Restaurantkritik als Liebesgeschichte:"Männer sind wie Pizza"

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Kein Tagebuch, kein Roman: Der New Yorker Chase Compton wird verlassen. Um seinen Kummer zu verarbeiten, schreibt er - Restaurantkritiken.

Von Sonja Salzburger

Als Chase Compton an Thanksgiving die Liebe seines Lebens verliert, braucht er viele Monate, um damit klarzukommen. Lange verkriecht er sich in seiner Wohnung und bemitleidet sich selbst. Sein Fernseher wird sein einziger Freund, billiges Fastfood und Zigaretten seine einzige Nahrung. Irgendwann beschließt Compton, über seinen Kummer zu schreiben.

Der 31-jährige New Yorker hätte einem guten Freund davon erzählen können. Er hätte sich seinem Tagebuch anvertrauen können. Er hätte seine Erfahrungen auch als Stoff für einen Roman verwenden können - schließlich will er unbedingt Schriftsteller werden. Doch anstatt eine dieser naheliegenden Möglichkeiten zu wählen, entscheidet er sich für einen anderen Weg. Er verarbeitet seinen Liebeskummer auf der Internetplattform Yelp, einem Empfehlungsportal für Restaurants und Bars. Dort bewertet Compton seine Lieblingslocations, beschreibt zum Beispiel die Kellnerinnen im Café Mogador als "die nettesten Mädchen der Welt", die er am liebsten alle um ein Date bitten würde, wenn er denn nur auf Frauen stehen würde. Das ukrainische Restaurant Veselka hingegen vergleicht er mit einer besonders gemütlichen Jeans, in der er sich immer sehr wohl und geborgen fühlte. Was auf den ersten Blick wie eine kreative Rezension aussieht, ist eine Sammlung versteckter Liebesgeschichten.

Eine Liebe in Bars und Restaurants

Compton hatte den Mann, den er als "die Liebe seines Lebens" bezeichnet, im Internet kennengelernt. Das Paar verbrachte nur wenig Zeit zu Hause und viel Zeit in Bars und Restaurants. Nach den ersten Wochen der Verliebtheit, stritten sie sich, mit der Zeit immer häufiger. So glücklich Compton über seine neue Beziehung war, so unglücklich war er darüber, dass sein lang ersehnter Erfolg als Schriftsteller ausblieb. Während Compton sich außerdem gerne fest binden wollte, hatte sein neuer Partner wenig Interesse an einer ernsten Beziehung. Immer häufiger kam es deswegen zu hitzigen Diskussionen - oft auch vor den Augen peinlich berührter Kellner und Restaurantgäste, wie die Washington Post auf ihrem Style Blog berichtet.

Nach neun Monaten endete die Beziehung endgültig. Spaziergänge durch Manhattan wurden für den verlassenen Compton zur Qual. Jedes Restaurant und jedes Straßencafé lösen in ihm Erinnerungen aus, schöne und schmerzhafte. "Ich werde nie wieder ins Café French Roast gehen können, ohne an den Tag zu denken, an dem sich alles verändert hat, die Dinge eine schiefe Richtung genommen haben", schreibt er zum Beispiel. Einen negativen Einfluss auf seine Restaurantkritiken hat das aber nicht, alle bekommen fünf Sterne, die Höchstpunktzahl.

Der "Guerilla-Blogger"

Obwohl man in seinen Texten nur am Rande von den Speisen und Getränken der jeweiligen Locations erfährt, sind sie bei den Lesern von Yelp äußerst beliebt. Wie die amerikanische Nachrichtenseite Business Insider berichtet, wird der Autor, der sich selbst als "Guerilla-Blogger" bezeichnet, mit E-Mails überhäuft. "Deine Einträge haben meinen Tag komplett verändert", solche Nachrichten bekommt er jetzt.

Statt das kulinarische Angebot zu beschreiben oder darüber zu urteilen, wie höflich sich das Servicepersonal verhält, gelingt es Compton, die Atmosphäre der Restaurants und Bars einzufangen und mit Geschichten zu verknüpfen. Gleichzeitig zeichnet er in seinen Kritiken das Porträt einer jungen Generation von New Yorkern, die in der großen Stadt immer auf der Suche nach Orten ist, an denen sie sich zu Hause fühlt und für die gutes Aussehen und ein durchtrainierter Körper zu den wichtigsten Dingen im Leben zählt ("Being a gay man in New York City, hot is the most important commodity that exists." - "Als Schwuler in New York ist es am allerwichtigsten, dass man begehrenswert ist").

Zudem gibt Compton viel Persönliches preis. Die Leser erfahren zum Beispiel, dass er im Eva's, einem Restaurant mit mediterraner Küche, zu der Erkenntnis gelangte, dass seine Beziehungsprobleme vor allem darauf beruhen müssen, dass er zu dünn sei und zu wenig Selbstbewusstsein habe. Er schreibt von seiner Abneigung gegen Frühstückseier, die er im Schnellimbiss Cafeteria nur seinem Freund zuliebe überwunden hat. Er erzählt, wie er sich bei dem Anblick eines Eiskuchens bei Sundaes and Cones wünschte, es wäre sein Hochzeitskuchen. Nach einem Besuch der Susanna Pizzeria lässt er die Welt an seiner Erkenntnis teilhaben, dass Männer in New York wie Pizzen seien. Dazu schreibt er: "Men and pizza. Pizza and Men. Both will ruin your life if you have too much of them."

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