Mythos Kaspar Hauser:Neue Geschichten aus der Gruft

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Manche halten Kaspar Hauser für einen Hochstapler, andere für den Erbprinzen von Baden. Nun mischt sich die Politik ein, da zwei Särge, die zur Lösung des Rätsels um Hausers Herkunft beitragen könnten, spurlos verschwunden sind.

Roman Deininger, Stuttgart

Zwei Särge verschwunden? Aus einer verschlossenen Gruft? "Das passt mal wieder tadellos hinein in die ganze Geschichte", sagt Werner Bürger. "Das hat uns gerade noch gefehlt." Bürger kann nicht völlig verbergen, dass aus fränkischer Sicht schwer nachvollziehbar ist, wie in Baden mal eben ein paar prominente Leichen verlustig gehen können.

Ein angeblich von der Mutter von Kaspar Hauser stammender Brief (zeitgenössisches Faksimile), das sogenannte 'Mägdleinzettel', ist im Markgrafen-Museum in Ansbach (Mittelfranken) zu sehen. (Foto: dpa)

Seit 25 Jahren leitet Bürger das Markgrafen-Museum in Ansbach. Dessen bekanntestes Ausstellungsstück ist eine alte, blutige Unterhose. Das Blut an der Unterhose stammt von ihrem Träger, der am 14. Dezember 1833 im Ansbacher Hofgarten einem Messerattentat zum Opfer fiel - nein, halt, das kann man so nicht stehenlassen: Das Blut an der Unterhose stammt wahrscheinlich von ihrem Träger, der wahrscheinlich einem Messerattentat zum Opfer fiel. Der Historiker Bürger sagt einen Satz, der klingt wie ein langer Seufzer: "Bei Kasper Hauser glauben die Leute doch eh nur das, was sie glauben wollen."

Kaspar Hauser, das ist der Name, den am Pfingstmontag 1828 in Nürnberg ein schmutziger, taumelnder, des Sprechens kaum mächtiger Knabe mit zitternder Hand auf einen Zettel kritzelte. Woher der Findling wohl kam, wer er war, das beschäftigte ganz Europa. Als er fünf Jahre später starb, meißelte man einen lateinischen Spruch in seinen Grabstein: "Hier liegt Kaspar Hauser, Rätsel seiner Zeit, unbekannt die Herkunft, geheimnisvoll der Tod."

Bis heute ein Rätsel

Bis heute ist dieser Hauser ein Rätsel geblieben. Den einen gilt er als Hochstapler und Wichtigmacher, der sich die tödlichen Wunden im Hofgarten selbst zufügte. Die anderen wollen in ihm den Erbprinzen von Baden erkennen, der sofort nach der Geburt entführt, eingekerkert und so um seinen Thron betrogen wurde.

Und jetzt, 179 Jahre nach seinem Tod, ist also etwas geschehen, was Werner Bürger zum Seufzen bringt. Was den Verschwörungstheoretikern allerbestes Rohmaterial liefert und den Mythos noch ein klein bisschen mythischer macht. In der Fürstengruft des Hauses Baden zu Pforzheim fehlen plötzlich zwei Kindersärge - offenbar auch jener, in dem manche die Lösung des Hauser-Rätsels vermuten.

In ihm wurde 1812 der im Kindsbett verstorbene, noch namenlose Erbprinz bestattet. Oder, wenn man eben den Hauserianern glauben will: ein sterbenskranker, wildfremder Säugling, den Schurken den armen Eltern, dem Großherzog Karl und seiner Frau Stephanie, untergeschoben hatten. Eine Nebenlinie der Badener, heißt es, habe damit die Herrschaft an sich gerissen, denn Karl blieb ohne männlichen Nachkommen.

Diese Spekulation könnte man heute eigentlich leicht überprüfen: Auch Stephanies Leichnam liegt in der Gruft in der Pforzheimer Schlosskirche. Ein DNA-Vergleich würde zeigen, ob sie wirklich die Mutter des Erbprinzen ist. Doch bislang lehnte das Haus Baden eine solche Analyse ab. Die Adelsfamilie sagte, es gehe ihr um die Totenruhe; die Verschwörungstheoretiker sagten, es gehe wieder mal darum, irgendwas zu vertuschen.

In diesem Sommer kam dann Bewegung in die Sache: Der Karlsruher Rechtsanwalt Winfried Klein bemühte sich in einem Aufsatz in der FAZ um den juristischen Nachweis, dass das Haus Baden kein Recht hat, die Untersuchung zu verweigern. Die für die Öffentlichkeit nicht zugängliche Gruft, so Klein, gehöre nämlich gar nicht der Familie, sondern wie die Kirche dem Land Baden-Württemberg. Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann sah sich auf einmal via Bild-Zeitung mit dem Aufruf konfrontiert, doch bitte das zwei Jahrhunderte währende Hauser-Mysterium zeitnah zu lösen.

Eine Haar-Locke von Kaspar Hauser ist im Markgrafen-Museum in Ansbach (Mittelfranken) zu sehen. (Foto: dpa)

Allein: Die Auskunft des zuständigen Stuttgarter Finanzministeriums passte dann tadellos hinein in die ganze Geschichte. Die Frage nach dem Eigentümer der Särge sei "so komplex, dass eine abschließende Bewertung noch nicht erfolgen kann". Außerdem, teilte das Ministerium betont unaufgeregt mit, gingen in der Gruft zwei Kindersärge ab - man wisse aber nicht, um welche genau es sich handelt und ob der des Erbprinzen darunter ist. Das Fehlen der Särge ist dem Ministerium und dem Haus Baden demnach schon länger bekannt, wohl seit einer Art Gruft-Inventur 1983.

Die Markgräflich Badische Verwaltung erklärte gerade, sie habe "keine Kenntnisse über die damit verbundenen Umstände oder den heutigen Verbleib dieser Särge". Während das Ministerium ein Verschwinden "in den Kriegs- und Nachkriegswirren" für möglich hält, führt Rechtsanwalt Klein einen Zeugen an, der den Sarg des Erbprinzen noch 1984 in der Gruft gesehen haben will.

Die Verwirrung ist groß, ein Zustand, den weder die Hauserianer noch die FDP hinnehmen wollen. Die Liberalen drängen Kretschmann per Landtagsanfrage, endlich für Ordnung in der Fürstengruft zu sorgen. Und die Verschwörungstheoretiker verlangen, doch zumindest die DNA von Herzogin Stephanie mit der des in Ansbach begrabenen Kaspar Hauser zu vergleichen - von ihm sind der Nachwelt ein paar Haarbüschel und das Blut auf der Unterhose erhalten, na ja: wahrscheinlich.

Zwei DNA-Analysen hat es im Fall Hauser bisher gegeben, die eine schließt eine fürstliche Abstammung aus, die andere hält sie für möglich. Werner Bürger sagt, er für seinen Teil könne mit der Unklarheit durchaus leben: "Es ist ja der Mythos, der die Leute zu uns nach Ansbach zieht."

© SZ vom 27.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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