Prozess gegen Ex-Bürgermeister von Ludwigsfelde:Vom SPD-Sonnyboy zum Mordverdächtigen

Heinrich Scholl ist angeklagt, seine Frau mit einem Schnürsenkel erdrosselt zu haben. Der bereits Toten soll er noch zwei Faustschläge ins Gesicht versetzt haben. Doch ist der frühere Bürgermeister des brandenburgischen Ludwigsfelde, der sich einst im Dunstkreis der Polit-Elite bewegte, tatsächlich ein brutaler Mörder?

Hans Holzhaider, Potsdam

Ex-Bürgermeister vor Gericht

Auf dem Grab seiner ermordeten Frau legte Heinrich Scholl einen Kranz ab, mit der Inschrift "Dein Heiner". Geste eines Unschuldigen? Oder Beleg für die Kaltblütigkeit eines Mörders?

(Foto: dpa)

Es gibt viele Fotos von Heinrich Scholl, auf denen er breit lächelnd seine makellosen Zähne zeigt - 2004 mit Gerhard Schröder, als der noch Bundeskanzler war, 2005 mit dem damaligen Bundesfinanzminister Hans Eichel, 2006 inmitten des ersten Kabinetts Merkel, das auf Schloss Genshagen bei Ludwigsfelde zur Klausurtagung weilte.

18 Jahre lang war Heinrich Scholl Bürgermeister in der 24.000 Einwohner zählenden Stadt im Süden Berlins, ein Sonnyboy in der brandenburgischen SPD, dynamisch, erfolgreich, wenn auch vielleicht manchmal etwas zu selbstherrlich.

Jetzt hat Heinrich Scholl definitiv nichts mehr zu lachen. Vor dem Landgericht in Potsdam muss der 69-Jährige als Angeklagter erscheinen. Er wird beschuldigt, seine Ehefrau Brigitte, 67, ermordet zu haben.

War es wirklich so?

In den Mittagsstunden des 29. Dezembers 2011, so trägt Staatsanwalt Gerd Heininger vor, habe Scholl seiner Frau, als sie wie üblich ihren Cockerspaniel Ursus in einem Waldstück bei Ludwigsfelde spazieren führte, unvermittelt von hinten einen Schnürsenkel um den Hals gelegt und sie erdrosselt. Dann habe er ihr eine Plastiktüte über den Kopf gezogen, diese mit der Hundeleine fixiert, er habe der Toten zwei Faustschläge ins Gesicht versetzt, sie teilweise entblößt und sie dann mit Erde, Moos und Gras bedeckt. Anschließend habe Scholl auch den Hund erdrosselt und neben der Leiche seiner Frau verscharrt.

Strafbar, so der Staatsanwalt, als Mord und als ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz, weil er ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund getötet habe.

Aber war es wirklich so? Als Heinrich Scholl am 25. Januar 2012 verhaftet wurde, herrschte in Ludwigsfelde ungläubiges Entsetzen. Der Ex-Bürgermeister selbst hatte seine Frau als vermisst gemeldet, hatte sich an der Suche beteiligt, und hatte bei der Beerdigung, nur drei Tage vor seiner Verhaftung, einen Kranz auf das Grab gelegt mit der Inschrift: "Dein Heiner".

Aber andererseits gab es in der Stadt Gerüchte, dass es um Heinrich Scholls Ehe nicht sehr gut stand. Seit 47 Jahren waren Heinrich und Brigitte Scholl verheiratet. Zu DDR-Zeiten war Heinrich Scholl Ingenieur im VEB Automobilwerke Ludwigsfelde. Dort wurden Lastwagen hergestellt. 1990 war Scholl einer der Begründer des SPD-Ortsvereins Ludwigsfelde, und bei der Kommunalwahl im gleichen Jahr wurde er Bürgermeister.

Mit den Lastwagen vom Typ W 50 und L 60 war nach der Wende kein Staat mehr zu machen, dem Industriestandort Ludwigsfelde drohte das Schicksal vieler DDR-Kommunen - wirtschaftlicher Verfall, Tausende Arbeitslose. Aber Heinrich Scholl machte aus der Not eine Tugend.

Viermal wurde er wiedergewählt

Er klapperte westdeutsche Konzernzentralen ab. Die Autobahn, die den Ort durchschneidet, pries er als Standortvorteil, und lockte mit konkurrenzlos niedrigen Gewerbesteuersätzen. Und sie kamen alle: Mercedes und MTU, Thyssen und VW. Die Stadt florierte. So reichlich sprudelten die Steuereinnahmen, dass Scholl seiner Stadt ein überdimensioniertes Spaßbad bauen lassen konnte, die "Kristall-Therme", mit FKK-Betrieb.

Viermal wurde er wiedergewählt, und nur, weil er die Altersgrenze erreicht hatte, musste er 2008 aus dem Bürgermeisteramt scheiden.

Die Liebe zu seiner Ehefrau Brigitte, die im gemeinsam bewohnten Holzhaus in Ludwigsfelde einen Kosmetiksalon betrieb, hatte in dieser Zeit offenbar deutlich gelitten. Nach seiner Pensionierung bezog Scholl eine Mietwohnung in Berlin, und kam nur noch an den Wochenenden nach Ludwigsfelde. Angeblich diente das seiner neuen Tätigkeit als Unternehmensberater, aber es blieb kein Geheimnis, dass er in Berlin mit einer sehr viel jüngeren Thailänderin liiert war. Erst am 1. Dezember 2011 zog er wieder ganz bei seiner Frau in Ludwigsfelde ein.

Zeugensuche per Zeitungsanzeige

Welche Indizien die Staatsanwaltschaft dafür vorlegen kann, dass Heinrich Scholl der Mörder seiner Frau ist, wird sich in dem Prozess, der bis weit ins nächste Jahr hinein terminiert ist, erweisen. Angeblich gibt es DNA-Spuren, die auf Scholl hinweisen, und angeblich soll sein Mobiltelefon zur Tatzeit in der Nähe des Tatorts geortet worden sein.

Scholl selbst bestreitet die Tat. In einer Zeitungsanzeige forschte er Anfang Mai nach Zeugen, die ihn in der Kristalltherme gesehen hätten - dort, so Scholl, habe er sich zur Tatzeit aufgehalten. Offensichtlich meldete sich niemand, der die Staatsanwaltschaft überzeugen konnte. Sechs Wochen später wurde die Anklage erhoben.

Am Abend des 29. Dezember, so berichteten Polizeibeamte am ersten Prozesstag, sei Scholl auf dem Polizeirevier in Ludwigsfelde erschienen und habe das Verschwinden seiner Ehefrau gemeldet. Sie sei, wie jeden Tag, mittags mit dem Hund Gassi gegangen, um 16 Uhr seien sie zum Kaffee verabredet gewesen, aber sie sei nicht erschienen. Er habe im Haus gesucht, sei zu dem Waldstück gefahren, wo sie immer den Hund auszuführen pflegte, habe aber weder sie noch den silberfarbenen Mercedes gefunden, mit dem sie unterwegs war. Er habe Freunde und Bekannte angerufen - vergeblich.

Er schilderte minutiös seinen eigenen Tagesablauf - 10:30 Uhr Tanken, 10:45 bei Aldi, 11:30 auf einer Baustelle in der Therme, danach in der Straße der Jugend, wo er ein Büro einrichten wollte, dann in einem Restaurant in Berlin, um 16 Uhr wieder zu Hause. Von dem Berliner Restaurant legte er ungefragt eine Quittung vor, aber das Alibi zur vermutlichen Tatzeit blieb offensichtlich unbelegt.

Ihr Mandant werde auf Anraten seiner Anwälte von seinem Schweigerecht Gebrauch machen, sagte Verteidigerin Heidemarie Sandkuhl. Nach Auffassung der Verteidigung könnten die bisher ermittelten Indizien keine tragfähige Grundlage für eine Verurteilung schaffen.

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