Polizei in Ferguson:Tischtennisball statt tödlicher Kugel

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  • Die Polizei in der US-Stadt Ferguson will nach dem Todesfall Michael Brown in Zukunft Waffen verwenden, die keine tödliche Wirkung haben.
  • Doch gegen das Vorhaben gibt es Kritik: Die Polizisten würden unnötiger Gefahr ausgesetzt und stünden unter deutlich größerem Druck.
  • Schon im Sommer 2014 ließ US-Präsident Barack Obama das Waffenarsenal lokaler Polizeieinheiten prüfen. Dieses umfasst teilweise auch militärische Ausrüstung.

Von Manuel Stark

Innerhalb von nur 90 Sekunden feuert der Polizist Darren Wilson zwölf Mal auf einen 18-Jährigen, von dem er sich bedroht fühlt. Sechs Kugeln treffen. Am Ende liegt Michael Brown tot am Boden. So geschehen im August vergangenen Jahres in der US-Kleinstadt Ferguson.

Weil der Polizist weiß ist und der Getötete schwarz war, diskutiert seitdem das ganze Land darüber, ob Amerikas Polizei ein Rassismusproblem hat. "Black lives matter", zu deutsch: "Schwarze Leben zählen", stand auf den Protestschildern vieler US-Amerikaner, die in den vergangenen Monaten im ganzen Land gegen Polizeigewalt protestierten. Die Demonstranten kritisierten, dass Polizisten zu schnell zur Waffe griffen und nicht ausreichend darauf trainiert würden, deeskalierend zu wirken. Im Zweifel, so die Meinung der Kritiker, schießen die Polizisten lieber und töten dabei Menschen.

Jetzt reagiert die Polizei von Ferguson auf die Vorwürfe: Fünf Ausbilder testen, ob die 55 Beamten der örtlichen Polizeistation auch anders bewaffnet werden können. Die neue Ausrüstung soll das Risiko eines tödlichen Schusswechsels minimieren. "Wir brauchen eine Alternative zu tödlichen Schüssen", sagte der stellvertretende Polizeichef von Ferguson, Al Eickhoff, der Washington Post.

Erst Aufrüstung, jetzt Abrüstung

Diese Ankündigung ist auch vor dem Hintergrund bemerkenswert, dass die amerikanische Polizei im vergangenen Jahrzehnt verstärkt auf Aufrüstung gesetzt hat. Städtische Polizeieinheiten werden durch ein Bundesprogramm mit Militärausrüstung versorgt. Neben Zelten und Schutzanzügen zählen dazu auch schwere Waffen wie etwa Granatwerfer oder Sturmgewehre. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 wurde das Programm ausgebaut. Lange erhob niemand Einspruch - bis zu dem Tag, als Michael Brown erschossen wurde.

US-Präsident Barack Obama schaltete sich ein und kündigte an, die Ausstattung lokaler Polizeieinheiten mit militärischer Ausrüstung prüfen zu lassen. Doch bis die Behörden darüber entscheiden, ob das umstrittene Bundesprogramm eingestellt wird, könnten Jahre vergehen.

Die neue Ausrüstung, die jetzt in Ferguson getestet wird, soll nicht nur eine Alternative sein, sie heißt auch so: "The Alternative" ist ein Waffenaufsatz in grellem Orange, mit einer Art Kugel von der Größe eines Tischtennisballs, die vor der Mündung der Waffe befestigt ist. Sobald die eigentliche Kugel abgeschossen wird, dringt sie in den Ball ein und reißt ihn, von " Alternative" ummantelt, mit. Das Ziel wird so von einem etwas langsamer fliegenden und vor allem stumpfen Projektil getroffen, das genug Kraft besitzen soll, um den Getroffenen handlungsunfähig zu machen. Die Herstellerfirma bezeichnet ihr Produkt als "Airbag" für die Kugel. Tödlich sei der Schuss aber selbst auf kurze Distanz nicht.

Nicht-tödliche Waffen sind keine Neuheit. Auch in Deutschland setzen Polizisten Pfefferspray und Gummigeschosse ein. In Amerika ergänzen Elektroschocker und Blendgranaten seit Langem das Repertoire der Polizei. Der Unterschied: "The Alternative" soll gerade in Situationen zum Einsatz kommen, in denen einem Polizisten nur noch die Schusswaffe bleibt, um sich selbst zu schützen.

Kritiker sehen Gefahr für Polizisten

Der Aufsatz kann momentan erst nach dem Ziehen der Waffen montiert werden, das soll innerhalb von wenigen Sekunden erledigt sein. Doch diese kurze Zeitspanne kann in einer Gefahrensituation über Leben und Tod entscheiden. Deswegen regt sich Kritik: "Auch ich bin für weniger tödliche Waffen. Aber ich sorge mich darum, dass wir drauf und dran sind, unseren Beamten zu verbieten, auf eine möglicherweise tödliche Gefahr, auch tödlich reagieren zu dürfen", sagte der ehemalige Polizeimajor Steve Ijames, der als Experte in Sachen Einsatztraining gilt, der Washington Post.

Die Debatte über das Für und Wider tödlicher Bewaffnung wird in den USA schon lange geführt. Argumentiert wird dabei vor allem mit Einschätzungen und persönlichen Meinungen. Für eine sachliche Debatte fehlen die Fakten. Niemand kann sagen, in wie viele gewaltsame Todesfälle die US-Polizei involviert ist. Denn diese Daten müssen die einzelnen Polizeiquartiere nicht an das Justizministerium weitergeben. "Die traurige Wahrheit ist, dass wir keinerlei Möglichkeit haben, auch nur abzuschätzen, wie oft es von Seiten der Polizei zu Waffengebrauch mit tödlichem Ausgang kommt. Das halten viele Juristen für inakzeptabel und ich sehe das genauso", sagte US-Justizminister Eric Holder im Januar in einer öffentlichen Stellungnahme.

Ob tödliche Schüsse von Polizisten bald landesweit gemeldet werden müssen und ob die martialische Ausrüstung der Polizei tatsächlich geändert wird, ist derzeit allerdings genauso ungewiss wie der Erfolg von "The Alternative".

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