren - oder völlig ausblenden.

Auch Angelika W. wäre nie auf die Idee gekommen, Wilfried W. zu verraten. Erst als das letzte Opfer von Höxter im April 2016 in einem Krankenhaus an den Folgen der Misshandlungen starb, flog das Paar auf.

Annika K. war da bereits seit zwei Jahren tot. Die damals 33-Jährige war 2013 zu Wilfried W. in das Bauerngehöft gezogen. Als das entkräftete Opfer nach einem Jahr schwerster Misshandlungen schließlich bei einem Sturz ums Leben kam, musste seine Frau die Leiche zerstückeln und beseitigen. Wie Angelika W. vor Gericht begründete, könne Wilfried W. kein rohes Fleisch anfassen.

In der Hoffnung, sich seine Liebe zu sichern, assistieren Frauen wie Angelika W. und Janice Hooker bereitwillig ihren krankhaft veranlagten Partnern. Um ihren Mann nicht zu verlieren, duldete Hooker, dass unter dem gemeinsamen Ehebett die entführte Colleen Stan in einer Kiste vegetierte. Mochte die Situation auch noch so absurd sein, Janice betrachtete sie als unausweichlich - andernfalls hätte Cameron sie verlassen. Die Option, einen Menschen seiner Freiheit und Würde zu berauben, erschien ihr naheliegender, als ihren Mann anzuzeigen.

Am Ende verdankte das Opfer seine Rettung einem ziemlich profanen Gefühl: Eifersucht. Als Janice Hooker klar wurde, dass ihr Mann sich immer mehr zu Colleen Stan hingezogen fühlte und die Sexsklavin allmählich die Position der Zweitfrau einnahm, ließ sie die junge Frau frei.

Den Verrat gegen ihren Mann begründete Janice ebenso wenig mit dem gesunden Menschenverstand wie ihre bis dahin andauernde Mittäterschaft: Es sei gegen Gottes Gebote, zwei Frauen zu haben, lautete ihre Erklärung. Diese hatte sie sich zurechtgelegt, nachdem sie sich einem Priester anvertraut hatte. Dass es sich um Entführung, Vergewaltigung und Folter handelte, hatte sie ihm gegenüber nicht erwähnt - sie sprach von einer Dreiecksbeziehung.

Niemals wäre Janice Hooker auf den Gedanken gekommen, sich an die Polizei zu wenden. Sie wollte ihren Mann ja nicht verlieren. Sondern ihn für sich alleine haben.

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