Zenith:Eigentlich ein einziger Exzess

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Auf The Libertines hat München mehr als zehn Jahre lang warten müssen. Doch der Funke will zunächst nicht so recht überspringen.

Von Jürgen Moises

Sie sind es, sind es wirklich: Pete Doherty und Carl Barât, gemeinsam auf der Bühne der Zenith-Halle. John Hassall und Gary Powell, die man nicht vergessen sollte, sind auch mit dabei. Und mit "Barbarians" vom neuen Album "Anthems For Doomed Youth" geht das erste München-Konzert der Libertines seit über zehn Jahren schon einmal vielversprechend los. Guter Song, gut ausgewählt für einen Opener, und das Ganze auch noch um Punkt halb zehn. Nach dem Konzert der Vorband Reverend And The Makers musste man also nicht allzu lange warten. Respekt! Die neuen alten, zuverlässigen Libertines?

Vielversprechend für das München-Konzert der vier Engländer war auch schon das neue und wirklich gute, dritte Album, mit dem wohl so einige elf Jahre nach "The Libertines" nicht mehr gerechnet hatten. Und genauso vielversprechend war all das, was man von bisherigen Konzerten nach der überraschenden Wiedervereinigung vor ein paar Jahren gelesen hatte.

Vom Reunion-Konzert 2014 im Londoner Hyde Park: Fans, die schon nach den ersten Tönen dermaßen ausrasten, dass es Verletzte gibt. Vom deutschen Tournee-Auftakt in Berlin am Sonntagabend: Pete Doherty und Carl Barât, die sich in den Armen liegen, sich permanent angrinsen und gemeinsam immer wieder kleine Tänzchen wagen.

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Der Funke springt nicht so ganz über

All das erwartet man nach dem guten Auftakt mit "Bavarians" nun natürlich auch in der gut gefüllten, im Gegensatz zur Berliner Columbiahalle aber keineswegs ausverkauften Zenith-Halle in München. Aber: Irgendwie springt der Funke doch noch nicht so ganz über. Nicht ins Publikum, nicht zwischen Pete und Carl. Dabei geht es mit "Heart of the Matter" und "Horroshow" doch gut weiter.

Die schrammeligen Gitarrenriffs von Barât und Doherty, die sich bei den Gesangsparts relativ gleichberechtigt abwechseln, und die kräftigen, treibenden Schlagzeug-Beats von Gary Powell und John Hassalls Bassläufe, die dafür das solide Fundament bilden. All das ist doch da.

Dennoch: Erst nach einer guten halben Stunde, bei "Can't Stand Me Now", hat man das Gefühl, dass ein wirklicher Ruck durchs Publikum geht, der auch die hinteren Reihen erreicht. Die Leute tanzen ausgelassen. Jetzt könnte es eigentlich so weitergehen. Aber bald darauf stellt sich wieder dieses vage Gefühl von einer, nennen wir es mal: leicht angezogenen Handbremse ein. Oder ist das der Kater nach der Berliner Euphorie? Oder kommen einem, weil man all diese alten Geschichten von Pete Dohertys Drogenexzessen, von abgebrochenen Konzerten und so weiter noch im Kopf hat, nur permanent die eigenen Erwartungen dazwischen? Die einem sagen: Ein Konzert der Libertines, braucht das nicht mehr Exzess, mehr Energie, mehr Überraschungen, mehr Wahnsinn?

Ein Exzess an guten Melodien

Dabei ist das Konzert doch eigentlich ein einziger Exzess: Ein Exzess an guten Songs und Melodien. Es gibt Klassiker wie das großartige "The Man Who Would Be King" oder "What Katie Did". Es gibt schöne, melancholische Balladen wie "Your're My Waterloo", bei dem Pete Doherty seinen großen Auftritt mit der Akustik-Gitarre im Scheinwerferlicht hat, wozu ihn Carl Barât am Piano begleitet.

Bei Songs wie "Vertigo" wird wiederum kräftig losgerockt. Carl Barât trägt mit seiner schwarzen Lederjacke dazu die passende Kluft. Gary Powell sitzt oben ohne hinter dem Schlagzeug und trommelt sich den Schweiß aus einen Poren. Und Babyface Pete Doherty wird es auch irgendwann zu warm im schwarzen Jackett.

Vielleicht ist am Ende ja die wirklich große Überraschung, dass das alles eineinhalb Stunden lang bis zum wehmütigen Rausschmeißer "Don't Look Back Into The Sun" ohne größere Zwischenfälle so passiert. Ein paar kleine Patzer gibt es, manchmal dauert es ein bisschen, bis ein Song in Fahrt kommt oder sein Ende findet. "The Man Who Would Be King" wird gegen Ende von einem Solo von Pete Doherty regelrecht zerschossen, um sich dann in einer seltsamen Jazz-Spielerei zu verlieren. Absicht oder ein Betriebsunfall?

Es gehört jedenfalls genauso wie die kleineren Patzer zum Charme des Unperfekten, der die Musik der Libertines schon immer ausgemacht hat. Nur dass es nun offenbar nicht mehr wie früher die riesige Kluft zwischen Geniestreich und Katastrophe gibt, sondern eher zwischen richtig guten und nicht ganz so guten Konzerten. Das in München war eher die zweite Kategorie. Für einen Libertines-Fan, der zehn Jahre darauf warten musste, ist aber auch das noch eine ganze Menge.

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