Berufung in Südafrika:Was Pistorius in einem neuen Prozess droht

Lesezeit: 3 min

Oscar Pistorius muss erneut bangen. (Foto: AFP)
  • Oscar Pistorius muss erneut bangen. Seine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung wird auf den Prüfstand gestellt - Hauptstreitpunkt ist die Anwendung des dolus eventualis.
  • Die Richterin ließ es allerdings nicht zu, auch das Strafmaß von fünf Jahren Haft neu zu verhandeln. Deswegen können Pistorius' Anwälte nun keine Freilassung auf Kaution bis zum Berufungsprozess beantragen.
  • Dennoch könnte dem beinamputierten Sprinter am Ende eine längere Gefängnisstrafe drohen.

Von Anna Fischhaber und Lena Jakat

Kaum ein Kriminalfall in der Geschichte Südafrikas hat für mehr Diskussionen gesorgt als der Tod von Reeva Steenkamp und der Mordprozess gegen Oscar Pistorius. Nun geht der juristische Streit in die nächste Instanz.

Warum wird der Fall wieder aufgerollt?

Ein Sportidol mit amputierten Beinen erschießt seine Freundin durch die Badezimmertür - angeblich weil er sie für einen Einbrecher hält. Oscar Pistorius wurde danach zwar wegen Mordes angeklagt, Richterin Thokozile Masipa sah die Beweislage jedoch als unzureichend an und sprach ihn nach 43 Verhandlungstagen wegen fahrlässiger Tötung schuldig. Er muss dafür fünf Jahre in Haft, ein Teil seiner Strafe könnte in Hausarrest umgewandelt werden. Dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft nun angefochten.

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Zur Begründung sagte Chefankläger Gerrie Nel, die Verurteilung des Paralympics-Sportlers wegen fahrlässiger Tötung sei "schockierend unangemessen". In Südafrika kann die Staatsanwaltschaft in Berufung gehen, wenn sie zur Überzeugung gelangt, dass das Gericht einen Rechtsgrundsatz falsch ausgelegt hat. Nach nationalem Recht entscheidet die Richterin selbst, ob sie eine Berufung gegen ihr eigenes Urteil zulässt. Dafür hat sich Richterin Masipa am Mittwoch entschieden. Allerdings wird der Prozess nur teilweise neu verhandelt.

Was wird geprüft?

Das oberste Berufungsgericht in Bloemfontein - vergleichbar etwa mit dem Bundesgerichtshof in Deutschland - muss nun prüfen, ob mit dem Urteil wegen fahrlässiger Tötung das Gesetz korrekt angewendet wurde. "Es geht also nicht um Verfahrensfehler, sondern um Rechtsfragen", sagt Heiko Braun zu SZ.de. Der Deutsche ist Rechtsanwalt in Johannesburg.

Die Richterin ließ es allerdings nicht zu, auch das Strafmaß von fünf Jahren Haft, zu dem der 28-Jährige vor sieben Wochen in Pretoria verurteilt wurde, neu zu verhandeln. Deswegen können Pistorius' Anwälte nun keine Freilassung auf Kaution bis zum Berufungsprozess beantragen. "Das heißt allerdings nicht, dass Pistorius nicht zu einer höheren Strafe verurteilt werden kann", so Braun (mehr dazu auf Seite 2).

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Was ist der Hauptstreitpunkt?

Der Staatsanwalt hatte vor allem kritisiert, dass die Richterin den dolus eventualis falsch angewandt habe. Anders als in Deutschland gibt es im südafrikanischem Recht nicht die Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag. Beides wird als "murder" bezeichnet. Allerdings wird dabei zwischen "premeditated (vorausgeplantem) murder" und "murder" unterschieden - also nach der Art des Vorsatzes.

Im Prozess gegen Oscar Pistorius war deshalb die zentrale Frage: Wollte der Athlet seine Freundin Steenkamp beziehungsweise einen mutmaßlichen Eindringling töten? Dass vor Gericht Pistorius die volle Absicht - und damit "premeditated murder" - nicht nachgewiesen werden konnte, überraschte kaum einen Prozessbeobachter. Viele waren jedoch davon ausgegangen, dass Richterin Masipa einen Eventualvorsatz - einen dolus eventualis - sehen würde.

Das bedeutet, dass sich jemand der etwaigen Todesfolge seiner Tat bewusst ist und sich mit ihr zumindest abgefunden hat. Im Fall von Oscar Pistorius also, dass er mehr als nur billigend in Kauf nahm, die Person in der Toilette zu töten, als er die Schüsse durch die Tür abgab. Motto seines Handelns wäre dann gewesen: Und wenn schon?

Die Richterin entschied jedoch, dass bei Pistorius kein Eventualvorsatz vorlag. Damit waren beide Formen von "murder" vom Tisch - und der Sportler wurde nur wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Viele Juristen reagierten überrascht. Auch Rechtsexperte Braun ist anderer Meinung als die Richterin: "Wer in einen engen Korridor auf Hüft- oder Brusthöhe schießt und weiß, dass sich hinter der Tür ein Mensch befindet, dem ist bewusst, dass der Tod eines Menschen nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich ist, und er nimmt zwangsläufig diesen Tod in Kauf."

Wie läuft die Berufung ab?

Theoretisch ist es möglich, dass Pistorius oder andere Zeugen nun noch einmal aussagen müssen - allerdings sei das sehr unwahrscheinlich, sagt Braun. Die Aussagen gibt es ja bereits. In der Regel sei es so, dass die Berufung nun zwischen dem Gericht in Bloemfontein, Verteidigung und Staatsanwaltschaft ablaufe.

Ihre Argumente hatten beide Seiten bereits am Dienstag vorgetragen: Ankläger Nel ist der Meinung, dass Pistorius nicht "blind" geschossen habe oder "verwirrt" gewesen sei. So gesehen, habe die Richterin den Begriff der "mildernden Umstände" zu großzügig ausgelegt. Der Sportler hatte dagegen stets beteuert, er habe einen Einbrecher im Haus vermutet. Sein Anwalt Barry Roux sagte nun, es dürfe keine Berufung geben, da der Fall juristisch korrekt verhandelt worden sei. Pistorius habe zwar geschossen, aber er "hatte nicht die Absicht, zu töten".

Der Sprecher der Anklage, Nathi Mncube, begrüßte am Mittwoch die Entscheidung der Richterin: "Das ist es, was wir wollten." Nun sei das Berufungsgericht am Zug. "Sie müssen uns ein Datum geben", sagte er. Dies könne bis zu einem Jahr dauern.

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​Obwohl die Richterin eine Berufung gegen das Strafmaß nicht zugelassen hat, gehen Experten wie Braun davon aus, dass eine härtere Strafe möglich ist. Nämlich dann, wenn das Berufungsgericht in Bloemfontein Rechtsfehler erkennt - und zu dem Schluss kommt, dass hier ein dolus eventualis vorliegt. Dann wäre eine Verurteilung wegen Mordes denkbar, und auch ein höheres Strafmaß möglich. Der Staatsanwalt hatte 15 Jahre gefordert.

Theoretisch könnte Pistorius nun auch frei gesprochen werden - Braun hält das allerdings für nicht denkbar.

(Mit Material der dpa)

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