Irland:Zahnärztin stirbt nach verwehrter Abtreibung

"Das hier ist ein katholisches Land": Sogar nach Vergewaltigungen müssen sich irische Frauen ihr Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch mühsam erstreiten. Seit 20 Jahren verschleppen Regierungen ein Gesetz zur Legalisierung von Abtreibungen. Dieses Versäumnis hat eine Frau in Galway nun vermutlich das Leben gekostet.

Lena Jakat, London

Einige Frauen vor ihr haben sich den Eingriff erklagt. Oder wenigstens die Möglichkeit dazu. Doch Savita Halappanavar blieb dafür keine Zeit. Wenige Tage, nachdem die Ärzte ihr eine Abtreibung verweigert hatten, starb sie an einer Blutvergiftung.

Zugetragen hat sich dieser Fall nicht in einer für ihren Fundamentalismus berüchtigten Ecke der Welt, nicht in Indonesien und nicht in Iowa, sondern mitten in der EU. In Galway, Irland.

Abtreibung ist dort in jeder Form verboten. Die Republik ist neben Malta der einzige Mitgliedsstaat der Europäischen Union mit einer diesbezüglich derart rigiden Gesetzgebung - und ließ sich diesen Sonderstatus sogar vertraglich zusichern: Bevor Irland 1992 den Vertrag von Maastricht unterzeichnete, wurde die Garantie auf Nichteinmischung von Brüssel in Sachen Schwangerschaftsabbruch in einer Klausel festgehalten.

Das Mädchen "X"

"X", ein 14 Jahre altes Mädchen, wollte das nicht hinnehmen. Obgleich ihr Name nie bekannt wurde, ist die Jugendliche zum Symbol für die erbarmungslose Abtreibungspolitik ihres Landes geworden.

1992 wurde sie von einem Nachbarn vergewaltigt und durch den Übergriff schwanger. Das Mädchen dachte an Suizid, entschied sich dann aber auszureisen, nach England. Dort gelten seit 1967 mit die liberalsten Abtreibungsgesetze Europas. Doch die Behörden verboten ihr die Reise, hielten sie im Land fest.

Erst das Verfassungsgericht räumte dem schwangeren Teenager schließlich die Möglichkeit eines Abbruchs im Ausland ein. Wenn ein "reales und substantielles Risiko bestehe", so urteilte das höchste Gericht des Landes, sei eine Abtreibung zu ermöglichen. X reiste nach England - erlitt dort jedoch noch vor dem umstrittenen Eingriff eine Fehlgeburt.

Der Fall X hatte das Zeug dazu, die rigide Gesetzgebung zu ändern. So jedenfalls glaubten viele Pro-Choice-Aktivisten 1992. Doch die Entscheidung des Gerichts wurde nie zum Gesetz.

Zwar gab es seither vier Referenden. Und eine ähnliche Geschichte wie die von X wiederholte sich 1997 mit einer Miss C und 2007 mit einer Miss D. Beiden sprach das Verfassungsgericht ebenfalls das Recht zu, für den verbotenen Eingriff ins Ausland zu reisen. Inzwischen nehmen jedes Jahr etwa 5000 Frauen von der Grünen Insel diese Ausweichmöglichkeit wahr. Dennoch: Eine Gesetzesänderung blieb aus. Bis heute.

Verschleppte Gesetzesänderung

Im Februar, zum 20. Jahrestag der X-Entscheidung, war die Hoffnung abermals groß. Journalisten schrieben über den schwindenden Einfluss der katholischen Kirche, über den Stimmungswandel in der Bevölkerung. Tatsächlich schien der Druck auf die irische Regierung zu wachsen: 2011 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte befunden, dass die Rechte einer Frau verletzt wurden, weil Abtreibungsgesetze fehlten.

Pünktlich zum Jahrestag gab die Regierung von Taoiseach - Premierminister - Enda Kenny bekannt, ein Expertengremium sei nun eingerichtet, das sich der Sache annehmen werde. Bis Ende Juni sollte das Komitee seinen Bericht vorlegen. Den Sommer über lieferten sich Pro-Choice- und Pro-Life-Lobbygruppen einen Kampf um die öffentliche Meinung, der mit der Eröffnung der ersten Abtreibungsklinik im britischen Nordteil der Insel jüngst noch befeuert wurde.

Im September dann sagte Kenny dem US-Magazine Time: "Ich denke, dieses Thema ist für die Regierung derzeit keine Priorität." Inzwischen werden die Empfehlungen des Expertengremiums zum Jahresende erwartet.

"Das Versagen mehrerer Regierungen hat zu Savitas Tod geführt"

Für Savita Halappanavar ist das zu spät. Die 31 Jahre alte Zahnärztin war am 21. Oktober mit starken Schmerzen in das Universitätsklinikum von Galway gebracht worden. Die Diagnose: Sie würde eine Fehlgeburt erleiden. Halappanavar bat um einen Abbruch.

Der Schilderung ihres Mannes zufolge wurde dieser jedoch abgelehnt, weil das Herz des Kindes noch schlug. Die Ärzte hätten ihnen gesagt: "Das hier ist ein katholisches Land." Zweieinhalb Tage dauerte es demzufolge, bis das Baby starb. Wenige Tage später folgte die Mutter dem Ungeborenen. Eine interne und eine unabhängige Ermittlung sollen nun die genauen Umstände klären.

Halappanavars Tod liefert den Legalisierungs-Befürwortern neue Argumente. "Entsprechend der X-Entscheidung haben Frauen in Irland das Recht auf eine Abtreibung, wenn dadurch ihr Leben gerettet werden kann", heißt es in einer Erklärung der Pro-Abtreibungsorganisation Galway Pro-Choice. "Doch es gibt kein Gesetz, das dies widerspiegeln würde. Das Versagen mehrerer Regierungen nacheinander ist es, das zu Savitas Tod geführt hat."

Der Abgeordnete Patrick Nulty rief zum Handeln auf. Das Parlament stehe unter dem "zwingenden Druck, Verantwortung zu zeigen und ein Gesetz zu erlassen", zitierte der britische Guardian den Politiker. Regierungschef Kenny teilte mit, zunächst die Ergebnisse der Ermittlungen abwarten zu wollen.

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