Wolfratshausen:Vorhang auf für die Integration

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Die Grundlagen des brasilianischen Capoeira zeigte der englische Tanzchoreograf Alan Brooks den Mädchen und Jungen beim Workshop "Andere sind anders". (Foto: Manfred Neubauer)

In einem interkulturellen Theaterworkshop des Wolfratshauser Ferienprogramms sollen Jugendliche lernen, wie normal Anderssein ist

Von Claudia Koestler, Wolfratshausen

Was hat das Leben mit der Bühne zu tun? Erstaunlich viel. Das erfahren gerade 13 Kinder und Jugendliche, die in der Mehrzweckhalle Farchet an einem "interkulturellen Theaterworkshop" teilnehmen, den die Städte Wolfratshausen und Geretsried im Ferienprogramm anbieten. Zwei Wochen lang werden die Teilnehmer singen, tanzen, sich präsentieren, Ausdruck ohne Worte finden und vor allem miteinander etwas Großes gestalten. Denn das gemeinsame Ziel ist nicht nur eine selbsterarbeitete Theateraufführung. Vor allem geht es darum, Vorurteile und Hemmungen abzubauen gegenüber anderen und stattdessen Freundschaften zu schließen, über kulturelle oder nationale Grenzen hinweg. Deshalb trägt der Workshop auch den Titel "Andere sind anders".

Am ersten Tag sind sie noch mittendrin im Kennenlernen: 13 Kinder und Jugendliche stehen in Paarungen in der Turnhalle, ducken sich zu rhythmischer Musik in Zeitlupe, ergreifen die Hände des Gegenüber, stemmen sich langsam ineinander, gehen bis in die Knie, drehen sich langsam um die eigene Achse und finden wieder die Hände des anderen: eine Übung zu einem Tanz namens Capoeira. "Das waren kleine Schritte, könnt ihr noch mehr? Ja!", motiviert Alan Brooks, Tanzchoreograf aus Großbritannien, die Kinder und Jugendlichen. Brooks gehört zum Team um die Theaterpädagogin Eileen Schäfer, das den Workshop leitet. Unterstützt wird Schäfer neben Brooks auch noch von der Schauspielerin Judith Gorgass sowie dem Wolfratshauser Choreografen Dominik Halamek.

Fragt man Schäfer nach den Vorteilen des Theaterspiels für die Jugend, könnte sie von zig Beispielen berichten: von Jugendlichen, die trotz schwieriger Verhältnisse, trotz Schüchternheit oder trotz Migrationshintergrund Fuß fassen konnten - weil sie nicht zuletzt auf der Bühne gelernt haben, was in ihnen steckt und wie man sich selbstbewusst präsentiert. "Kunst ist nicht nur eine geeignete Brücke zwischen Menschen mit unterschiedlichen Begabungen. Es ist auch eine Brücke zueinander, um Vorurteile abzubauen und Freundschaften zu schließen", sagt Schäfer. Theaterarbeit heiße für sie, "dass keiner ohne den anderen kann", erklärt die Theaterpädagogin. Kinder müssten Vertrauen bilden und das Miteinander in den Fokus rücken - und somit ganz natürlich die Angst vor dem Unbekannten abbauen. "Letztlich geht es darum, zu zeigen, dass es hier gar nicht so viel anders ist als anderswo. Jeder hat mit jedem irgendetwas gemeinsam", sagt Schäfer.

An diesem ersten Tag des Workshops geht es für die Teilnehmer nach einer Bewegungseinheit, dem Warm-up, in medias res - zur Tanzeinheit. Brooks zeigt den Kindern und Jugendlichen die Grundlagen des Capoeira. Dies ist ein brasilianischer Tanz, "der während der Kolonialzeit von Sklaven als Ausdruck des Kampfes um die Freiheit entstand", erläutert Schäfer. In der Tat stehen die Bewegungen in diesem Tanz für Brooks auch symbolisch dafür, dass man immer wieder kämpfen muss im Leben: "Es geht um Druck und Gegendruck", sagt Schäfer.

Brooks ruft immer wieder neue Paarungen zusammen, die zu pulsierenden Rhythmen aneinandergeraten, sich wieder lösen, mit viel Beweglichkeit, Körperbeherrschung, Improvisation und Spontaneität und vor allem Spaß an der Bewegung. Für Eileen Schäfer ist der Effekt enorm. Denn die Kinder und Jugendlichen veränderten sich durch den Ausdruck in Tanz und auf der Bühne in kurzer Zeit zu selbstbewussteren jungen Menschen. "Theaterpädagogik ist geradezu ein ideales Mittel, weil sie ermöglicht, in einem geschützten Raum neue Verhaltensweisen auszutesten", sagt sie.

Die Präsenz sei für die Kinder und Jugendlichen die größte Hürde, außerdem die Aufgabe, Energie zu zeigen und fokussiert zu bleiben. "Das Kreative haben sie ganz natürlich in sich, das sind Kinder. Aber aufrecht zu sein, das ist wichtig, im Leben wie auf der Bühne, und das lernen sie hier im Spiel", weiß die Pädagogin. Körperlichkeit und darstellendes Spiel dienten als "Türöffner", um die eigene Präsenz zu stärken. "Und der einzige Unterschied, den wir hier im Workshop dazu machen, ist das Alter der Heranwachsenden, aber nicht die Hautfarbe und nicht die Herkunft", betont die Theaterpädagogin.

"War das ein verdammt guter Anfang?" ruft Brooks am Ende voller Verve und Enthusiasmus in die Gruppe. Fast so, als wolle er noch einmal zeigen, was es heißt, fokussiert zu sein. Und mit der Antwort bleibt er diesmal nicht alleine: "Ja!" rufen ihm die Kinder mindestens genauso enthusiastisch entgegen.

Das gemeinsam erarbeitete Theaterstück der Teilnehmer des interkulturellen Workshops, bei dem auch Elemente der geübten Tänze gezeigt werden, wird am Donnerstag, 10. September, in der Mehrzweckhalle Wolfratshausen-Farchet aufgeführt. Die Uhrzeit wird noch bekannt gegeben.

© SZ vom 04.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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