Kachelmann: Prozessbeginn:Auf Messers Schneide

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Im Kachelmann-Prozess geht es nicht um Indizien. Entscheidend wird sein, wem die Richter glauben - dem Moderator oder seiner ehemaligen Freundin. Doch egal, wie der Prozess ausgeht: Kachelmann hat in jedem Fall verloren.

Wolfgang Janisch

Es ist der Prozess des Jahres und doch nur ein ganz normaler Kriminalfall. Ein Mann soll eine Frau vergewaltigt haben, wenigstens sagt die Frau das. Er bestreitet. Es steht Aussage gegen Aussage. Schwierig, aber nicht unlösbar, Richter kommen mit so etwas zurecht.

Jörg Kachelmann hat in diesem Prozess schon verloren: Wird er schuldig gesprochen, ist der einst populäre Wettermoderator ein verurteilter Sexualstraftäter, spricht das Gericht ihn frei, dürfte sein Ruf trotzdem beschädigt sein. (Foto: ddp)

Nur heißt der Mann eben Jörg Kachelmann, und weil ihn jeder von der Wettervorhersage im Fernsehen kennt - oder zumindest zu kennen glaubte -, wird es eben ein besonderer Prozess, den die 5. Große Strafkammer des Landgerichts Mannheim von diesem Montag an verhandeln muss.

Ein Prozess, in dem Dutzende von Reportern jedes Wort notieren, jedes Blinzeln des Angeklagten und jedes Stirnrunzeln der Richter registrieren. Etwa ein Dutzend Sitzungstage sind geplant, 26 Zeugen und fünf Sachverständige sollen vernommen werden, gegen Ende Oktober ist mit einem Urteil zu rechnen.

Und das wird spektakulär ausfallen, so oder so: Entweder stellt das Gericht fest, dass Kachelmann am Abend des 8. Februar seine Freundin in deren Schwetzinger Wohnung vergewaltigt hat - dann ist der verwuschelte und als so sympathisch geltende Wettermann ein verurteilter Sexualverbrecher. Oder er wird freigesprochen. Dann hat ein untadeliger Fernsehschaffender nicht nur unschuldig in Untersuchungshaft gesessen, sondern vermutlich lebenslang seinen guten Ruf verspielt.

Der mediale Urknall

Es war am 22. März, einem Montag, als der Fall Kachelmann seinen medialen Urknall erlebte. Zwei Tage zuvor war ein "51-jähriger Journalist und Moderator" am Frankfurter Flughafen festgenommen worden, wie die Mannheimer Staatsanwaltschaft noch vornehm anonymisiert mitteilte - doch natürlich wurde rasch bekannt, um wen es sich handelte. Dass Kachelmann sogleich in Untersuchungshaft genommen wurde - wegen Fluchtgefahr, weil er in seiner Schweizer Heimat dem Zugriff der deutschen Justiz entzogen gewesen wäre -, steigerte den Sensationswert ins Unermessliche.

Jedenfalls fanden in den folgenden gut vier Monaten seiner Haft nahezu sämtliche Details aus dem Ermittlungsverfahren ihren Weg in die Medien: Die Gutachten von Rechtsmedizinern und Aussagepsychologen, das Tagebuch des angeblichen Opfers, die Schilderungen seiner zahlreichen Parallel-Geliebten über den bestrickenden Charme des Frauenverstehers, sein virtuoses Lügengespinnst - und nicht zuletzt über seine angeblich auf Dominanz angelegten Sexualpraktiken.

Sind da Details aus Kachelmanns Intimsphäre ausgebreitet worden, die mit dem Anklagevorwurf nichts zu tun haben? Ein Blick auf die Zeugenliste des Landgerichts deutet eher auf das Gegenteil hin: "Diverse weibliche Zeugen aus dem Umfeld des Angeklagten", so bestätigt das Gericht, werden in Mannheim aussagen. Denn für die Klärung des Vergewaltigungsvorwurfs kann auch seine Persönlichkeitsstruktur relevant sein: Ist er ein Narziss, der gekränkt reagiert, wenn ihm jemand das Ende der Beziehung verkündet? Ein großer Manipulator, der ausrastet, wenn ihm die Herrschaft über das Geschehen entgleitet?

Doch letztlich sind das zweitrangige Indizien. Im Zentrum des Prozesses steht die große Frage, wem das Gericht glaubt - Kachelmann oder seiner langjährigen Freundin, die erst gegen Ende des Prozesses vernommen wird. Als das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe Kachelmann Ende Juli mangels dringenden Tatverdachts auf freien Fuß setzte und Zweifel an den Angaben der 37 Jahre alten Radiomoderatorin äußerte, schien sich seine Ausgangslage zwar zu verbessern. Ein genauer Blick in den OLG-Beschluss zeigt indes: Die Sache ist nach wie vor offen. Denn das OLG hatte nicht über Schuld oder Unschuld zu befinden, sondern nur darüber, ob der Tatverdacht noch "dringend" war - und dies "nach Lage der Akten".

Der Fall Kachelmann beginnt erst

Zwar hat die Frau bei ihren Aussagen in der Tat seltsame Haken geschlagen, die Schatten des Zweifels auf ihre Anschuldigungen werfen: Den anonymen Brief mit den auf Kachelmann und eine andere Geliebte ausgestellten Flugtickets, den sie kurz vor seinem Besuch im Briefkasten gefunden haben will, schrieb sie selbst. Auch dass sie mit jener Frau schon Wochen zuvor per Mail verkehrt hat, räumte sie erst auf hartnäckiges Nachfragen ein. Hat sie womöglich von langer Hand einen perfiden Racheakt vorbereitet? Oder waren dies nur die hilflosen Versuche einer verzweifelten Frau, das erschütterte Selbstwertgefühl wiederzuerlangen?

Ähnlich unergiebig fällt die Beurteilung der vielen Gutachten aus. Bei den rechtsmedizinischen Untersuchungen der Hämatome und Kratzspuren am Körper des Opfers kommt das OLG zu einem "non liquet" - die Spuren können echt oder fingiert sein. Ebenso das psychologische Gutachten der Bremer Professorin Luise Greuel: Die Aussage des angeblichen Opfers weise zwar erhebliche Mängel hinsichtlich ihrer Konsistenz auf - ein Nachweis einer Falschaussage sei dies aber nicht.

Wenn der Vorsitzende Richter Michael Seidling am Montag den Prozess eröffnet, steht er nicht am Ende der Wahrheitsfindung, sondern am Anfang. Der Fall Kachelmann beginnt erst .

© SZ vom 06.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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