Kriminalitätsstatistik 2017:Gegen die Angst kommt die Gesellschaft nur gemeinsam an

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Ist das jetzt bedrohlich? Unheimliche Begegnung in einer Tiefgarage (Symbolbild) (Foto: Jaanus Jagomagi / Unsplash)

Die aktuelle Kriminalitätsstatistik ist da - und wieder einmal ist die Zahl der Verbrechen gesunken. Die gefühlte Unsicherheit vieler Menschen wird das kaum verringern.

Kommentar von Gunnar Herrmann

Es gibt verschiedene Arten, sich dem Phänomen der Kriminalität zu nähern. Eine davon ist, sich vorzustellen, spät abends alleine auf dem Heimweg durch eine dunkle Gasse zu laufen. Die Lichter in den Fenstern sind verloschen, kein Auto fährt mehr auf der Straße, der Lärm der Stadt ist verstummt, nur die eigenen Schritte hallen von den Häuserwänden wider. Und dann biegt eine Gruppe grölender junger Männer ums Eck - und kommt geradewegs auf einen zu.

Jeder kennt die Situation. Die allermeisten Menschen werden sich eingestehen, dass in solchen Momenten immer auch ein bisschen Angst im Spiel ist. Was sind das für Leute? Sind sie betrunken? Sind sie wütend? Stand nicht neulich erst in der Zeitung etwas über gewalttätige Jugendgangs? Wie war das mit der Schwester des Kollegen, die vor ein paar Tagen in der U-Bahn angepöbelt wurde? Das Kopfkino spielt in dunklen Gassen gerne Thriller.

Das ist menschlich. Aber die Sorge ist in deutschen Städten in den allermeisten Fällen unberechtigt. Das zeigt die Polizeistatistik - die einen anderen, objektiven Zugang zum Phänomen Kriminalität bietet. Gerade sind wieder aktuelle Zahlen bekannt geworden. Und sie sehen wirklich gut aus.

Im Jahr 2017 ist die Zahl der erfassten Straftaten so stark gesunken wie seit 25 Jahren nicht. Zehn Prozent weniger im Vergleich zum Vorjahr. Und auch die nähere Betrachtung ist erfreulich. Es gab weniger Ladendiebstähle, weniger Einbrüche, weniger Taschendiebstähle, ein bisschen weniger Gewaltdelikte. Und die Polizei konnte Verbrecher häufiger dingfest machen; die Aufklärungsquote ist messbar gestiegen. Insgesamt bestätigt die Statistik, was Fachleute schon länger sagen: Die Wahrscheinlichkeit, in Deutschland einem Verbrechen zum Opfer zu fallen, ist im Vergleich zu den meisten anderen Ländern der Welt eher gering.

Die Statistik straft somit erneut jene Lügen, die von chaotischen Verhältnissen schwadronieren, um Ängste zu schüren. Derzeit sind das vor allem Politiker am rechten Rand, die auch versuchen, einen Zusammenhang zwischen Kriminalität und Einwanderung zu konstruieren. Dafür gibt die Statistik ebenfalls keine Belege her.

Die Empörung über Einzelfälle ist berechtigt

Zwar sind ausländische Mitbürger bei Gewaltdelikten überproportional vertreten. Aber dafür gibt es Erklärungen, etwa die, dass die ausländische Bevölkerungsgruppe in Deutschland jünger und männlicher ist als die der Einheimischen. Und junge Männer sind nun mal überproportional in Kriminalitätsstatistiken vertreten. Außerdem: Gäbe es einen Zusammenhang zwischen Zuwanderung und Kriminalität, hätte die Zahl der Straftaten nach den großen Einwanderungsbewegungen der vergangenen Jahre ja eher steigen müssen, statt deutlich zu sinken.

An dieser Argumentation ändern auch die - zu recht - viel beachteten Einzelfälle nichts, bei denen Flüchtlinge und Einwanderer für Sexualstraftaten und Messerstechereien verantwortlich waren. Jeder dieser Einzelfälle ist für sich genommen schrecklich, und die öffentliche Empörung darüber ist berechtigt. Aber diese Fälle sollten kein allgemeines Angstgefühl auslösen können - denn sie sind laut Statistik eben kein Massenphänomen. Sondern einzelne Verbrechen in einem ansonsten sehr friedlichen Land.

Die Fakten widerlegen also die Angst - aber sie werden sie nicht beseitigen. Denn Angst folgt keiner Logik. Experten beobachten seit Längerem, dass die "gefühlte Sicherheit" der Deutschen in den vergangenen Jahren eher abgenommen hat. Allen schönen Nachrichten aus den Polizeistatistiken zum Trotz.

Diese Entwicklung ist bedenklich, denn sie zeigt, dass die Bürger das Vertrauen in den Staat verloren haben. Die Gründe dafür sind vielfältig, aber sie liegen eben nicht in einer real gewachsenen Gefahr. Was also tun?

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Vielleicht hilft es, sich noch einmal an die dunkle Gasse zu erinnern. Die Angst entsteht dort, weil der Fußgänger sich einsam fühlt und sich einer Situation gegenübersieht, die er nicht einschätzen und nicht kontrollieren kann.

Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Gesellschaft zu einer dunklen Gasse wird. Die aktuelle Kriminalstatistik hilft dabei, weil sie ein bisschen Licht ins Dunkel wirft. Sie ist ein gutes Argument, um den Angstmachern zu widersprechen, wenn sie uns einreden wollen, dass wir längst in einer dunklen Gasse leben.

Aber dieses Argument allein reicht nicht, um Angst wirklich zu bekämpfen. Sie wird nur dann verschwinden, wenn die Menschen auch wirklich das Gefühl haben, dass sie im Notfall nicht allein sein werden. Dass sie sich verlassen können auf ihre Mitmenschen und auf den Staat. Diese Atmosphäre der Sicherheit kann die Gesellschaft in einer gemeinsamen Anstrengung erzeugen: Dazu braucht es den Mut, nicht wegzusehen, wenn ein Verbrechen geschieht. Es braucht die Zivilcourage, im Ernstfall schnell zu helfen. Und - ja - es braucht auch eine gut ausgestattete Polizei, die nicht nur zur Terrorabwehr aufmarschiert, sondern auch da ist, wenn einem auf dem Marktplatz der Geldbeutel geklaut wird.

Die Kriminalitätsstatistik ist eine Aufforderung, sie sagt: In Deutschland dürfen sich die Menschen sicher fühlen. Diese Aufforderung mit Leben zu füllen, ist eine Aufgabe für alle Bürger.

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