Polizeigewalt:Führungsfehler und falscher Korpsgeist

Polizeigewalt: Falsch verstandener Korpsgeist

Experten diagnostizieren bei der Polizei einen Mangel an Fehlerkultur. (Archivbild: Beamte eines Spezialeinsatzkommandos in Hamburg)

(Foto: dpa)

Ob Ombudsmänner, erfahrene "Kampf-Mönche" oder eine Deeskalations-Strategie: Es gibt viele Möglichkeiten, Gewalttätigkeit von Polizisten entgegenzuwirken. Das kann allerdings nur funktionieren, wo falsch verstandener Korpsgeist einer konstruktiven Fehlerkultur weicht.

Von Constanze von Bullion und Jens Schneider

Es war wohl das Foto, das die Lawine auslöste. Es zeigt das Gesicht einer jungen Münchnerin mit einer zerschlagenen Nase. Teresa Z. hatte Mitte Januar die Polizei um Hilfe gerufen, weil sie Streit mit ihrem Freund hatte. Bald fand sie sich in einer Haftzelle wieder, gefesselt auf einer Pritsche liegend. Ein Beamter schlug ihr mit der Faust ins Gesicht. Nun gibt es zwei Versionen dieser Geschichte: Die Polizei spricht von Notwehr. Die 23-Jährige sieht sich als Opfer. Münchens Polizeipräsident Wilhelm Schmidbauer machte sich die Version des Beamten vor dem Abschluss interner Prüfungen zu eigen. Eine Reaktion, die man seit Jahren zu kennen glaubt, nicht nur aus Bayern.

"Es gibt in der Führung zu oft eine reflexhafte Inschutznahme", sagt Joachim Kersten, Professor an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster. "Man stellt sich vor die Beamten und sagt, an den Vorwürfen sei nichts dran, ohne überhaupt etwas zu wissen."

Schon vor drei Jahren beklagte Amnesty International (AI) in einem Bericht, dass in Deutschland immer wieder Unschuldige zu Schaden kommen, Beamte aber selten zur Rechenschaft gezogen werden. "Wir bei Amnesty erleben, dass viele Bürger sich an uns wenden, weil sie keine Ansprechstelle kennen, zu der sie Vertrauen haben", sagt Alexander Bosch, der Fälle für AI dokumentiert. "Sie könnten bei der Polizei Anzeige gegen die Polizei erstatten. Aber da besteht sogar die oft berechtigte Sorge, dass man erst recht ins Visier von Ermittlungen gerät." Er berichtet, dass manche Gruppen, etwa Fußballfans, sich ohnmächtig fühlen, als wären sie Freiwild.

Aus Sicht führender Polizisten sieht es umgekehrt aus. Sie klagen, dass Beamten immer weniger Respekt entgegengebracht werde. Und verweisen auf die zunehmende Zahl von Verurteilungen wegen Widerstands gegen Polizisten. Für den Polizei-Experten Kersten ist dies kein Beleg, dass Polizisten immer häufiger Opfer von Bürgern werden. "Nach meinem Wissen aus den Ländern und dem, was mir Beamte berichten, entspricht das nicht der Realität."

Mangelnde Sensibilität der Führungskräfte

Niemand lässt sich gern bespucken oder beleidigen. Aber wie ein Beamter im Alltag reagiert, das hat oft mit der Belastung zu tun - und mit der Führungskultur in einer Wache oder der Polizeidirektion. "Es fehlt in der Leitung oft an der nötigen Sensibilität, was die Unterstützung von Beamten angeht, die in besonders schwierigen Lagen, etwa in Großstädten, arbeiten", sagt Kersten.

Es gebe viele ältere Beamte, die mit großer Geduld Konflikte entschärfen können. "Im alten Japan wurden sie Kampf-Mönche genannt." Sie könne man mehr in der Schulung einsetzen und den Jüngeren im Dienst an die Seite stellen. Dafür jedoch müsste es in der Führung ein Problembewusstsein geben. "In München ist es leider so, dass ein eher ruppiger Stil häufig ist und anscheinend auch nicht der notwendigen Kontrolle von oben unterliegt", sagt er. Amnesty spricht von einem rauen Klima in Bayern - und verweist wie Kersten auf Berlin als Positivbeispiel.

Über Jahrzehnte galt die West-Berliner Polizei bundesweit als prügelfreudige Truppe. Verrufen war vor allem die "Einheit für besondere Lagen und einsatzbezogenes Training", die 1987 in Wackersdorf so hingebungsvoll auf Bürgerköpfe einknüppelte, dass die Staatsanwaltschaft 25 Ermittlungsverfahren gegen Beamte einleitete. Solche Auftritte aber sind Geschichte, seit den 90er-Jahren wird aufgeräumt in Berliner Polizeistrukturen. Statt Kasernierung und Korpsgeist, der dort legendär war, ist Transparenz gefordert. Eigene Fehler zu vertuschen, prügelnde Kollegen zu decken und der Öffentlichkeit jede Auskunft darüber zu verweigern, das duldete schon Berlins Polizeipräsident Dieter Glietsch nicht mehr. 2003 leitete er eine Polizeireform ein, die intern zunächst auf Unverständnis stieß.

Strategie der ausgestreckten Hand

Er schaffte unübersichtliche Führungsstrukturen ab und richtete ein Beschwerdemanagement ein. Dort konnten Polizisten Übergriffe von Kollegen melden oder Mobbing. Es kam, wenn auch selten, zu Anzeigen von Polizisten gegen Polizisten. "Wenn es solche Vorgänge gab, hat Glietsch nicht gewartet, bis sie über irgendwelche anderen Kanäle bekannt wurden, sondern ist mit offenem Visier angetreten", erinnert sich der langjährige Innensenator Ehrhart Körting.

Dass Polizisten wegen Körperverletzung verurteilt wurden, blieb trotzdem selten. Wichtiger aber war es, meint Körting, junge Polizisten zu ermutigen, offen mit eigenen Fehlern umzugehen. Die Handygesellschaft tat ihr Übriges. Kaum ein Fußtritt bleibt ungefilmt bei Demonstrationen, Berliner Einsatzpolizisten sind inzwischen durch Nummernschilder identifizierbar. Der größte Erfolg der Deeskalation lässt sich jedes Jahr am 1. Mai in Kreuzberg besichtigen. Statt wilder Straßenschlachten gibt es nur noch vergleichsweise harmlose Scharmützel. Auch, weil die Polizei lieber ein paar Mülltonnen brennen lässt, als die Stimmung anzuheizen. Die "Strategie der ausgestreckten Hand" wird längst in anderen Bundesländern kopiert.

Vorfälle wie der Faustschlag von München werden auch unter anderen Polizisten kritisch diskutiert. Gegenüber Journalisten allerdings bleiben Beamte, die einen fatalen Korpsgeist beklagen, lieber anonym. Da berichten sie, wie schwer es ist, ruppige Kollegen zu mäßigen oder zu melden. "Letztlich besteht immer das Problem", sagt Kersten, "dass die Beamten in der Kollegenschaft in einer schwierigen Situation sind, wenn sie einen Fall beobachtet haben, wo eine Sache aus dem Ruder gelaufen ist. Deshalb wäre es wohl klug, eine Ansprechstelle außerhalb einzurichten."

Gerade bereiten in Hessen SPD und Grüne, beide freilich in der Opposition, nach einer Reihe von Beschwerden einen Gesetzentwurf für einen Landespolizeibeauftragten vor, eine Art Ombudsmann. Amnesty verweist auf gute Erfahrungen mit einer unabhängigen Kommission in Großbritannien, die auch bei Polizisten anerkannt sei. Zu einem solchen Schritt bräuchte es in der Politik die Einsicht, dass man die Arbeit von Polizisten hinterfragen darf. "Wichtig ist, dass so etwas nicht als Aktion gegen die Polizei verstanden wird", sagt Joachim Kersten, "denn dann hätte es keinen Sinn. Es gibt viele aufgeschlossene Köpfe in der Polizei, die an Veränderung ein Interesse haben."

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