Facebook-Verbot als Jugendstrafe:Erzieherisch kreativ, schwer zu kontrollieren

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Sexting - so heißt es, wenn erotische Bilder über Smartphones oder Internetforen verbreitet werden. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

In München hat ein 21-Jähriger Schülerinnen im Netz massiv bedroht und mit Nacktfotos erpresst. Eine Amtsrichterin meinte es gut und bestrafte den Täter mit Facebook-Entzug. Nur: Wie soll das kontrolliert werden?

Von Johannes Boie

Am Amtsgericht München gab es zu Beginn dieser Woche gleich zwei Mal Grund für Genugtuung. Eine Richterin sprach einen 21-Jährigen schuldig, weil er mehrere Schülerinnen massiv bedroht und Nacktfotos, die er zuvor von ihnen erpresst hatte, über Facebook verbreitet hat. Der Schuldspruch war richtig. Doch der junge Mann dürfte sich auch gefreut haben. Denn er muss nach dem Urteil der Richterin zwar je 1500 Euro Schmerzensgeld für seine Opfer auftreiben und zusätzlich 100 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten - aber er bekommt andererseits auch ein halbes Jahr in Freiheit Zeit, um sich als geläuterter Mensch zu präsentieren. Erst dann will das Gericht entscheiden, ob der Täter jene zwei Jahre, zu denen er verurteilt wurde, auch absitzen muss. "Vorbewährung" nennt man dieses Prinzip, das es nur im Jugendstrafrecht gibt.

Bis zur Entscheidung muss der Täter seine Accounts bei Facebook, Whatsapp und der Bilderseite Instagram gelöscht lassen. Diese Bedingungen wiederum bescherten dem Gericht bundesweit viel Zuspruch. Im Jugendstrafrecht geht es vor allem darum, den Verurteilten von künftigen Taten abzuhalten; es geht mehr um Erziehung als darum, die Allgemeinheit zu schützen. Und erziehen will die Richterin den 21-Jährigen offenbar mit ihrem Online-Verbot.

Entscheidung könnte andere Richter inspirieren

Bei dem vielen Lob für das Urteil ist es gut möglich, dass sich andere Richter ein Beispiel daran nehmen werden. Endlich eine Richterin, die das Netz so nimmt, wie es ist: Teil des Lebens, Teil der Strafe. "Gerade im Jugendstrafrecht vermisse ich, dass die Richter von solchen Möglichkeiten Gebrauch machen", sagt etwa Udo Vetter, Düsseldorfer Rechtsanwalt und Blogger, der sich seit Jahren mit den Schnittmengen von Justiz und Netzwelt befasst. Statt "stupide Arbeitsauflagen" zu erteilen, treffe das Urteil mit dem Netz den "zweiten Lebensraum" des Angeklagten. Allerdings, sagt Vetter, müsse das Gericht "aufpassen, dass das keine Auflagen sind, über die ein junger Mensch nur lacht. Das ist ein Grenzbereich."

In der Tat. "Bei der Überprüfung in einem halben Jahr achtet die Richterin auf die gesamte Entwicklung des Täters", erklärt Peter Henle. Der Münchner Anwalt ist Spezialist für Jugendstrafrecht. Es spiele nach der Vorbewährung eine große Rolle, ob sich der Verurteilte an die Auflagen gehalten hat. Wichtig sei aber auch, ob er sich sonst gebessert habe, etwa einen Job oder ein Ausbildung begonnen habe.

Wie aber soll die kreative Richterin wissen, ob sich der 21-Jährige tatsächlich von Facebook und den anderen Internetseiten ferngehalten hat? Er darf sowohl sein Handy als auch seinen Computer behalten.

Weil der Mann noch nach dem Jugendstrafrecht verurteilt wurde, ist die Richterin selbst die Vollstreckungsleiterin. Das bedeutet, dass sie auch selbst prüfen wird, ob sich der Täter an die von ihr verhängten Auflagen hält. Aus dem Amtsgericht heißt es, die Richterin werde wohl persönlich bei Facebook nachschauen, um zu prüfen, ob der Mann einen neuen Account angelegt hat. Zudem gingen Urteil und Auflagen aber auch an die Polizei - und somit in den Polizeicomputer. Werde der Täter zum Beispiel von Polizisten während einer Verkehrskontrolle geprüft, dann würden die Beamten auch gleich auf sein Handy schauen, um zu prüfen, ob da vielleicht die Facebook-App drauf installiert ist.

Facebook-Nutzung unter falschem Namen wäre möglich

Alles in bester Ordnung also? "Man kann diese Auflagen mit anderen Auflagen vergleichen", sagt Rechtsanwalt Henle: "Wenn es zum Beispiel darum geht, dass einer keinen Alkohol mehr trinken darf oder bestimmte Freunde nicht mehr treffen darf. Generell kann man dazu sagen: Es lässt sich eigentlich nicht überprüfen."

Im Digitalen dürften die Karten sogar noch deutlich schlechter liegen. Denn was ist, wenn sich ein Verurteilter einen neuen Account unter falschem Namen zulegt? Was, wenn er einfach auf andere Dienste umsteigt - statt Facebook Twitter oder Google Plus, statt Instagram Snapchat? Das dürfte bei einer Kontrolle kaum auffallen, schon gar nicht, wenn eine einzelne Richterin mal eben einen Namen in die Suchmaske von Facebook eingibt. Ein Täter mit entsprechender Sachkenntnis kann seine Profile in den Sozialen Netzwerken mit ein paar Mausklicks verschleiern. Und jemand wie der junge Mann aus München, der andere übers Netz erpresst, gedemütigt und gemobbt hat, dürfte zu so etwas technisch durchaus in der Lage sein.

Die Amtsrichterin ist nun also darauf angewiesen, dass sie es erfährt, wenn der Täter gegen ihre Auflagen verstößt. Aber selbst wenn aus dem Freundeskreis des Mannes entsprechende Hinweise kommen würden, wäre das zu wenig. "Ein Gerücht reicht natürlich nicht", sagt Henle, "das muss schon ein Beweis sein."

Ob es soweit kommt, ist übrigens offen. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung des 21-Jährigen können sich die Sache noch anders überlegen. Noch ist das Urteil des Amtsgerichts nicht rechtskräftig, Berufung ist möglich. Die Anklage hatte in diesem gravierenden Fall ursprünglich drei Jahre Haft gefordert, und wie immer bei Freiheitsstrafen von dieser Dauer - ohne Bewährung.

© SZ vom 26.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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