Papst:Warum im Heiligen Jahr für Franziskus ein Risiko liegt

Den Ruf nach mehr Barmherzigkeit kann nur hören, wer sich seiner eigenen Fehler bewusst ist. Wie verhält sich die katholische Kirche in dieser Frage?

Kommentar von Matthias Drobinski

Vier Tage war Papst Franziskus im Amt, da gab er den staunenden Gläubigen einen Buchtipp: Kardinal Walter Kaspers Buch über die Barmherzigkeit habe ihm "sehr gutgetan", sagte er; der deutsche Kurienkardinal hatte dem argentinischen Kardinal Jorge Mario Bergoglio das Werk vor der Wahl zur Lektüre für einsame Konklavenächte geschenkt.

Barmherzigkeit - der sperrige Begriff ist zum Leitmotiv des Papstes geworden. Die katholische Kirche soll an die Ränder der Gesellschaft und der Existenzen gehen und sich dort um die Verwundeten kümmern, wie einst der barmherzige Samariter. Die Barmherzigkeit lauert inzwischen in jeder Papstrede, lästert mancher in der Kurie.

Der Papst vereint das Archaische mit dem Revolutionären

Nun, an diesem Dienstag, eröffnet Franziskus im Petersdom das Heilige Jahr der Barmherzigkeit. Solche Jahre gibt es eigentlich nur alle 25 Jahre. Im Mai aber hat dieser Papst einfach und überraschend ein außerordentliches Jubeljahr ausgerufen - er darf das, er ist Papst. Bewusst lässt Franziskus es am 8. Dezember beginnen: An diesem Tag vor 50 Jahren endete das Zweite Vatikanische Konzil, mit dem die katholische Kirche die Türen und Fenster zur Welt öffnete.

Es ist eine eigentümliche Kombination: Mit einem Heiligen Jahr, eingeführt im Jahr 1300 als Ersatz für die desaströs gescheiterten Kreuzzüge und über Jahrhunderte das beste Verkaufsargument für den Sündenablass, verleiht Franziskus seinem Wunsch nach einer Kirchenreform Nachdruck. Dieser Papst vereint das Archaische mit dem Revolutionären, die Tradition mit der Reform, das Anarchische mit dem Autoritären, das Rituelle mit dem Bruch der Gewohnheit; das zeigt sich an der Schwelle zum Heiligen Jahr, in all seinen Stärken und Schwächen.

Die Chance dieses Jahres liegt darin, dass die katholische Kirche das Subversive entdeckt, das da in ihrer Tradition liegt. Der alte Begriff der Barmherzigkeit heißt: Das Herz zu ändern. Es bedeutet, dem Unbarmherzigen das Großherzige entgegenzusetzen und dem Besitzstandsdenken die Kultur des Teilens und Abgebens. Barmherzigkeit bedeutet, die Aufnahme vor die Abschottung zu setzen, die Umkehr vor das Weiter-so, den gerechten Frieden vor den gerechten Krieg. Es heißt, dem Perfektionswahn den Wert des Unvollkommenen entgegenzusetzen und den Sinn des Fehlers, aus dem man lernen kann.

Die Gefahr liegt in der Barmherzigkeit

Damit es mehr von dieser Barmherzigkeit gibt, dafür kann man schon zur großen Pilgerfahrt aufrufen. Wer glaubt, dass ein Sündenablass dafür die richtige Belohnung ist, soll sich halt einen besorgen.

Das Risiko wiederum liegt zum einen darin, dass in diesem Jahr der Papst und die katholische Kirche doch mehr Worte als Taten produzieren, mehr Traditionspflege mit modernem Anstrich statt echter Herzensänderung - und am Ende des Jahres der Begriff Barmherzigkeit ausgelatscht ist, wie es des Papstes schwarze Gesundheitsschuhe sind.

Es ist ein Problem, wenn einer von oben herab Gnade verteilen möchte

Die genauso große Gefahr liegt aber auch im Begriff Barmherzigkeit selber: Er beschreibt immer ein Machtgefälle. Einer ist oben und lässt Gnade vor Recht ergehen, einer ist unten und braucht einen, der sich seiner erbarmt. Das ist kein Problem, solange derjenige, der Barmherzigkeit übt, weiß, dass er irgendwann selber unten sein kann und einen braucht, der ihm gnädig ist. Es ist dann ein Problem, wenn eine Kirche sich im Besitz der Wahrheit sieht und aus dieser Haltung heraus Menschen Barmherzigkeit zukommen lässt, die nicht so leben, wie sie sich das vorstellt.

Wahre Barmherzigkeit funktioniert, wenn Geber und Empfänger gleichermaßen um ihre Fehlerhaftigkeit wissen. Wer aber glaubt, von oben herab Gnade verteilen zu müssen, zum Beispiel über Homosexuelle oder Geschiedene, der wirkt nicht barmherzig, sondern arrogant. Mit Pech ein ganzes Heiliges Jahr lang.

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