Kriminalgericht Moabit:Alles, nur bitte nicht Freiheit

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Kriminalgericht Moabit Berlin, das größte Strafgericht Europas (Foto: Regina Schmeken)

Das freie Leben setzt dem ehemaligen Sträfling Heiko B. zu. Er begeht eine Verzweiflungstat, um wieder ins Gefängnis zu dürfen. Wie bestraft man jemanden, der Sicherheit sucht? Ein Besuch im Berliner Kriminalgericht Moabit.

Von Martin Wittmann

Drei Jahre ist es her, dass Heiko B. aus dem Gefängnis entlassen wurde, aber es waren keine guten drei Jahre. Nach seiner Haft lebte er auf der Straße, vom Stehlen und Betteln und von dem Geld, das ihm seine Mutter noch gab. Er diagnostizierte selbst bei sich eine Depression, und immer hatte er Angst. Wo er auch hinflüchtete, spürte er seine Verfolger.

An einem Sommernachmittag im vergangenen Jahr hält er es nicht mehr aus. Er muss sein Leben in den Griff bekommen, Halt finden. Er will wieder rein: ins sichere Gefängnis.

Es ist die Vorgeschichte einer Verzweiflungstat, Monate später erzählt vom Verteidiger des Heiko B. Der 43 Jahre alte Angeklagte hockt gebückt auf der Holzbank in Saal 621, direkt hinter dem Anwalt. Ein kräftiger Mann im Camouflage-Kapuzenpulli, die Haare hat er oben rasiert und hinten lang, eine kleine Brille im runden Gesicht.

Der Staatsanwalt hört, dass der Angeklagte vorbestraft ist. Nicht nur wegen eines Tankstellenraubs, sondern auch wegen versuchter Vergewaltigung. Eine Tat, die Heiko B. heute noch abstreitet. Auch dahinter vermutet er seine Verfolger: "Die Geheimdienste."

Der Staatsanwalt kämpft gegen ein Gähnen, während hinter ihm die Morgensonne auf steigt. Ein neuer Tag im Kriminalgericht Moabit, dem größten Strafgericht Europas.

"Ich möchte festgenommen werden"

Drei Besucher sitzen an diesem Morgen in der öffentlichen Verhandlung in Saal 621, es sind zwei Jurastudentinnen und die Frau eines Schöffen. Heiko B.s Verteidiger schildert, wie zermürbt sein Mandant zur Tatzeit ist. Er will wieder zurück in die Geborgenheit der Zelle, auf dem Weg soll aber niemand verletzt werden und kein Privateigentum zu Schaden kommen. Vor dem Berliner Hauptbahnhof findet er ein passendes Angriffsziel: ein leeres Polizeiauto. Heiko B. legt einen Grillanzünder auf den rechten Vorderreifen und zündet ihn an. Sofort eilt ein Beamter herbei, die Flamme kann er umstandslos löschen. Der Täter steht nur ein paar Meter daneben auf einer Treppe einer Treppe. Als der Polizist ihn anspricht, sagt Heiko B.: "Ich verfüge über zu viel negative Energie und möchte festgenommen werden."

Das Gericht macht es sich nicht leicht. Es lässt einen Brandexperten über das Feuermachen und den Polizisten über das Feuerlöschen referieren; ein Gutachter wiederum hat bei Heiko B. eine "Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und schizoiden Anteilen" gefunden, jedoch keine "erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit". Den Angeklagten macht diese Akribie ratlos, sein Blick sagt: Was soll das Theater, sperrt mich doch einfach ein.

Es ist ein Fall von vielen, in einer beliebigen Woche am Kriminalgericht. Die Zeit wird Fragen aufwerfen, an den Rechtsstaat und auch an einen selbst: Wie sind bei der Urteilsfindung Verstand und Gefühl voneinander trennen? Welche Strafe verdient etwa einer, der seiner Nachbarin die Kehle durchgeschnitten hat? Wie viel Mitleid verdient ein Vergewaltiger, wie viel Verständnis ein stehlender Junkie? Und ja, wie wird einer bestraft, der mit der Freiheit nicht klarkommt?

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