Wolfratshausen:Wissenschaftler besuchen Waldram

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Internationale Delegation lässt sich durch das ehemalige Lager Föhrenwald und das Badehaus führen.

Von Konstantin Kaip, Wolfratshausen

Sybille Krafft hat schon viele Gäste durch Waldram geführt, um ihnen die historischen Häuschen des ehemaligen Lagers Föhrenwald und das Badehaus zu zeigen, das sie mit dem Verein "Bürger fürs Badehaus Waldram-Föhrenwald" umbaut, um eine Begegnungsstätte mit Museum zu errichten. Die gut 20 Frauen und Männer, die Dienstagvormittag am Waldramer Kolpingplatz aus dem Bus steigen, sind jedoch etwas Besonderes. "Zum ersten Mal haben wir eine internationale wissenschaftliche Delegation hier in Föhrenwald", sagt sie zur Begrüßung.

Die Gäste sind für diesen Vormittag aus Dachau angereist, wo sie am Max-Mannheimer-Studienzentrum an einer Konferenz zum Thema "Displaced Persons" teilnehmen. So bezeichneten die Alliierten alle durch den Zweiten Weltkrieg heimatlos gewordenen Menschen, Zwangsarbeiter und auch befreite KZ-Häftlinge. Mit ihrer Geschichte setze man sich in Deutschland erst seit einigen Jahren auseinander, sagt Krafft. Andere Länder wie USA und Israel seien da weiter.

Vielen ihrer Gäste muss sie also eigentlich nichts über Föhrenwald erzählen, das größte und am längsten betriebene jüdische DP-Lager in der US-Zone. Eine Frau stellt sich als Mitarbeiterin der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel vor, Krafft begrüßt auch die Historikerin Atina Grossman aus New York, die unter anderem ein Werk über die Begegnung von Deutschen, Juden und Alliierten geschrieben hat.

Trotzdem reißt sie ganz kurz an, dass die Waldramer Häuser in der NS-Zeit für die Bediensteten der Munitionsfabriken entstanden sind, und Föhrenwald nach dem Krieg erst ein allgemeines, von Oktober 1945 bis Februar 1957 dann ein jüdisches DP-Lager war, bis schließlich eine katholische Stiftung die Häuser an kinderreiche, heimatvertriebene Familien verkaufte. Ganz Alt-Waldram sei faktisch "rekatholisiert" worden, sagt Krafft, was man auch an den Straßennamen sehe: Aus dem Independence-Place sei der Kolpingplatz geworden, sagt Krafft, zur Zeit der Nazis sei er die "Danziger Freiheit" gewesen.

Von dort aus folgt die Gruppe Sabine Henschelchen, die seit 1956 am Kolpingplatz wohnt. Sie zeigt die typischen kleinen Häuser in der Rupertstraße und berichtet von der Eisdiele, dem Kiosk, dem Friseur, dem Fleischer und dem lebendigen Geflügel, das es einst an der New York-Street gegeben hat. Kierra Crago-Schneider vom United State Holocaust Memorial Museum in Washington, die 2013 eine Dissertation zur späteren Geschichte der DP-Lager mit Schwerpunkt Föhrenwald verfasst hat, erzählt unterwegs, wie sie vor acht Jahren zum ersten Mal in Waldram war. Mit den katholischen Straßennamen und ohne den kleinsten Hinweis auf seine Historie sei ihr das Viertel, in dem während der zwölf Jahre als DP-Camp Zehntausende Juden gelebt hatten, "irgendwie surreal" vorgekommen, sagt sie. Am Kolleg St. Matthias zeigt Henschelchen, wo das Kino des Lagers war und wo die Hauptsynagoge, aus der die katholische Kirche und schließlich die Aula des Seminars wurde. Und sie erzählt von den zahlreichen ehemaligen "Föhrenwaldlern", die immer noch nach Waldram kommen. Die meisten seien damals Kinder gewesen und hätten Föhrenwald in sehr guter Erinnerung, weil sie dort endlich wieder unbeschwerte Tage ohne Angst verbringen konnten, berichtet Krafft.

Der Rundgang endet im Badehaus, das vom Verein komplett entkernt wurde. In den kommenden Wochen beginne der professionelle Umbau, sagt Krafft. Sie führt durch das Erdgeschoss, wo Tagungsraum, Bibliothek und die fünf Museumsräume zu den unterschiedlichen Epochen entstehen sollen. Dann geht es ins Obergeschoss, wo unter dem wieder frei gelegten Dach die persönlichen Schicksale und Lebensgeschichten Platz finden sollen und - in einem eigenen Raum - Michaela Meliáns Audio-Installation zum Lager Föhrenwald. Die Mikwe, das rituelle jüdische Tauchbad, das es einst im Keller gab, soll nicht rekonstruiert werden. "Wir werden eine künstlerische Lösung finden", verspricht Krafft. "Wann dürfen wir zurückkehren?", will Atina Grossmann wissen. Im Frühjahr 2017 solle mit dem Einrichten begonnen werden, erklärt Kraffts Stellvertreter Wolfgang Saal. "Eröffnung ist dann kurz vor Silvester."

© SZ vom 01.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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