Prozess:"Ehrenmord": Hatun Sürücüs Brüder stehen in der Türkei vor Gericht

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Gedenkstein der erschossenen Hatun Sürücü in Berlin (Foto: dpa)
  • Zwei Brüder der am 7. Februar 2005 in Berlin erschossenen Hatun Sürücu stehen in der Türkei erneut vor Gericht.
  • Im ersten Prozess um den sogenannten Ehrenmord in Berlin waren die beiden aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden. Später wurde das Urteil vom Bundesgerichtshof aufgehoben.
  • Sie sollen dem jüngsten Bruder und Mörder ihrer Schwester beim Planen der Tat geholfen haben.

Von Tanja Mokosch

Am 7. Februar jährt sich Hatun Sürücüs Todestag zum elften Mal. Die 23-Jährige wurde in der Nähe einer Bushaltestelle im Berliner Stadtteil Tempelhof ermordet. Ihr jüngster Bruder, damals 18 Jahre alt, schoss ihr dreimal in den Kopf. Der Fall machte als "Ehrenmord" Schlagzeilen in ganz Deutschland und über die Landesgrenzen hinaus. Hatuns kleiner Bruder, Ayhan Sürücü, gestand die Tat, nahm die alleinige Schuld auf sich und wurde zu einer Jugendstrafe von neun Jahren und drei Monaten verurteilt. Die beiden mitangeklagten älteren Brüder wurden wegen fehlender Beweise freigesprochen. Nun müssen sie sich noch einmal vor Gericht verantworten - in der Türkei.

Sürücü war Deutsche mit türkisch-kurdischen Wurzeln. Gegen den Willen ihrer Familie wollte sie ein selbstbestimmtes Leben führen. Nach ihrem Tod sollte ihr Name in kaum einer Debatte über archaische Familienverhältnisse, falsch verstandenen Ehrbegriff und misslungene Integration fehlen.

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Der Mord

Ayhan hatte seine Schwester in der Tatnacht aus ihrer Wohnung in Berlin-Tempelhof gelockt. Er hatte sie besucht, die beiden stritten sich. Trotzdem konnte Ayhan Hatun offenbar überreden, ihn nach draußen zu begleiten. Weg von ihrem kleinen Sohn, der in der Wohnung schlief, in die Nähe der Bushaltestelle, wo heute eine Gedenktafel an Hatun erinnert. Die junge Frau hielt eine Kaffeetasse in der einen, eine Zigarette in der anderen Hand. "Bereust du deine Sünden?", fragte Ayhan, bevor er seine Schwester erschoss. Sie musste sterben, "weil sie sich Zwang und Unterdrückung ihrer Familie nicht unterwarf". So steht es auf der Tafel.

Warum stehen die Brüder wieder vor Gericht - und warum nicht in Deutschland?

Schon im August 2007 hatte der Bundesgerichtshof die Freisprüche der Brüder Mutlu und Alpaslan aufgehoben. Wer genau hinter dem Mordplan steckte, ist zwar bis heute unklar - neben der Familie wurde auch ein radikaler Imam verdächtigt. Doch zwischen den Brüdern gingen vor der Tat eindeutige SMS hin und her. Ayhans Ex-Freundin sagte vor Gericht, die Brüder seien nach Hatuns Ermordung "wie im Rausch" gewesen. Einer habe zu Ayhan gesagt: "Ich hab dir doch gesagt, schieß nur einmal auf den Kopf."

Der Prozess gegen die älteren Brüder sollte neu aufgerollt werden, doch die Männer hatten sich inzwischen in die Türkei abgesetzt. Das Land lieferte sie nicht aus, jahrelang wurde daran gezweifelt, ob sich die Verdächtigen jemals verantworten müssen. Dann leiteten die türkischen Behörden doch noch ein eigenes Strafverfahren ein. Im Juli 2015 wurde bekannt, dass gegen die beiden Anklage wegen Mordes erhoben wurde.

Wie stehen die Chancen für eine Verurteilung?

Die drei Brüder wohnen inzwischen zusammen in Istanbul. Dort betreiben sie einen Imbiss. Ayhan wurde nach seiner Haftentlassung im Juli 2014 in die Türkei abgeschoben. "Allein die Tatsache, dass der Prozess stattfindet, ist eine gute Nachricht für die Gerechtigkeit", sagte Berlins Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) dazu. "Ein Mord ist ein Mord." Für das Rechtsempfinden der Menschen sei es nicht gut, wenn der Eindruck entstünde, man könne sich durch Flucht der Verantwortung entziehen.

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Nun wird das Gericht in der Türkei entscheiden, ob die beiden älteren Brüder für den Mord an ihrer Schwester verantwortlich gemacht werden können. Sie weisen die Vorwürfe zurück, geht aus Gerichtsakten hervor. Demnach wollen sie ihren jüngsten Bruder nicht zum Mord an Hatun angestiftet oder ermutigt haben, wie Ayhan bereits im Berliner Prozess beteuert hatte. Die Tatwaffe ist bis heute verschwunden.

"Es muss angenommen werden, dass, wenn auch kein Indiz allein ausreicht, um die Schuld der Verdächtigen zu beweisen, dennoch die Gesamtheit der Indizien den nötigen Beweis liefern kann", heißt aber es in der Anklageschrift beim Istanbuler Strafgericht. Die Aussagen von Ayhans Ex-Freundin etwa werden als glaubwürdig eingestuft. Sie wurde zusammen mit ihrer Mutter ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen. Der Verurteilte soll seiner damaligen Freundin nach der Tat auch erzählt haben, dass er die Waffe von dem heute 36-jährigen Mutlu bekommen habe. Der andere Bruder, Alpaslan, soll Ayhan der Anklage zufolge "geistigen Beistand" geleistet haben.

Wie Hatun sich "Zwang und Unterdrückung" widersetzte

Hatuns Eltern hatten sie mit 16 Jahren mit ihrem Cousin in der Türkei verheiratet. Sie wurde schwanger, zerstritt sich aber mit der Familie ihres Ehemanns und kehrte zurück nach Berlin - zunächst in die Wohnung ihrer Eltern. Kurz nachdem ihr Sohn geboren wurde, zog sie aus, legte ihr Kopftuch ab und machte eine Lehre zur Elektroinstallateurin. Eine Freundin berichtete kurz nach ihrem Tod, sie hätte einen deutschen Freund gehabt. Ein Lebenswandel, den ihre Familie, allen voran ihr jüngster Bruder, offenbar nicht akzeptieren konnte. In einer Dokumentation des RBB sprach er sechs Jahre nach dem Tod seiner Schwester erstmals über seine Tat. Ob er inzwischen Mitgefühl mit seiner Schwester habe, sie vielleicht sogar bewundere für ihren Mut, fragt der Reporter. Ayhan ringt nach Worten. Er sagt: "Es ist schwierig für mich." Hatuns Sohn wächst bei einer Pflegefamilie auf.

(mit Material von dpa)

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