Messners "Mountain Museum":Der Sinnfresser von Sigmundskron

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Auf einer stattlichen Burg in Südtirol hat Reinhold Messner ein Museum eingerichtet, in dem tibetischer Krimskrams und tiefschürfende Alpin-Kunst gezeigt werden. Das Megaprojekt hat nicht nur Freunde.

Martin Zips

Plötzlich hat man die Orientierung verloren. Wo ist die Gruppe? Wie geht es weiter? Links über den Klettersteig oder rechts über die steile Treppe? Der Leiter der Bergsteiger-Redaktion des Bayerischen Rundfunks übernimmt die Führung.

Eine weitere Etappe auf Messners Weg in die Unsterblichkeit: das "Messner Mountain Museum" bei Bozen. (Foto: Foto: dpa)

Gerade will er einsteigen, in die Steilwand eines dunklen Turmes, als ein strenger Wind einen tönernen Buddha-Kopf von einem Felssims fegt und in die Tiefe stürzen lässt. "Das hätte schief gehen können", sagt der Experte, als der Kopf vor ihm zerschellt. Wieder einmal hat die Natur ihre Kräfte spielen lassen.

Und wieder hat sie dem Menschen gezeigt, wie klein und hilflos er doch ist.

Keine leichte Tour. Dutzende Journalisten sind eingeladen, einem ehemaligen Architekturstudenten und Mathematiklehrer aus Villnöss über die schmalen Mauern einer Burg zu folgen.

Reinhold Messner heißt ihr Bergführer, 61 Jahre alt ist er, alle 14 Achttausender hat er bezwungen, die Antarktis diagonal, Grönland längs und die Wüste Gobi kreuz und quer durchwandert.

Das öffentliche Interesse ist gewaltig

Schon das war immens, doch dieses Projekt hier - sagt Messner - gehöre mit 15 Jahren Vorbereitungszeit zum Aufwendigsten in seinem Leben. Aus der Ruine Burg Sigmundskron, gleich neben einer ehemaligen Bozener Müllhalde, machte der Mann mit den sechs abgefrorenen Zehen eine Begegnungsstätte von Mensch und Berg.

Eine Mischung aus künstlerischem und naturwissenschaftlichen Museum, aus Tagungsort und Spielplatz. Eine weitere Etappe auf Messners Weg in die Unsterblichkeit.

"Das Herzstück von fünf Satelliten", nennt er Sigmundskron. Messner betreibt nämlich bereits ein Gletscherspalten-Museum am Ortler, ein Dolomiten-Museum und ein Bergreligionsmuseum. Demnächst soll noch ein "Bergvölkermuseum" irgendwo in Südtirol hinzukommen.

Die Zentrale der "Messner Mountain Museums" (Markenzeichen ist ein sechsgipfliges Dreifach-M) heißt ab sofort: Burg Sigmundskron, benannt nach Herzog Sigmund dem Münzreichen. Eröffnung ist am 11. Juni.

Das öffentliche Interesse ist gewaltig. Seit Tagen gibt Messner Interviews im Viertelstundentakt. Gleich zwei Busse mit Berichterstattern sind nun eingetroffen. In den Gewölben einer Vinothek am Fuße des Burghügels Firmian werden sie bei Terlaner Weißburgunder und Mezze Penne zunächst von "Südtirol-Marketing"-Mitarbeitern begrüßt.

Man erfährt viel über Südtiroler Wetter ("300 Sonnentage"), Südtiroler Brauchtum ("mehr Musikkapellen als Gemeinden") und Südtiroler Äpfel.

Massiver Widerstand gegen das Megaprojekt

Messner, der schon mit Leni Riefenstahl für die Schönheit der Alpen warb, der gegen die Luis-Trenkerisierung des Bergsteigertums ankämpfte und den Yeti sah, hat sich für 30 Jahre verpflichtet, über das von ihm entwickelte, mit privaten Exponaten bestückte Museum zwischen Schlernmassiv und Texelgruppe zu wachen.

Im Gegenzug muss er, der einst als Europaabgeordneter der Grünen in Bagdad Saddam die Hand reichte und heute mit Landeshauptmann Luis Durnwalder Speckfeste eröffnet, keine Miete zahlen. Auch den Ausbau der uralten Mauern finanzierte das Land Südtirol. Jahrelang hatte es heftigen Widerstand gegen sein Vorhaben gegeben. Viele seiner Landsleute befürchteten eine Art Messner-Mausoleum.

Wegen zahlreicher Kleinstreitereien hatte der Alpinist vor allem das konservative Lokalblättchen "Dolomiten" gegen sich: "Sie wollten mich außer Landes drängen." Die Ablehnung könnte auch darauf zurückgehen, dass Messner einmal - nach der Bedeutung der Südtirol-Fahne gefragt - mit einem benutzten Taschentuch geantwortet haben soll: "Das ist meine Fahne!"

Auch von der deutschen Presse fühlt sich Messner verfolgt. Mit immer neuen Spekulationen um seinen 1970 auf einer gemeinsamen Himalaya-Expedition ums Leben gekommenen Bruder hätten "Vertreter der deutschen Journaille" an ihm "ihr Mütchen kühlen wollen", sagt er.

Jetzt erst einmal: Schwamm drüber. Die Öffentlichkeit mag Messner und Messner mag die Öffentlichkeit auch. 100 000 Besucher muss er pro Jahr nach Sigmundskron locken. Die zehn Mitarbeiter und der Shuttle-Bus von der Autobahnausfahrt Bozen-Süd müssen ja bezahlt werden. Also rührt Messner die Werbetrommel, erscheint erlösergleich im Innenhof und bittet sogleich, nicht in das frisch gepflanzte Gras zu treten.

Auf zum "Erwartet-keine-Gnade-Gletscher"

"Es geht nicht um mich", sagt Messner. "Ich bin nur Verkuppler und Gestalter." Sein Museum solle mehr Fragen zum Thema Berg aufwerfen als Antworten geben. Die Menschenmassen schieben sich vorbei an natürlichen Felsformationen und Steinmännchen von Menschenhand, an goldgerahmten Malereien und allerlei tibetischem Krimskrams.

Mal hängen Berge drohend über den Köpfen der Besucher, mal leuchten sie von Plakaten herab ("Mich hat die Lawine begraben/trauert nicht,/was kann ich besseres haben/ als Wohnen im Ewigen Licht"). Die Burg-Steiger sehen sich von lustprallen Dämonen umgeben und betrachten minutenlang eine Landkarte mit "der seelisch-geografischen Region Reinhold Messner". Neben dem "Sinnlosigkeits-See" findet sich hier der "Erwartet-keine-Gnade-Gletscher".

Hunderte Treppen weiter erklärt Museumsführer Messner, in diesem Raum werde er Müll ausstellen, den Bergsteiger am Mount Everest hinterließen. Auch werde ein Bob-Dylan-Song zu hören sein, dessen Text in Messnerscher Übersetzung lautet: "Wie viele Jahre braucht es, bis ein Berg zerbröselt?"

Das alles solle man aber gar nicht zu verstehen versuchen, meint Messner. Schließlich finde sich am Ende des Rundgangs die Skulptur eines asiatischen Sinnfressers, der all das wieder in Frage stelle.

Noch Fragen? Nur so viel hat man begriffen: Terlaner Weißburgunder schmeckt gut. Und Berge sind irgendwie göttlich und schützenswert. So, wie Reinhold Messner ja auch irgendwie göttlich und schützenswert ist. Und wenn man beim Auf- und Absteigen in seinem schönen Museum nicht aufpasst, so kann es passieren, dass einem der Sinnfresser oder gar ein herabfallender Buddha-Kopf den Schädel zerhaut.

Das freilich könnte ein Zeichen sein. Für was auch immer.

© SZ vom 3.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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