Merkel in Halterner Gymnasium:90 Minuten Trauerarbeit

Lesezeit: 3 min

An einer Gedenktafel vor der Schule, auf der die Namen der toten Schüler und Lehrer stehen, legte die Kanzerlin eine weiße Lilie nieder. (Foto: Roberto Pfeil/dpa)

16 Schüler aus Haltern sind im März beim Absturz der Germanwings-Maschine ums Leben gekommen. Jetzt hat die Bundeskanzlerin das Gymnasium besucht - und Applaus geerntet.

Von Bernd Dörries, Haltern am See

Mit einem Lächeln kommt Bundeskanzlerin Angela Merkel aus dem Joseph-König-Gymnasium in Haltern am See. Es ist eine Mimik, die noch vor einem guten halben Jahr nicht möglich gewesen wäre, die aber an diesem Dienstagmittag nicht unpassend ist. Damals war nur Trauer, jetzt sieht man, dass das Leben weiter gehen kann, ohne die anderen zu vergessen. "Vielleicht ist Haltern ein Beispiel geworden, wie man in einer solch fürchterlichen Situation Gemeinschaft zeigen kann", sagt Merkel.

Lernen aufs Abi - und den Umgang mit der Trauer

Ende März war der Schulhof voller Blumen und vieler Kameras aus aller Welt, die weinende Kinder filmten, Schüler, die um ihre 16 Klassenkameraden trauerten und um zwei Lehrer, die beim Absturz der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen ums Leben kamen. Aus den Blumen von damals sind Bäume geworden, die für die gepflanzt wurden, die nun nicht mehr da sind. "Ich denke an Sie, die Bundesregierung denkt an Sie, die Menschen denken an Sie", sagt Merkel nun.

Im April, beim großen Staatsakt im Kölner Dom, hatte die Bundeskanzlerin den Schülern und Eltern versprochen, dass sie nach Haltern kommen werde. Nun nimmt sie sich etwa 90 Minuten Zeit - man kann das wenig finden, im Kalender einer Kanzlerin aber ist das eher viel. Sie legt eine weiße Lilie vor dem Denkmal im Hof ab, auf dem die Namen der Toten stehen, sie trifft sich mit dem Jahrgang der elften Klasse, der auf das Abitur lernen muss, aber auch, mit dem Verlust der Mitschüler umzugehen. Merkel sieht die Fotos der Kinder, die in der Schule hängen, normale Bilder, lachende Kinder. "Die Erinnerung ist schön gestaltet", sagt sie. Eine Schülerin überreicht Merkel ein kleines rotes Buch mit dem Titel "Warum?", darin sind Erinnerungen an das Geschwister, das sie damals verlor.

Germanwings-Katastrophe
:Anwälte wollen in den USA klagen

Angehörigen-Anwälte von Opfern des Germanwings-Absturzes planen offenbar, Schadenersatzklage in den USA einzureichen. Anwälte der Fluggesellschaft, aber auch andere Opfervertreter warnen davor.

Von Hans Leyendecker

Keine Antwort auf die Frage nach dem Warum

Die Frage nach dem Warum ist bis heute nicht geklärt, es gibt nur Annäherungen an die Motive des Piloten Andreas Lubitz, der unter psychischen Erkrankungen litt. Letztlich aber, so wirkt es, sind alle Erklärungen zu klein für so eine große, eine monströse Tat. "Ich kann die Frage nicht klären", sagt Merkel. Das könne wohl niemand. In der Schule hat sie sich ohne Öffentlichkeit mit Schülern und Lehrern unterhalten. Jetzt steht sie auf einer Treppe vor dem Gebäude. "Das, was ich mitnehme, ist, dass ich das Gefühl habe, dass Sie versuchen, hier gemeinsam damit fertig zu werden", sagt Merkel.

Es ist ein schwerer Weg, es bleibe ein schwerer Weg, so sagt es Schulleiter Ulrich Wessel, ein großer blonder Mann mit blauen Augen. "Es ist ein Spagat, auf der einen Seite haben die Schüler ein Recht auf einen normalen Schulalltag, auf der anderen Seite wollen wir an die anderen 18 denken, die nicht zurückgekehrt sind." Es gibt Tage, an denen es gelingt, und es gibt andere Tage, an denen man wieder fragt nach dem Warum. "Vielleicht hätten die Eltern mit einer technischen Ursache besser leben können", sagt Wessel. Aber was heiße in so einem Zusammenhang schon "besser leben", in beiden Fällen blieben die Kinder tot. Viele betroffene Eltern streiten mit der Lufthansa um die Höhe des Schadenersatzes, einige werden in den USA vor Gericht ziehen, wo die Summen höher sind; man könnte hier auch sagen: gerechter. Am Dienstag ist das aber kein Thema.

Applaus für die Kanzlerin

"Wir sind stolz, dass die Kanzlerin da war. Es war sehr gut, so gut haben wir es uns gar nicht vorgestellt", sagt Schülersprecherin Johanna König, 16. "Es war ein persönliches Gespräch, es tat uns gut, darüber zu reden." Im Frühjahr wollen Schüler zum Unglücksort nach Frankreich fahren, übernachten und zur Unglücksstelle wandern.

Haltern am See
:Merkel besucht Hinterbliebene der Germanwings-Opfer

Das Gymnasium in Nordrhein-Westfalen hat bei dem Flugzeugabsturz 16 Schüler und zwei Lehrerinnen verloren. Für die Kanzlerin ist Haltern am See ein Beispiel dafür, "wie man in einer fürchterlich traurigen Situation trotzdem Gemeinschaft zeigen kann".

Als der Besuch der Kanzlerin sich dem Ende zuneigt, stehen alle Schüler des Gymnasiums auf dem Pausenhof. Die ersten, die rausgeschickt worden seien, sagt die Kanzlerin, hätten doch sicher schon kalte Füße. Als Merkel fährt, klatschen alle, was wohl auch im Alltag der Kanzlerin nicht so häufig vorkommt. "Herzlichen Dank, dass ich heute hier sein durfte."

Es sei ein guter Besuch gewesen, sagt Bürgermeister Bodo Klimpel. "Die Kanzlerin hat deutlich gemacht, dass es für sie eine Herzensangelegenheit ist." Aufwühlend sei es gewesen, aber nicht so, dass Wunden wieder aufgerissen worden wären. "Sie können keine Wunden aufreißen, die nicht verheilt sind. Die Eltern vermissen nach wie vor ihre Kinder."

© SZ vom 21.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: