Katholische Kirche:Jungen werden häufiger Opfer von sexuellen Übergriffen durch Priester

Katholische Bischöfe

Die Glaubwürdigkeit der Kirche ist erschüttert.

(Foto: Uwe Zucchi/dpa)
  • Die katholische Kirche hat nach dem Bekanntwerden von Missbrauchsfällen erste Ergebnisse eines Forschungsprojekts zu den Ursachen vorgelegt.
  • Die Forscher des Zentralinstituts für seelische Gesundheit in Mannheim stellten bei den Tätern unter anderem emotionale und sexuelle Unreife sowie Pädophilie fest.
  • Geistliche vergingen sich in erster Linie an Jungen.

Von Matthias Drobinski

Es hört nicht irgendwann auf, wie mancher Kirchenverantwortliche gedacht haben mag. Hier taucht ein neuer Fall auf, dort gibt es neue Erkenntnisse zu einem alten. In Hildesheim weiß man nun, dass jener Priester, der für viele sexuelle Übergriffe am Berliner Canisius-Kolleg verantwortlich ist, auch zwei Frauen missbraucht hat. In Trier steht der Vorwurf im Raum, das Bistum hätte bei einem jetzt suspendierten Priester schon 2006 handeln müssen; damals war Reinhard Marx Bischof, der heutige Münchner Kardinal und Vorsitzende der Bischofskonferenz.

Die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche hängt auch davon ab, ob es ihr gelingt, den Missbrauchsskandal aufzuarbeiten. Vor mehr als zwei Jahren hat die Bischofskonferenz deshalb ein umfangreiches interdisziplinäres Forschungsprojekt auf den Weg gebracht, das jetzt erste Zwischenergebnisse seiner Arbeit vorgestellt hat. Das wichtigste Ergebnis lautet: Diese Aufarbeitung steht noch sehr am Anfang.

Vorwurf der Zensur

Schon der Beginn des Projekts zeigte, wie schwer die Erforschung des Geschehenen nach wie vor fällt: Im Januar 2013 schieden die Bischofskonferenz und der Kriminologe Christian Pfeiffer im Unfrieden. Pfeiffer warf den Bischöfen vor, sein Projekt zensieren zu wollen. Mehr als ein Jahr dauerte es, bis ein neues Team gefunden war. Es steht unter der Leitung von Harald Dreßing, dem Leiter der Forensischen Psychiatrie in Mannheim. Das Konsortium sollte nicht mehr nur die Personalakten nach Tätern und Opfern durchsuchen, sondern auch jene Strukturen erforschen, die sexuelle Gewalt und ihre Vertuschung begünstigen.

Zwei Jahre später zeigt sich, dass in den Personalakten der Bistümer die Wahrheit nur sehr begrenzt zu finden sein wird. Viele Unterlagen sind vernichtet, oft aus berechtigtem Persönlichkeitsschutz, manchmal aus Schlamperei oder um den Skandal zu vertuschen. 1700 Personen haben mittlerweile einen Antrag auf Entschädigung gestellt, doch selbst ihre Geschichten finden sich oft nicht in den Akten. Die Forscher haben zudem keinen direkten Zugang zu den Archiven und Geheimarchiven der Bistümer, dort suchen Bistumsmitarbeiter nach den Unterlagen. Man habe bislang alle gewünschten Informationen bekommen, betont Dreßing. Wenn auch manchmal sehr spät. So verlagert sich der Schwerpunkt des Forschens zunehmend auf andere Bereiche. In neun Bistümern soll in einer Art Tiefenbohrung die Geschichte des Missbrauchs von 1946 an rekonstruiert werden; Interviews mit Betroffenen sollen ahnbar machen, wie es ihnen erging und noch heute ergeht. Seit diesem Montag läuft zudem eine Online-Umfrage, Betroffene können dort anonym berichten, was ihnen widerfahren ist.

Unvollständiger Blick in den Abgrund

Da dies alles viel Zeit braucht, ist die bislang wichtigste Leistung des Konsortiums eine Metastudie über die zum Thema veröffentlichten Studien. Ihr zufolge sind Opfer im kirchlichen Bereich, anders als sonst, überwiegend männlich. Fast jedem dritten Täter wurde emotionale oder sexuelle Unreife bescheinigt, bei 22 Prozent wurde eine Persönlichkeitsstörung ausgemacht. Es ist ein unvollständiger Blick in den Abgrund, heißt es, viele Untersuchungen wiesen "methodische Schwächen" auf. Diesen Zustand wollen die Forscher um Dreßing verbessern - der Methoden-Mix des Konsortiums ist neu, und am Ende werde man mehr über Ausmaß und Strukturen der sexuellen Gewalt in der Kirche wissen, verspricht er. Dafür müsse man aber den Zeitrahmen bis Ende 2017 ausschöpfen.

Die Vertreter der Betroffenen wie Matthias Katsch von der Gruppe "Eckiger Tisch" stellt das nur bedingt zufrieden. Er kritisiert, dass Bischöfe und andere Verantwortliche nicht offen genannt werden sollen. Und solange die katholische Kirche "nichtlebbare Vorschriften" zur Sexualität mache, bleibe die Doppelmoral bestehen, die Übergriffe und Vertuschung begünstigten.

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