Jakob von Metzler:Ein Mord, der das Land erschütterte

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"Danke, daß es Dich gab!": Karte am Grab des Bankierssohnes Jakob von Metzler in Frankfurt am Main. (Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)
  • Der Mörder des Bankierssohns Jakob von Metzler hat einen Antrag eingereicht, seine Strafe zur Bewährung auszusetzen.
  • Magnus Gäfgen war 2003 zu lebenslanger Haft verurteilt worden, mit besonderer Schwere der Schuld.
  • Eine Entlassung schon nach 15 Jahren wäre in diesem Fall ungewöhnlich.

Von Hans Holzhaider

Selten hat ein Verbrechen die Menschen in Deutschland so erschüttert wie der Mord an dem elfjährigen Jakob von Metzler. Am 27. September 2002 hatte der damals 27-jährige Jurastudent Magnus Gäfgen den Jungen in seine Frankfurter Wohnung gelockt, ihm Mund und Nase mit Klebeband verschlossen und ihn erstickt.

Mit dem toten Kind im Kofferraum fuhr er zum Haus der Eltern und warf einen Erpresserbrief ein. Die Polizei kam ihm schnell auf die Spur, sie beschattete ihn, als er am nächsten Tag das Lösegeld von einer Million Euro abholte. Und nahm ihn tags darauf am Frankfurter Flughafen fest, als er mit seiner 16-jährigen Freundin nach Fuerteventura fliegen wollte.

Am 28. Juli 2003 verurteilte das Landgericht Frankfurt Magnus Gäfgen zu lebenslanger Haft und stellte die besondere Schwere seiner Schuld fest. Trotzdem gab der Vorsitzende Richter Hans Bachl dem Angeklagten damals ein Wort der Ermutigung mit auf den Weg: "Wenn Sie sich Ihrer Verantwortung stellen und am Vollzugsziel mitwirken", sagte Bachl, "dann haben Sie langfristig auch eine Perspektive."

Gehen diese Worte jetzt in Erfüllung? Eine Strafvollstreckungskammer am Landgericht Kassel prüft derzeit, ob Gäfgen, der vor drei Jahren einen anderen Namen angenommen hat, nach 15 Jahren Haft, also Anfang Oktober, auf Bewährung entlassen werden kann. Gäfgens Anwalt Michael Heuchemer sagt, dass die Initiative zu dieser Überprüfung nicht von seinem Mandanten ausgegangen sei. "Das ist eine routinemäßige Überprüfung von Amts wegen. Das ist gesetzlich so vorgeschrieben", sagt Heuchemer.

Martin Kolter, der Vizepräsident und Pressesprecher des Landgerichts Kassel, erklärt den Ablauf so: Die Justizvollzugsanstalt, in der Gäfgen einsitzt, habe auf den Ablauf der 15-jährigen Haftdauer hingewiesen, nach der eine Strafaussetzung zur Bewährung erstmals möglich ist. In einem Anhörungsformular habe Gäfgen bei der Frage, ob er mit einer bedingten Entlassung einverstanden sei, "Ja" angekreuzt. "Das hat die Kammer als Antrag gewertet." Nun müsse sich die Strafvollstreckungskammer zunächst mit der Frage der Mindestvollstreckungsdauer beschäftigen.

Im Gefängnis erstritt sich Gäfgen eine "Entschädigung" von 3000 Euro

Eine bedingte Entlassung schon nach 15 Jahren wäre bei einem Verurteilten, bei dem die besondere Schwere der Schuld festgestellt wurde, mindestens ungewöhnlich - allerdings nicht gänzlich ausgeschlossen. In der Strafprozessordnung ist geregelt, dass eine lebenslange Freiheitsstrafe nach 15 Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden kann, "wenn nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet". Vor einer Entlassung müsste also auch ein psychiatrischer Sachverständiger zu der Frage gehört werden, ob von dem mittlerweile 42-jährigen Gäfgen weiter die Gefahr schwerer Straftaten ausgeht.

Zumindest in der Öffentlichkeit dürfte es erhebliche Zweifel daran geben, ob Gäfgen der damals an ihn gerichteten Mahnung des Richters, sich seiner Verantwortung zu stellen, gerecht geworden ist - wegen der Begleitumstände, die dem Fall Gäfgen einen besonderen Platz in der deutschen Justizgeschichte bescheren.

Als der Jurastudent sich nach seiner Festnahme weigerte, den Aufenthaltsort des entführten Kindes mitzuteilen, ließ ihm der Frankfurter Polizeivizepräsident Wolfgang Daschner androhen, man werde ihm Schmerzen zufügen, wie er sie noch nicht erlebt habe, wenn er das Versteck nicht preisgebe. Daschner sah in diesem Vorgehen die letzte, verzweifelte Möglichkeit, das Leben des Jungen noch zu retten. Gäfgen verriet daraufhin, wo er die Leiche des Kindes versteckt hatte.

Der Rechtsstreit ging bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Daschner und der von ihm angeleitete Kriminalbeamte wurden später wegen Nötigung beziehungsweise Anstiftung zur Nötigung schuldig gesprochen, aber nur zu einer Geldstrafe auf Bewährung verurteilt. Das Gericht wertete die angedrohte Gewalt als einen Verstoß gegen die Achtung der Menschenwürde, der auch dann verwerflich sei, "wenn er subjektiv zu dem Zweck erfolgt ist, das Leben eines Kindes zu retten". Gäfgen, der im Gefängnis das erste juristische Staatsexamen ablegte, verklagte Hessen auf Zahlung eines Schmerzensgeldes von 10 000 Euro und Schadenersatz in unbestimmter Höhe. Für dieses Verfahren erstritt er sich sogar Prozesskostenhilfe.

Der Rechtsstreit ging bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der entschied, dass die Gewaltandrohung zwar keine Folter, aber ein Verstoß gegen das Verbot unmenschlicher Behandlung in der Europäischen Menschenrechtskonvention gewesen sei. Gäfgens Forderung, das Frankfurter Urteil aufzuheben und das Verfahren wiederaufzunehmen, wies der EGMR jedoch zurück, weil das Frankfurter Gericht sein Urteil nicht auf das durch Drohungen erzwungene Geständnis gestützt hatte.

Gäfgen hatte vor Gericht erneut ein umfassendes Geständnis abgelegt. Das Landgericht Frankfurt erkannte Gäfgen schließlich eine "Entschädigung" von 3000 Euro zu. Ein Großteil der Schulden, die aus den hohen Gerichtskosten im Mordprozess stammten, wurde Gäfgen erlassen, nachdem er im Gefängnis Privatinsolvenz angemeldet hatte.

Wolfgang Daschner, der ehemalige Polizeivizepräsident, wurde nach seiner Verurteilung zum Leiter des Präsidiums für Technik, Logistik und Verwaltung der hessischen Polizei ernannt. Seit 2008 ist er im Ruhestand.

© SZ vom 10.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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