Polizeireformer Udo Behrendes:"Ich war so geladen, dass ich ihm eine Ohrfeige gab"

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Als der Korpsgeist gefährlich wurde, riefen sie ihn: Kölns ehemaliger leitender Polizeidirektor Udo Behrendes erzählt, wie es ist, in Uniform jemanden zu schlagen. Und was passiert, wenn ein Polizist Kollegen anzeigt.

Von Jannis Brühl, Köln

Wie kann die Polizei dem Bürger dienen? Die Frage lässt Udo Behrendes nicht los, auch wenn er nicht mehr auf den Straßen Kölns unterwegs ist, sondern seit 2013 wenige Kilometer weiter im grünen Aggertal seinen Ruhestand genießt. Behrendes ist Polizeidirektor a. D., zuletzt leitete er den Leitungsstab des Polizeipräsidiums Köln. Seit er eine Kölner Wache nach der Misshandlung eines gefesselten Mannes umgebaut hat, gilt er als Reformer - auch wenn ihn das bei manchen in den eigenen Reihen unbeliebt gemacht hat.

Herr Behrendes, Sie sind als Polizeireformer bekannt, dabei haben Sie selbst mal jemanden geschlagen?

Ja, habe ich, peinlicherweise. Aber es war ein Schlüsselerlebnis.

Was war passiert?

Das war 1977, ich war 22 und wir machten nachts eine Polizeikontrolle auf einer Rheinbrücke in Köln. Wir hielten ein Fahrzeug mit jungen Leuten an. Die versuchten, uns zu provozieren, aus dem Auto roch es nach Alkohol. Der Fahrer brachte es nicht fertig, korrekt ins Röhrchen zu blasen. Als ich ihn zur Blutprobe mit auf die Wache nehmen wollte, rannte er weg. Ich holte ihn ein und war so geladen, dass ich ihm eine Ohrfeige gab.

Hatte er Sie beleidigt?

Nicht im strafrechtlichen Sinne. Er hat sich abfällig geäußert und Grimassen gezogen. Ich aber habe eine Körperverletzung im Amt begangen.

Ohne Konsequenzen?

Der Kollege, der hinter mir herlief, hätte mich anzeigen müssen, weil er Polizist ist. Wenn er das nicht tut, begeht er auch eine Straftat: Strafvereitelung im Amt. Aber es war klar, dass er mich nicht anzeigen würde, er hat nichts gesagt.

Warum wird Polizeigewalt so selten verfolgt?

Polizeiliches Fehlverhalten erfüllt fast immer einen Straftatbestand: Polizisten müssen andere Kollegen anzeigen, wenn die eine Straftat begehen. Hätte mein Kollege später gesagt: "Hör mal, das war aber Mist, dass dir die Hand ausgerutscht ist", hätte ich sagen können: "Das war aber Mist, dass du mich nicht angezeigt hast."

Udo Behrendes sieht manches anders als seine ehemaligen Kollegen. (Foto: Jannis Brühl)

Also gibt es einen Korpsgeist innerhalb der Polizei. Was macht ihn aus?

Korpsgeist ist die Umkehrung von etwas, was die Polizei unbedingt braucht: Teamgeist. Polizisten bilden eine Gefahrengemeinschaft. Wenn die am Wochenende in den Vergnügungsvierteln unterwegs sind, sind sie ständig in Gefahr, angegriffen zu werden. Sie müssen sich aufeinander verlassen können. Die Frage ist: Wo kippt gesunder Teamgeist in negativen Korpsgeist? Wo gibt sich eine Dienststelle eigene Regeln, verweigert sich einer konstruktiven Fehlerkultur?

So wie damals auf der Eigelstein-Wache. Dort traktierten 2002 sechs Polizisten einen aggressiven Mann, auch nachdem er gefesselt worden war. Der Mann starb später, weil er gesundheitlich schon angeschlagen gewesen war. Nach dem Skandal bekamen Sie den Auftrag, die Dienststelle umzukrempeln. Wie haben Sie das gemacht?

Für den Streifendienst gab es vorher vier Dienstgruppen pro Wache. Dadurch können verschworene Gemeinschaften entstehen: Dienstgruppe A hält zusammen, Dienstgruppe B hält zusammen und so weiter. Ich kenne das aus eigener Erfahrung: Die eigene Gruppe ist immer die beste, eine Art Berufsfamilie. Wir haben als Alternative dazu Personal-Pools gegründet: Statt vier Gruppen à 15 Leute richteten wir einen Pool von 60 Leuten ein, aus dem die Teams für jeden Tag zusammengepuzzelt werden. Das mischt sich ganz anders: Heute fahre ich mit diesem Kollegen, morgen mit jenem. Damit kann sich diese gefährliche Enge, in der Korpsgeist entsteht, weniger ausprägen.

Was haben Sie noch geändert?

Die Kollegen verstanden sich als Brennpunkt-Wache. Es war die schwierigste Gegend in Köln. Ständig alkoholisierte und unter Drogen stehende Personen, Prostituiertenmilieu. Da hatte sich eine harte Haltung etabliert. Man verstand sich eher als "Crimefighter", als Teil des Spiels "Wer ist der Stärkere?". Und nicht als Hüter der Bürgerrechte. Man muss in der täglichen Arbeit für eine neue Sicht werben. Mein Ziel war es, professionelle Stärke nicht mehr mit Härte gleichzusetzen. Wir Polizisten sollten uns nicht darüber freuen, jemanden in einer aggressiven Situation möglichst schnell zu Boden zu ringen. Es sollte als größerer Erfolg gelten, die Person "runterzureden".

Aber ist die Verführung durch das Gewaltmonopol nicht einfach zu groß?

In der Praxis ist es nicht so schwarz-weiß wie in meinem Fall: Meine Ohrfeige war eindeutig falsch. Aber meist geht es um Fälle, in denen eine an sich gerechtfertigte "Zwangsanwendung", wie wir es nennen, überschießt.

Wobei die jüngste mutmaßliche Misshandlung in Hannover wohl unprovoziert geschah.

Ich kenne den Fall nur aus den Medien und mag keine Ferndiagnosen. Aber: Wenn sich bestätigt, was wir bisher wissen, ist das ein Ausnahmefall: dass jemand aus einer rassistischen oder sadistischen Grundhaltung Menschen quält.

Also ist im Normalfall nicht die Einstellung Einzelner, sondern die Struktur das Problem?

Genau. Die Polizei hat aufgrund der rechtlichen Situation kaum Möglichkeiten eine Fehlerkultur zu entwickeln, um intern Gewalt aufzuarbeiten. Sie muss in der Regel sofort die Staatsanwaltschaft einschalten, die weitere Bearbeitung also nach außen geben. Eine hohe Schwelle, wenn es um Kollegen geht.

Was kann dagegen getan werden?

Man kann überlegen, ob man dieses juristische Zwangskorsett auflöst, für kleine Streitfälle - nicht für Fälle wie den auf der Eigelstein-Wache, bei dem ein Mensch zu Tode kam. Aber eine Ohrfeige wie meine damals, oder eine Beleidigung: Ein Polizeibeauftragter könnte diese "kleinen" Übergriffe moderieren wie ein Schiedsmann zwischen Bürgern. Ich glaube, Korpsgeist entwickelt sich genau wegen solcher kleinerer Vergehen. Auf einer Wache weiß jeder von jedem was: Dem da ist mal im Zorn die Hand ausgerutscht. Der hat mal jemanden, der ihn provozierte, "Scheiß-Türke" genannt.

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Aber würde das nicht auf eine massenhafte Straflosigkeit für Polizisten hinauslaufen?

Nein. An runden Tischen, die ich eingerichtet hatte, habe ich oft erlebt, dass viele Bürger gar nicht wollen, dass Polizisten bestraft werden. Die wollen, dass der sich entschuldigt! Und heute ist es doch so, dass es in der Statistik praktisch gar keine Straftaten von Polizisten gibt. Weil sie nach einer Anzeige alles abstreiten, und dann geht es nicht weiter.

Was halten Sie denn von der Einrichtung einer "Sonderbeschwerdestelle", wie sie die Bundespolizei nach dem Fall von Hannover plant?

Das verkürzt vielleicht Dienstwege, stößt aber rechtlich und strukturell an die gleichen Grenzen wie alle Beschwerdeinstanzen innerhalb der Polizei. Der entscheidende Schritt wäre die Einrichtung einer externen, neutralen Stelle, die nicht, wie heute die Staatsanwaltschaft, nur prüft, ob Straftatbestände erfüllt worden sind. Ihr Ziel sollte in der Mediation liegen.

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Haben Sie denn mal Kollegen angezeigt?

Ja, zweimal. Einmal brach ein Beamter einem festgenommenen Einbrecher in der Zelle die Nase. Das war wohl als Bestrafungsaktion gedacht. In seinem Bericht behauptete er, dass die Nase schon während der Festnahme gebrochen sei, bei der er selbst gar nicht dabei war. Vor der Gerichtsverhandlung fiel seinen Kollegen aber auf, dass er ihnen die Verletzung in die Schuhe schieben wollte. Ich zeigte ihn wegen Körperverletzung im Amt an. Als Dienststellenleiter habe ich das übernommen, auch um die Kollegen vor internen Anfeindungen zu schützen.

Mit Ihrer anderen Anzeige sind Sie ein bisschen berühmt geworden ...

Das war 1994 in Bonn, eine der kurdischen Demonstrationen gegen das PKK-Verbot - damals ein großes Problem. Ich sah einen Kollegen den Schlagstock schwingen und dachte: "Der langt aber ganz schön zu." Später sah ich in der Tagesschau Videobilder von dem Einsatz, die mich bestätigten. Man sah, dass mehrere Kollegen eine renitente Kurdin niedergerungen hatten. Sie lag mit dem Gesicht in einem Blumenbeet, war unter Kontrolle. In dieser Situation zog der Kollege ihr mehrfach den Gummiknüppel über ihren Rücken. Aus meiner Sicht ein klassischer Übergriff. Am nächsten Morgen bat ich den Kollegen zu mir.

Klingt nach einer unangenehmen Situation.

Ja, der war ja in dem Einsatz mein unmittelbarer Assistent gewesen! Ich musste ihn belehren, dass er auch schweigen könne. Das tat er. Und ich zeigte ihn an.

Wie haben Ihre Kollegen reagiert?

Das hat große Wellen geschlagen. Ein Vorgesetzter fragte mich: "Muss das sein?" So ein Fall überschattet in den Medien auch alle Gewalt der PKK-Demonstranten - der eine "Prügel-Polizist" stand natürlich im Fokus der Berichterstattung. In Einsatzbesprechungen fragten mich später Kollegen: "Müssen wir damit rechnen, von Ihnen angezeigt zu werden?" Manche warfen mir vor, ich wolle davon ablenken, dass der gesamte Einsatz schlecht gelaufen war, der Kollege sei ein Bauernopfer. Oder ich wolle mich nur in den Medien profilieren. Der Express machte mit meinem Foto auf: "Bonns mutigster Polizist." Obwohl ich gar nicht mit der Presse geredet hatte. Intern war das eine Katastrophe.

Sie galten als Nestbeschmutzer?

Dieses Etikett hatte ich wohl. Aber ich sage: Wer ist denn eigentlich der Nestbeschmutzer? Nach meiner Sicht hat der Kollege, der die Frau schlug, das Nest beschmutzt. Ich habe mit der Anzeige versucht, das Nest wieder zu säubern.

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