Haiti: Nach dem Beben:Der gute Geist

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Eine Schweizerin hat in Haiti eine einzigartige Voodoo-Sammlung aufgebaut. Ihr Schatz aus Totenköpfen, Masken und Skulpturen hat das Beben überlebt - Fundamentalisten wittern einen "Teufelspakt".

Peter Burghardt

Auch der Boukman steht noch, den wirft nichts um. Der mächtige Kopf aus dunklem Granit duckt sich neben Blumentöpfen im Vorhof von Marianne Lehmann, unter dem ausladenden Baum. Mitten in Pétionville über dem halb zerstörten Port-au-Prince, Haiti. Die Skulptur stellt Dutty Boukman dar, den Voodoo-Priester des siegreichen Aufstandes haitianischer Sklaven vor 200 Jahren gegen Frankreich. Daneben thront der steinerne Bossou mit drei Hörnern, ebenfalls ein legendäres Voodoo-Motiv.

"Es gibt da so viele Vorurteile, immer dieses Zeug mit den Nadeln und den Puppen", klagt Marianne Lehmann. Für die Schweizerin ist Voodoo "Tradition, Religion, Philosophie, Kosmologie". (Foto: Foto: Peter Burghardt)

"Manche Leute halten sie für Teufel, aber das sind Beschützer", sagt Frau Lehmann mit ihrem Schweizer Akzent. Sie stützt sich im Blumenkleid auf einen Stock, den Hüftschaden hatte sie schon vorher. Ihr und ihrem Haus ist nicht viel passiert bei dem Beben, aber als sie in den Raum schlurft, da rät sie: "Lassen wir die Tür offen, es kann noch mindestens Stärke fünf kommen."

Sie lag im Bett, als am Nachmittag des 12. Januar die Stöße der Stärke 7,1 durch die Erde fuhren. Marianne Lehmann liegt gerne am Fenster und hört den Gesprächen draußen zu. 52 ihrer 73 Lebensjahre hat sie hier verbracht, Französisch und Kreolisch sind ihre Sprachen geworden.

Plötzlich wackelten Boden und Wände mit den beiden Voodoo-Bilder über ihr, darauf der Gott Grand Bois sowie Ruderer einer Galeere in Form eines Pferdes. "Natürlich hatte ich nicht dafür trainiert, blöd wie ich bin", doch sie humpelte trotzdem vor die Tür, wo die Stimmen zu Schreien, Schluchzen und Gebeten wurden.

"Ich habe eher an die Leute gedacht"

Feine Risse ziehen sich seither durch ihre Wände. Auch die Nachbargebäude blieben heil, doch ist die Place Saint Pierre nebenan ein Zeltlager Obdachloser geworden. USAid und argentinische UN-Soldaten verteilen Lebensmittel von einem Container, ein Schuss ist zu hören.

Drinnen bei ihr riechen die Katzen so streng wie einen Monat zuvor, als wir die Hüterin über das Erbe des Voodoo zuletzt besucht hatten. Wir gingen damals mit ihr hinüber auf die andere Seite der Rue Gregoire, hinter gelber Fassade lagern die meisten ihrer Schätze. Gestalten mit Spiegeln als Augen, manche gefesselt. Totenköpfe, einer mit Strohhut, Zigarre, Sonnenbrille. Es wurde dunkel, Strom gibt es eh keinen. Eine schwarze Katze streifte herum. Ihre verstaubte Sammlung wirkte etwas gespenstisch, obwohl sie das Klischee von Hexerei und Zombies bekämpft. Die vielleicht weltgrößte Voodoo-Kollektion hat die Katastrophe überstanden. Wobei die Besitzerin sagt: "An die Sachen habe ich nicht so gedacht, eher an die Leute."

Mehr als 200.000 Tote wurden bisher gezählt, Zehntausende weiterer Verschütteter sind von Betonteilen begraben. Lastwagen voller Leichen ließ die Regierung in Massengräber kippen. Der süßliche Geruch der Verwesung vermischte sich mit Gestank von Müll.

"Dass man die so wegschmeißt, das ist Wahnsinn", sagt Marianne Lehmann. "Wir haben einen Totenkult, normalerweise sind die meisten Gräber schön, manchmal besser gepflegt als Häuser." Es gehe um die symbolische Heimkehr der Seele - "sozusagen die Reise zurück nach Afrika", da kamen Haitis Ahnen als Zwangsarbeiter einst her, den Voodoo brachten sie mit. "Ich muss mit dem Max reden", dem Voodoo-Papst Max Beauvoir, ihrem Freund. "Das ist ein schwerer Schlag für die Voodooisten."

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In Bildern

Sie praktiziert nicht, aber kaum jemand kennt die afrikanische Naturreligion besser. Marianne Lehmann lernte das Phänomen kennen, als sie einen Haitianer heiratete und 1957 aus dem Berner Oberland in die Karibik zog. Kurz nach ihrer Ankunft gewann ein Arzt namens Francois Duvalier die Wahl und wandelte sich als Papa Doc zum blutrünstigen Diktator. Es waren die gruseligen Stunden der Komödianten, nachzulesen bei Graham Green. Dessen Roman spielt im Hotel Olofsson, wo bis zuletzt jeden Donnerstag Voodoo-Nacht war.

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Während des Regimes von Sohn und Nachfolger Baby Doc arbeitete die geschiedene Mutter von vier Kindern im Schweizer Konsulat. Eines Tages bot ein Händler Marianne Lehmann dort eine Version des dreihörnigen Papa Bossou an, einem Symbol der männlichen Fruchtbarkeit. Drei Jahrzehnte später hat sie ungefähr 3000 verschiedene Exemplare aus dem Universum Voodoo angehäuft, um sie vor dem Ausverkauf zu bewahren, vor dem Vergessen.

"Dieses Zeug mit Nadeln und Puppen"

Sie hat sich dafür verschuldet, "ich bin mausarm", Wohnung und Lager sind Rumpelkammern. Sie wünscht sich ein Museum in Port-au-Prince, aber vorläufig reisen 369 ihrer schönsten Stücke durch europäische Galerien. Genf, Amsterdam, Göteborg, bald werden sie in Bremen vorgeführt und ab 19. Mai im Ethnologischen Museum in Berlin, Titel: "Voodoo - Kunst und Kult aus Haiti".

Die Objekte aus Holz, Stoff, Ton, Stein wurden von Houngans entweiht, Priestern wie Max Beauvoir - bei einer Zeremonie war dessen Tochter dabei, erschlagen nun von Trümmern der Tragödie. Die Ausstellungen erzählen von den 401 Loas, den Gottheiten, und dem Gran Maître, dem Obersten, den Bizangos, Geheimgesellschaften. Vom Weg des Glaubens aus Afrika auf die Plantagen schwarzer Zwangsarbeiter in die Seele eines geknechteten Volkes. "Es gibt da so viele Vorurteile, immer dieses Zeug mit den Nadeln und den Puppen", klagt Madame Lehmann. "Dabei waren das die größten Freiheitskämpfer."

Ein Fahrstuhl zwischen den Welten

Seit 2003 ist Voodoo in Haiti Staatsreligion. Ein Sprichwort besagt, 70 Prozent der Landsleute seien Katholiken, 30 Prozent Protestanten und 100 Prozent Voodooisten. Auch die Rituale mit Trommeln, Tanz und Trance und abgetrenntem Hühnerkopf sind mehr als schwarze Magie, kaum ein Fremder wird die Mystik verstehen.

"Voodoo ist Tradition, Religion, Philosophie, Kosmologie", sagt Frau Lehmann. "Voodoo begleitet die Haitianer in ihren Überlebenskämpfen, Voodoo ist ein Fahrstuhl zwischen den Welten", über riesige Spiegel kommunizieren Priester mit dem Jenseits. Und wenn sie gefragt wird, wieso manche Figuren so grausig aussehen, dann antwortet sie: "Weil die Sklaven so grausam behandelt wurden. Das war die Hölle, ein Genozid."

Der christliche Brachialfundamentalist Pat Robertson schwadronierte nach dem Erdbeben von Haitis Fluch, der Strafe für den "Pakt mit dem Teufel". Marianne Lehmann hat Angst vor US-Freikirchen, die jetzt einfallen, aber sie glaubt, dass auch die Katastrophe den Voodoo stärkt. "Das Land ist fragil geworden", sagt sie, doch Marianne Lehmann vertraut auf den Stolz der Haitianer und ihre guten Geister. Und wenn es noch mal fürchterlich bebt, "dann fliehe ich hinten raus, über die Mauer", vorne wachen Boukman und Bossou.

© SZ vom 09.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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