Prozess um Göttinger Transplantationsarzt:Leber in Wodka

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Die Universitätsmedizin Göttingen - die Richtlinien der Klinik schließen Transplantationen bei Alkoholikern eindeutig aus. (Foto: dpa)

Der Transplantationsarzt von Göttingen soll nicht nur Blutwerte manipuliert haben, um seine Patienten auf der Warteliste für neue Organe weiter oben zu platzieren. Der Anklage zufolge vergab er auch Lebern an Alkoholiker - selbst, wenn diese noch am Tag vor der Operation Wodka tranken.

Von Annette Ramelsberger

Natürlich gibt es auch Menschen, die Knollenblätterpilze essen und dann akut an Leberversagen leiden. Oder Menschen, die sich mit Hepatitis infiziert haben und schwere Leberschäden davontragen. Aber viele Menschen, die eine neue Leber brauchen, haben das Organ selbst geschädigt: Sie sind Alkoholiker.

Und weil es Befürchtungen gibt, dass alkoholkranke Menschen nicht nur ihr altes Organ zu Tode getrunken haben, sondern das auch mit ihrem neuen tun werden, gibt es eine harte Regel: Niemand bekommt ein neues Organ, wenn er nicht sechs Monate lang trocken war. Der Göttinger Oberarzt und Transplanteur Aiman O. aber hat, so steht es in der Anklage, Menschen eine neue Leber verschafft, die noch kurz vor der Operation eine halbe Flasche Wodka am Tag getrunken haben.

Anklage wegen Totschlags und Körperverletzung mit Todesfolge

Doktor O. muss sich in einem aufsehenerregenden Prozess wegen elffachen Totschlags verantworten. Aiman O. habe sich, so die Staatsanwälte, über die Regeln der Bundesärztekammer hinweggesetzt und die Blutwerte seiner Patienten manipuliert, um sie auf der Warteliste für ein neues Organ nach vorne zu hieven. Andere seien dabei übergangen worden - mit möglicherweise tödlichen Folgen. In drei Fällen soll er zudem Patienten operiert haben, die noch gar keine neue Leber brauchten. Sie starben. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Arzt Körperverletzung mit Todesfolge vor.

Es ist gar nicht so leicht, die Vorwürfe auf diesen lapidaren Punkt zurückzuführen, denn zeitweise gleicht der Prozess vor dem Landgericht Göttingen einem wissenschaftlichen Kolloquium. Da dürfen die Verteidiger des Angeklagten immer wieder, während der Zeugenbefragung, ihre rechtlichen Bewertungen abgeben. Da kann sich das Gericht kaum ihrer Schriftsätze erwehren. Mühsam erklärt der Richter den Verteidigern, dass die Kammer die rechtlichen Aspekte der Taten "schon von Amts wegen zu berücksichtigen habe".

Aus dem Juristendeutsch übersetzt heißt das: danke für die Anregungen, aber wir brauchen keine Nachhilfe. Das Göttinger Gericht beschreitet rechtlich neues Terrain. Jahrelang galten Betrügereien mit der Warteliste auf eines der begehrten Organe nur als Ordnungswidrigkeit. Aufgrund der Machenschaften am Göttinger Klinikum und an anderen Krankenhäusern wurden die Strafnormen verschärft - und die Spendenbereitschaft fiel infolge des Skandals deutschlandweit rapide ab.

Arzt soll eigene Richtlinien nicht befolgt haben

Unter den elf Fällen, in denen Doktor O. gegen die Vorschriften transplantiert haben soll, sind etliche Menschen, die ein Alkoholproblem hatten. Dabei schließen die Richtlinien der Uniklinik Göttingen bei Alkoholkonsum ein neues Organ ausdrücklich aus - und Doktor O. hat diese Richtlinien persönlich mitverfasst. Der Richter fragt: "Herr Doktor O., möchten Sie uns mitteilen, wie Sie zu den Richtlinien stehen?" Es herrscht hier Kammerton. Der Verteidiger geht sofort dazwischen. "Der Mandant möchte sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht äußern." - "Und wie stehen Sie zu den Manipulationsvorwürfen? Haben Sie die begangen oder nicht", fragt der Richter. Auch dazu will sich Doktor O. lieber nicht äußern, er lässt die Vorwürfe zurückweisen. Immer dann, wenn es konkret wird, ist Doktor O. sehr schweigsam.

Professor Doktor Tobias Beckurts ist Chefarzt der Chirurgischen Klinik der Augustinerinnen in Köln und Mitglied der Prüfungskommission der Bundesärztekammer, die die Manipulationen am Klinikum Göttingen untersuchte. Er hat selbst jahrelang transplantiert. Und er sieht viele Grenzfälle, wo man transplantieren kann. Aber an einem Punkt kennt er kein Pardon: Ein Alkoholiker muss sechs Monate trocken sein, bevor er für ein neues Organ infrage kommt. "Das hat sonst keinen Sinn, ein Alkoholiker wird sein neues Organ durch Alkohol genauso schädigen wie sein eigenes." Die Karenzzeit habe zudem einen guten Effekt: Manche Leber erholt sich in der Zeit, sodass nicht mehr transplantiert werden muss. Doktor O. hatte zu Beginn des Prozesses eingeräumt, er habe einer Frau eine neue Leber eingepflanzt, die zwei kleine Kinder hatte. Die Frau hatte laut Anklage bis kurz vor der Operation getrunken. Es blieb offen, ob O. auch operiert hätte, wenn er von dem Alkoholmissbrauch gewusst hätte.

Am Dienstag sagte eine Frau aus, die im Auftrag von Doktor O. die Daten in den Computer der Organspendezentrale Eurotransplant eingab. Sie sagte, manchmal sei ihr etwas eigenartig vorgekommen. Dann habe sie bei Doktor O. nachgefragt. Der habe ihr gesagt: "Frau Schmidt, davon verstehen Sie nichts." Einmal habe sie zur Antwort bekommen: "Bleiben Sie entspannt, wir wollen doch Menschen helfen." Doktor O. habe sie und ihren Kollegen immer wieder auflaufen lassen.

Warteliste war nach Überprüfung deutlich kürzer

Nach der Inhaftierung von Doktor O. wurde die Warteliste für Transplantationspatienten im Klinikum Göttingen überprüft. Von den an die 150 Patienten seien viele gestrichen worden, derzeit stünden nur noch 27 Patienten auf der Liste, sagte der Leiter des Transplantationsbüros. Viele Patienten hätten dort nichts zu suchen gehabt.

Einer dieser von der Warteliste genommenen Patienten ist nun gestorben. Und die Verteidigung von Doktor O. hat Anzeige erstattet. Die Staatsanwaltschaft möge prüfen, ob die Streichung ursächlich war für den Tod und ob es noch mehr Tote gebe. So würde sich der Vorwurf, den die Staatsanwaltschaft gegen Doktor O. richtet, gegen das Klinikum kehren: dass es den Tod von Menschen billigend in Kauf genommen habe. Die Staatsanwälte prüfen, halten die Anzeige jedoch für "taktisch motiviert".

© SZ vom 04.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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