Häftlinge in den USA:Recht und Gnade

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Kaum ein Land bestraft Kleinkriminelle so hart wie die USA. 1,6 Millionen Insassen verursachen nicht nur Kosten, sondern auch Imageverlust. Nun schürt ein Freispruch Hoffnung auf Änderung.

Reymer Klüver

Nachsicht gilt nicht als Stärke von Amerikas Richtern. Doch Jason Pepper hat Glück gehabt vor Gericht, nun gleich zweimal innerhalb von sieben Jahren und diesmal sogar vor dem Supreme Court, dem Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten. Sein doppelter Glücksgriff könnte sich als Rettung für viele Kleinkriminelle wie ihn erweisen, deren Leben bisher in den Mühlen der US-Justiz meist gnadenlos zerrieben wurde und die nun, nach dem Urteil des Supreme Court, künftig eine Chance mehr als bisher erhalten könnten.

1,6 Millionen Insassen - die Kosten für diese Armee der Gefangenen in den USA sind enorm, der Imageverlust ebenfalls. (Foto: AP)

Vor acht Jahren war Jason Pepper sehr weit unten. Drogenabhängig in Akron, einem öden Provinznest im Mittleren Westen der USA, sein Bruder war bei einem Autounfall ums Leben gekommen, seine Mutter ein Jahr zuvor an Krebs gestorben. Das FBI nahm ihn schließlich fest, weil Jason seine Methamphetamin-Sucht als Kleindealer zu finanzieren versuchte. Sein Weg schien vorgezeichnet: Amerikas knallharte Strafmaßbestimmungen sehen vor, dass selbst Kleinkriminelle wie Jason für Jahre in den Knast wandern, ohne Chance auf Resozialisierung und ein Leben in halbwegs geordneten Bahnen.

Doch Jason fand einen einsichtigen Richter. Der schickte den jungen Mann für nur zwei Jahre ins Gefängnis, verordnete ihm Entzug. Jason wurde zum Vorzeigehäftling. Nach seiner Entlassung besuchte er das Community College, eine Art Berufsschule, in Sioux City im US- Bundesstaat Iowa, fand nach einem Einserabschluss einen Job bei einem Großhandelsmarkt, heiratete, wurde Vater. Alles war gut. Nur nicht für den Staatsanwalt. Er fand, dass Jason Pepper zu gut davon gekommen war, ging in Berufung und bekam Recht: Vier Jahre nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis musste Pepper erneut in den Bau: Vier weitere Jahre wurden ihm aufgebrummt. Seine Anwälte legten ihrerseits Berufung ein, diesmal vor dem Supreme Court.

Peppers Zusatzstrafe war kein Zufall. In den USA sind seit 1987 sogenannte Sentencing Guidelines in Kraft, ein Strafmaß-Katalog, an den die Bundesrichter eigentlich gebunden sind. Es sollte - eine ehrenwerte Absicht - die Strafen in den USA vereinheitlichen, die bis dahin weitgehend vom Ermessen der Richter abhängig waren. Zudem waren die Guidelines eine Reaktion auf die damals um sich greifende Drogenepidemie in den USA. Deshalb sehen sie drakonische Strafen insbesondere für Drogendelikte vor. Doch dabei sollte es nicht bleiben. Weil viele Juristen es als ungerecht empfanden, dass kleine Drogendealer für Jahre weggeschlossen werden, viele Wirtschaftskriminelle aber mit einem blauen Auge davon kamen, wurden seither auch dort die Strafmaße erheblich verschärft. Mit einem Wort: Die neuen Guidelines führten nicht nur zu einer Vereinheitlichung der Strafen, sondern auch zu ihrer drakonischen Verschärfung.

743 von 100.000 sind weggesperrt

In keinem Land leben so viele Menschen hinter Gittern wie in den USA - eine direkte Folge dieser exzessiven Strafen. Nach Angaben des US-Justizministeriums sitzen mehr als 1,6 Millionen Verurteilte in den Haftanstalten des Bundes und der Bundesstaaten ein. Das sind dreimal so viele Menschen wie noch 1987, als die Strafrichtlinien eingeführt wurden. Die sozialen Kosten sind enorm: Jedes 28. Kind in den USA kann inzwischen mindestens ein Elternteil nur auf Besuch sehen - im Knast. Vor einem Vierteljahrhundert, also vor der Einführung der Richtlinien, war nur eines von 125 Kindern damit vertraut.

Das renommierte King's College in London hat die internationalen Strafvollzugs-Statistiken verglichen. Danach sind die USA auch da einsame Spitze: 743 von 100.000 Einwohnern sind weggesperrt. Abgeschlagen auf Platz zwei der Inhaftierungstabelle folgt Russland, wo 577 von 100.000 Menschen einsitzen. Es ist eine illustre Gruppe, die die USA anführen: Auf den ersten zehn Plätzen finden sich außer Russland nicht gerade mustergültige Rechtsstaaten wie Ruanda oder Georgien. Deutschland, nur zum Vergleich, liegt auf Platz 154 dieser Liste. 85 von 100.000 Menschen sitzen hier im Gefängnis.

Die Politik in den USA wagte sich nicht an eine grundsätzliche Korrektur: Die Demokraten wollten unter Präsident Bill Clinton in den 90er Jahren nicht lasch gegenüber Drogenkriminellen erscheinen. Im vergangenen Jahrzehnt rührte George W. Bush nicht an den Strafmaßen für Wirtschaftskriminelle, um sich nicht dem Verdacht zu großer Nachsicht für die Freunde der Republikaner in der Wirtschaft auszusetzen. So blieb es den Gerichten selbst überlassen einzugreifen. Vor vier Jahren lockerte der Oberste Gerichtshof schon einmal die Guidelines. Im Fall Pepper vs. United States entschied nun der Supreme Court, dass der Strafmaßkatalog zu starr ist und die Richter wieder etwas mehr Ermessensspielraum bekommen sollen.

So hätten sie Peppers Anstrengungen, von der Drogensucht loszukommen und ein normales Leben zu führen, bei seiner erneuten Verurteilung berücksichtigen müssen. "Common sense hat am Ende doch die Oberhand gewonnen", sagte Jason Pepper spürbar erleichtert nach dem Urteil. Er ist inzwischen wieder frei. Er hat sogar seinen alten Job wieder. Seine Ehe allerdings ist im Eimer.

© SZ vom 16.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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