Hilfe für Erdbebenopfer:Messner kritisiert Vernachlässigung der Nepalesen

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  • Mehr als 3900 Tote zählen die nepalesischen Behörden bereits - doch noch konnten längst nicht alle Opfer des schweren Erdbebens geborgen werden.
  • Starke Regenfälle und drohende Nachbeben erschweren die Situation für die Überlebenden.
  • Zahlreiche Länder und Institutionen haben Hilfe zugesichert. Aus Deutschland startet heute der zweite Flug mit Hilfsgütern in die Region.

Mehr als 3900 Tote, mehr als 7200 Verletzte

Bei dem schweren Erdbeben in Nepal ist dem Innenministerium in Kathmandu zufolge mehr als 3900 Menschen ums Leben gekommen. Damit hat sich die Zahl der Toten binnen weniger Stunden um etwa 500 erhöht. In der Regierung wird befürchtet, dass bis zu 5000 Menschen bei dem schwersten Beben in der Region seit mehr als 80 Jahren ums Leben gekommen sein könnten. Mehr als 7200 Menschen sind nach offiziellen Angaben verletzt worden, teilte die Polizei mit. In Indien starben 62 Menschen, in China mindestens 20 Menschen. Den Überlebenden machten in der Nacht starke Regenfälle zu schaffen. Viele Bewohner der Region trauen sich aus Angst vor Nachbeben nicht in ihre Häuser zurück.

Am Mount Everest starben mindestens 19 Menschen, als eine mehrere Stockwerke hohe Staublawine über das Basislager des höchsten Berges der Welt fegte. Dort hielten sich etwa 1000 Menschen auf. 65 Verletzte seien aus dem Lager ausgeflogen worden, sagte der Vizepräsident der nepalesischen Bergsteigervereinigung, Santa Bir Lama. Zu etwa 100 Menschen in der Everest-Region bestehe derzeit kein Kontakt. Viele von ihnen könnten in höheren Camps sein, hieß es.

Messner kritisiert Fokussierung auf die Bergsteiger

Bergsteiger Reinhold Messner, der alle Achttausender bestiegen hat, warnt davor, dass nach dem Erdbeben in Nepal das Schicksal der Bergsteiger am Himalaya die Not der Bevölkerung vor Ort in den Hintergrund drängen könnte. In erster Linie müsse den Menschen in der Hauptstadt Kathmandu geholfen werden, sagte Messner im Radiosender HR-Info. Allein dort gebe es Tausende Tote. Es sei "zynisch, dass man um die Bergsteiger am Mount Everest, die sich für 80 000 bis 100 000 Dollar diese Besteigung kaufen können, einen solchen Hype macht". Natürlich benötigten die Bergsteiger auch Hilfe, allerdings nicht in erster Linie. Am Mount Everest gebe es genügend Ärzte und Essen. Außerdem könnten Betroffene ausgeflogen werden. Die größeren Probleme gebe es am Fuße des Himalaya: "Im Kathmandutal und in den Schluchten drum herum ist eine viel größere Katastrophe passiert", sagte Messner.

Erdbeben in Nepal
:So können Sie helfen

Tausende Menschen sind bei dem Erdbeben in Nepal ums Leben gekommen. Die Versorgung der Bevölkerung ist schwierig, die Rettungsarbeiten laufen erst an. Hilfsorganisationen rufen zu Spenden auf. Eine Übersicht.

Ähnlich äußerte sich auch Bergsteiger und Mount-Everest-Kenner Peter Habeler. Auch er forderte, der Rettung der Ärmsten Priorität einzuräumen und sich weniger auf die Bergsteiger zu konzentrieren. "Diese Leute am Mount Everest zahlen viel Geld und haben alle eine Versicherung. Logischerweise werden Hubschrauber sie ausfliegen. Die Agenturen, die diese Hubschrauberflüge betreiben, wissen, dass sie dafür Geld bekommen. Und sie wissen auch, dass sie nichts bekommen, wenn sie irgendwo einfache Nepalesen ausfliegen, weil nämlich die Regierung kein Geld dafür hat."

Experten warnen vor Ausbruch von Seuchen

Infolge der Katastrophe machen sich Ärzte und Hilfsorganisationen Sorge über die Versorgungslage in der Erdbebenregion. "Wir fürchten, dass es zu Epidemien kommen könnte", sagte der Koordinator der Arbeiterwohlfahrt International (AWO) in Kathmandu, Felix Neuhaus, im Deutschlandfunk. Die Krankenhäuser seien komplett überlastet, die Trinkwasserversorgung sei ausgefallen und Regen verschlimmere die Lage. Auf den Straßen herrsche Chaos, auch die Hilfsarbeiten liefen bislang "relativ unkoordiniert". Besonders schlimm sei die Situation in den Dörfern, "wo bis zu 100 Prozent der gesamten Bausubstanz zusammengefallen ist", sagt der Nothilfekoordinator.

"Die Situation in Kathmandu ist fatal", sagt auch Peter Seidel, der zuständige Länderreferent bei Caritas International. "Die medizinische Versorgung in Nepal ist schon in normalen Zeiten sehr schlecht, auf dem Land in vielen Regionen praktisch inexistent", so Seidel im ZDF-"Morgenmagazin".

Ihr Forum
:Ihre Reaktionen zum Erdbeben in Nepal

Mit einer Stärke von 7,8 ist das Erdbeben die stärkste Erschütterung in Nepal seit 80 Jahren. Mehr als 3200 Tote zählen die Behörden. Starke Regenfälle und drohende Nachbeben erschweren die Situation für Überlebende und Hilfsaktionen.

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Internationale Hilfe läuft an

Zahlreiche Staaten und Organisationen haben mittlerweile Helfer nach Nepal entsandt. Gesteuert wird die Hilfe für Nepal vom UN-Büro zur Nothilfe-Koordinierung (OCHA). Hilfsflugzeuge aus aller Welt erreichten Kathmandu mit Gütern wie Nahrungsmitteln, Medikamenten und Kommunikationsgeräten.

Die Europäische Kommission versprach Nepal drei Millionen Euro Soforthilfe. Das Geld solle zusätzlich zu den Hilfen der einzelnen Mitgliedstaaten und zur Entsendung von Zivilschutzexperten in die Erdbebenregion fließen, erklärte der EU-Kommissar für humanitäre Hilfe, Christos Stylianides. Am dringendsten würden medizinische Helferteams und Nothilfe-Lieferungen benötigt.

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Im Norden Indiens gab es das letzte Mal im Jahr 1505 ein großes Erdbeben. Doch schon seit Jahren halten manche Seismologen die Region im Himalaya für stark gefährdet. Jetzt scheinen sich ihre Prognosen bewahrheitet zu haben.

Von Priyanka Pulla, Science

Vom Flughafen Berlin-Schönefeld soll an diesem Montag ein Flug mit 60 Tonnen Hilfsgütern nach Nepal starten, wie das Deutsche Rote Kreuz mitteilte. Ein Hilfsflug von I.S.A.R. Germany mit 52 Helfern war schon am Sonntag gestartet. Unter ihnen seien Rettungshundeführer und Experten für die Suche nach Verschütteten sowie medizinisches Personal, hieß es. Auch Schweden schickte Suchhunde.

Viele Organisationen riefen zu Spenden für die Erdbebenopfer auf und entsandten ebenfalls Helfer und Material. Die Liste der Länder, die in den ersten 24 Stunden ihre Unterstützung ankündigten, reicht von Sri Lanka über Japan und Russland bis Belgien, Frankreich und Luxemburg.

Zerstörungen gewaltigen Ausmaßes

Das Erdbeben der Stärke 7,8 war die stärkste Erschütterung des Bodens in Nepal seit mehr als 80 Jahren. Dem Beben am Samstag folgten viele Nachbeben. Das ganze Ausmaß der Zerstörung war noch nicht abzusehen, weil viele abgelegene Dörfer zunächst nicht erreicht wurden. Der Erdstoß mit seinem Epizentrum etwa 80 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Kathmandu zerstörte große Teile der Infrastruktur Nepals, viele alte Häuser sowie Weltkulturerbe- und Pilgerstätten.

Weite Teile des Erdbebengebiets blieben auch am Sonntag ohne Strom. Die Wasserversorgung war unterbrochen und die meisten Tankstellen waren geschlossen. Nepal rief den Notstand in den betroffenen Gebieten aus, in denen 6,6 Millionen Menschen leben. Die Krankenhäuser seien überfüllt, Blutkonserven und Medikamente gingen zur Neige, erklärten die Vereinten Nationen. Schulen und Universitäten bleiben für eine Woche geschlossen.

© Süddeutsche.de/AFP/dpa/sks - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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