Zugunsten des SZ-Adventskalenders:Der Müll, unser Schatz

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Der eine wirft eine Bronzeskulptur einfach weg, der andere ersteigert sie für 450 Euro. Mit ihrer Weihnachtsversteigerung wollen Münchens Abfall-Experten "die Jäger und Sammler ansprechen"

Von Franziska Gerlach

Ein spitzer Schrei fliegt durch die Halle, eine blonde Frau hastet nach vorne. Einmal quer durch die dicht gedrängten Münchner, die die Weihnachtsversteigerung in der Halle 2 verfolgen, dem Gebrauchtwarenkaufhaus des Abfallwirtschaftsbetriebs München (AWM) in Pasing. Manche haben ihr lässigstes Pokerface zur gezückten Geldbörse aufgesetzt, niemand soll merken, wie gern sie den Zuschlag erhalten hätten. Nur ein junger Herr macht keinen Hehl aus seiner Enttäuschung und blickt zerknirscht zu Boden. Denn ersteigert hat die hübsche Spieluhr mit Weihnachtsmann von Villeroy & Boch soeben Anke Hirt, eine bekennende Liebhaberin des deutschen Keramikherstellers, für 55 Euro. "Ich freue mich so", sagt sie. Ihre Augen leuchten, die Wangen auch. Sie ist noch immer aufgekratzt von dem ganzen Adrenalin, das ihr bei diesem wilden Bietergefecht durch die Adern geschossen ist. Vielleicht schenkt sie das gute Stück sich selbst, vielleicht legt sie es auch ihrer kleinen Tochter unter den Christbaum. Aber das Weihnachtsfest, das kann jetzt auf alle Fälle kommen.

Jeden Samstagvormittag saust in der Halle 2 der Hammer nieder, bei der traditionellen Weihnachtsversteigerung helfen die Kuriositätensammler aber sogar anderen, wenn sie eifrig die Hände heben. Wie schon im Jahr zuvor gehen die gesamten Einnahmen an den SZ-Adventskalender, diesmal konnten 2200 Euro übergeben werden. "Hier kann man sich selbst etwas Gutes tun, aber auch anderen Personen", sagt Helmut Schmidt, Zweiter Werkleiter des AWM. Dutzende Gegenstände kommen unter den Hammer, lauter Dinge, die Münchner auf den Wertstoffhöfen der AWM entsorgt haben. Seit die Halle 2 im Oktober von Untergiesing nach Pasing gezogen ist, würden aber auch viele Münchner ihre ausrangierten Sachen direkt dort abgeben, so Schmidt. Ein Vorteil, denn so gehe nichts kaputt.

Was für den einen Müll ist, ist für den anderen ein Kunstschatz. Und deshalb gibt es die Versteigerung: Das höchste Gebot erzielt mit 450 Euro eine Bronzeskulptur aus den Zwanzigerjahren, ein liegender Orang-Utan. Zwei Porzellantassen mit Golddekor finden einen Abnehmer, eine Modelleisenbahn, eine antike Kaffeemühle und eine Gruppe Steiff-Tiere ebenso, außerdem - ein echter Hingucker - ein limonengrünes Tandemrad. Da muss Martin Pickl einfach zuschlagen. 150 Euro ist ihm der schnittige Drahtesel mit den beiden Sitzen wert, den er vor einigen Tagen zufällig beim Stöbern in der Halle 2 entdeckt hatte. Nun ist es seiner. Zärtlich tätschelt er den Lenker. Der 56 Jahre alte Mann aus Karlsfeld bei Dachau hat sogar schon eine Begleitung im Auge für eine Spritztour. Allerdings sagt er: "Erst wird zu Hause geübt."

Eine ältere Dame mit grauen Locken hat derweil viel schwerer wiegende Sorgen. Sie hat sich in ein hellblaues Sofa verguckt, das aber steht nicht zur Versteigerung. Ob es denn, bitteschön, möglich sei, dieses ebenfalls unter den Hammer zu bringen, will sie von einem Mitarbeiter wissen. So einfach ist das aber nicht: Ein Gegenstand muss nämlich schon etwas Besonderes sein, damit Goran Djordjevic, Leiter der Halle 2, ihn auf die Liste setzt. "Wir versuchen, die Jäger und Sammler anzusprechen", sagt er. Antiquitäten und Designobjekte der Fünfziger- bis Siebzigerjahre seien sehr gefragt, aber auch neuwertige Smartphones und Laptops. Nach mehr als 500 Versteigerungen hat er ein recht verlässliches Gespür dafür entwickelt, was ankommt in München - und was nicht. Dass die Spieluhr und der Orang-Utan gut laufen, war ihm klar. Bei den Picasso-Drucken hätte er sich aber etwas mehr erhofft. "Die hätten gut das Doppelte bringen können."

Sandra Singh hat die Versteigerung leider nichts gebracht. Dabei war sie voller Hoffnung gewesen, hier endlich das zu finden, was sie schon seit August sucht: Ein Geschenk für ihre Freundin in Grönland, die ausgefallene Weihnachtsmänner aus der ganzen Welt sammelt. Bis zum Preis von 50 Euro hatte Singh um die Spieluhr mit dem Weihnachtsmann gekämpft, dann stieg sie aus. "Das tut schon weh", sagt die 26-Jährige. "Aber die Versandkosten nach Grönland sind so hoch."

© SZ vom 12.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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