Deichkind-Konzert in München:"Die Seele braucht Pausen"

Deichkind - Auftritt in Hamburg

Deichkind in Hamburg. Vor dem Konzert in München sagt der Texter: zu alt für blinkende Pyramidenhüte sind sie bestimmt nicht.

(Foto: dpa)

Deichkind-Konzerte sind wilde Partys und durchgedrehte Shows. Texter Sebastian "Porky" Dürre sagt: Sie sind auch harte Arbeit. Und angesichts globaler Krisen vielleicht so wichtig wie nie.

Interview von Marco Mach

Der Deichkind-Kosmos ist quietschbunt. Das Deichkind-Konzert: eine Mischung aus Gin und Gehirn, Chaos und Konzept. Ähnlich verrückt laufen Interviews mit den Hamburger Elektro-Hip-Hoppern ab. Eigentlich. Der Anruf zu Hause bei MC und Texter Sebastian "Porky" Dürre - kurz bevor Deichkind am Samstag erneut in München auftreten - gestaltet sich dagegen erstaunlich normal. Ruhig. Offen. Im Hintergrund: Kindergeschrei. So laut, dass Dürre den Raum wechseln muss.

Herr Dürre, das Getobe klingt so, als ob Sie ein stinknormales Leben führen...

Oja, für Deichkind-Verhältnisse ein ziemlich langweiliges. Wir sind Schauspielertypen, spielen Rollen, auch im Privaten. Mein Alltag? Zahnarzt, Milch holen, Steuererklärung, Stuhlgang.

Sie sind jetzt 38, Vater - nicht langsam zu alt, um mit blinkenden Pyramidenhüten und Riesenhirnen über die Bühne zu springen?

Mal fühlt man sich sehr alt, dann wieder jung. Das Skurrile ist: Je älter der Sack auf der Bühne, desto abstruser wird das Ganze. Wir haben aber immerhin keinen anstrengenden Job wie etwa ein Maurer, der noch mit 60 auf den Knien rumrutscht und Häuser hochzieht. Wir sind Popstars. Wir machen zwei Stunden Randale und Action auf der Bühne, bekommen vorher aber Massagen, nachher kühles Bier und Häppchen und fahren im klimatisierten Bus durch die Lande. Nach diesen drei stressigen Wochen jetzt auf Tour sind wir bis zu den Sommerfestivals zu Hause. Ich habe also viel Freizeit. Zeit für meine Kinder, das ist Luxus. Und verdiene so viel wie ein Oberarzt, der nie da ist.

Sie sagen, Sie sind Popstar. Eher Musiker oder eher Konzeptkünstler?

Beides. Von Beruf bin ich Performance-Reim-Show-Rapper. Wenn ich Texte schreibe, bin ich Autor. Aber dann sind wir auch Regisseure, Architekten, Handwerker, weil wir alles selbst entwerfen, bauen und machen. Vor allem Henning. (Henning Besser, DJ Phono, A.d.R.) Da sitzt jede Schraube. Auf die Omnipods, unsere fahrbaren Bühnentürme, hat er inzwischen das Patent. Musiker ist man eigentlich als Letztes.

Sind ausgelassene Partys angesichts der globalen Krisen überhaupt noch angemessen? Oder vielleicht sogar als Abwechslung nötig, um den Irrsinn zu ertragen?

Genau das frage ich mich derzeit. Auch Deichkind macht sich Sorgen um die Welt. Und irgendwie glaube ich: Die Seele braucht Pausen, Pausen vom Alltag. Marius Müller-Westernhagen bringt es auf den Punkt, wenn er singt: "Alle, die von Freiheit träumen, sollen das Feiern nicht versäumen. Sollen tanzen auch auf Gräbern." Oder ein Massai-Sprichwort besagt, dass ein kleines gutes Stück einer brennenden Welt immer übrig bleiben wird. So muss man es vielleicht sehen. Immer weitermachen. Das Leben selbst ist ja eigentlich fröhlich von Natur aus. Keiner wird als Radikaler geboren. Oder als Egoist.

Sie schaffen es wie kaum eine andere Band, sowohl vom Bauarbeiter als auch vom Feuilletonisten geliebt zu werden. Ist das nicht ein bisschen unheimlich?

Schon Wahnsinn, oder? Darüber denke ich gar nicht so richtig nach. Ich wundere mich aber immer noch, wie viele Leute bei uns so abgehen. In München besonders. Auch, wenn ich ins Publikum blicke und eine Oma neben einem Achtjährigen neben einem Punker und Hipster sehe. Und genauso wundere und freue ich mich über positive Kritiken, obwohl wir keinem gefallen wollen. Es ist schon witzig, was teils in unsere Texte reininterpretiert wird.

Zu viel? Wobei: Sie sind eben Philosophen im Proll-Gewand, bieten Gesellschaftskritik zum Abfeiern. Wie wichtig ist Ihnen die Aussage dahinter?

Uns ist eine klare Haltung wichtig. Eine Haltung, in der sich die Meinungen von jedem von uns wiederfinden. Da sind Zweifel, eine enorme Unruhe, die uns beim Schreiben treiben. Vielleicht spürt man das, dass bei uns wirklich was Lebendiges ist und nicht nur Reime aneinandergeknallt.

Liedzeilen wie "Leider geil" oder Like mich am Arsch" sind in die Alltagssprache übergegangen. Ein Traum für jeden Texter?

Auf jedem Album hat sich bisher ein Song verselbstständigt. Wenn du sogar über den Jahrmarkt läufst und Zuckerherzen mit "Leider geil" siehst, dann ist das cool. Abstrakt. Aber kein Traum. Vielmehr, wie gesagt, harte Arbeit. Schreiben ist für mich Hassliebe. Mein Gehirn rattert ständig. Manchmal wünsche ich mir, es abschalten und 18 Uhr Feierabend machen zu können, wie ein Gabelstaplerfahrer.

Wie schreiben Sie?

Jeder von uns sammelt einzelne Stichwörter, Zeitungsschnipsel. Daraus filtern wir dann Themen, entstehen Hauptsätze, Songs. Witzig: David Bowie hat genauso gearbeitet, habe ich mal auf einer Bowie-Ausstellung erfahren.

Bowie war genauso ein Verwandlungskünstler wie Sie?

Ja. Eine gewisse Ähnlichkeit ist schon da. Was uns übrigens noch verbindet, ist die harte Arbeit. Wir sind keine faulen Typen. Also schon faul, aber nicht in dem, was wir schaffen.

Auf Ihrer Internetseite kritisieren Sie Promis, die sich für ihre Hilfsprojekte feiern lassen.

Bei Galas wird mir schlecht. Deshalb haben wir schon viele Einladungen zu Benefizveranstaltungen abgesagt. Wir tun lieber was im Stillen. Wenn du helfen willst, dann halt die Schnauze und hilf! Und lass dich dafür nicht abfeiern. Das ist morbide und eklig. Natürlich kann man sich einbilden, dass man mit seinem Promigesicht Leute dazu bringt, was zu machen. Aber ehrlich gesagt: 99 Prozent davon gilt dem Einsammeln von Sympathiepunkten. Und dem Sich-Selber-Gefallen.

Das Deichkind-Konzert findet am Samstag, 6. Februar, im Zenith statt.

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