Wolfratshausen:Vergiss mich nicht

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Am Welt-Alzheimertag gehen auch in Wolfratshausen rund 60 Kranke, Angehörige und Pfleger auf die Straße

Von Reinhard Szyszka, Wolfratshausen

Es kann jeden treffen. Niemand kann sich sicher sein, nicht irgendwann einmal selbst an einer Demenz zu erkranken. Und eine Demenz ist für die Angehörigen und Pflegekräfte mindestens ebenso belastend wie für die Betroffenen selbst. Um daran zu erinnern, findet alljährlich am 21. September der Welt-Alzheimertag statt, in diesem Jahr unter dem Motto "Demenz - Vergiss mich nicht". Morbus Alzheimer ist ja nur eine von vielen Formen der Demenz, wenngleich die häufigste und weitaus bekannteste.

Auch in Wolfratshausen gab es am Montag eine Kundgebung zum Welt-Alzheimertag. Bei strahlend blauem Himmel hatten sich etwa 60 direkt oder indirekt Betroffene um 11 Uhr am Marienplatz versammelt: Kranke und Behinderte in Rollstühlen, Pfleger, Heim- und Pflegedienstleiter, Betreuer und Angehörige. Die beiden Wolfratshauser Seniorenheime, das AWO-Seniorenzentrum und der Seniorenwohnpark Isar-Loisach des ASB, waren ebenso vertreten wie die Kreisklinik und zahlreiche kleinere Einrichtungen. Im Sternmarsch, neudeutsch und anlassbezogen "Memory Walk" genannt, waren die Teilnehmer zum Marienplatz gekommen, und damit sich auch keiner verlief, waren die Wege mit roten Schleifchen an Zäunen und Laternenmasten markiert. Nicht ohne Hintergedanken: Wer ernstlich an einer Demenz erkrankt, braucht oft solche Hilfsmittel, um sich in der einstmals vertrauten Umgebung zurechtzufinden.

Dieter Käufer, der Leiter des Demenzzentrums am Paradiesweg, eröffnete die Kundgebung mit einigen Hinweisen zum Ablauf und übergab dann das Mikrofon an Bürgermeister Klaus Heilinglechner, der von seinen eigenen Erfahrungen berichtete. Nicht nur, dass er beim Memory-Spiel gegen seine Kinder regelmäßig als "zweiter Sieger" vom Platz geht: Auch ihm, Heilinglechner, passiert es immer wieder, dass er sich ins Nachbarzimmer begibt und dann fragt, was er eigentlich dort wollte. "Geht es schon los?", fragt er sich dann. Derlei Erfahrungen hat wohl jeder schon gemacht, gerade, wer sich als vielbeschäftigter Mensch auf mehrere Dinge zugleich konzentrieren muss. In den meisten Fällen sind solche kurzen Aussetzer auch völlig normal und harmlos; wenn es sich aber häuft, kann es ein erstes Anzeichen einer ernstlichen Erkrankung sein. Heilinglechner versäumte nicht, auf die indirekt Betroffenen einer Demenzkrankheit hinzuweisen: die pflegenden Angehörigen, die ehrenamtlichen und professionellen Kräfte in den Heimen und Krankenhäusern. Sie alle gehen oft bis an die Grenzen der Belastbarkeit, und auch sie sind bei dem Motto "Demenz - Vergiss mich nicht" mit gemeint.

Einige dieser indirekt Betroffenen kamen dann auch selbst zu Wort und verlasen einen bewegenden Text zum Thema "Wenn ich dement werde". Der unbekannte Verfasser spürt darin den Überlegungen nach, wie es wäre, wenn er selbst dement würde, und welche Konsequenzen das für seine Mitmenschen hätte. "Wenn ich dement werde, kann ich mich nicht erinnern, was ich gerne möchte. Dann musst Du lernen, es mir zu sagen." - "Wenn ich dement werde, bin ich zu beruhigen nicht mit Worten, sondern, indem Du ganz ruhig neben mir sitzt und meine Hand hältst." Wer jemals mit Demenzkranken zu tun hatte, der weiß aus eigener Erfahrung, wie treffend hier das Verhältnis zwischen dem Patienten und seiner Umwelt beschrieben ist.

Zum Abschluss der Kundgebung ließen die Teilnehmer bunte Luftballons in den Himmel steigen, jeder mit einem Kärtchen zum Welt-Alzheimertag versehen. Einige der Luftballons senkten sich nach wenigen Metern wieder zur Erde; die meisten aber entschwanden über das Kirchendach und waren schon bald nicht mehr zu auszumachen. Wo immer sie niedergehen, und wer immer sie findet: Vielleicht gibt das Kärtchen mit dem Motto "Demenz - Vergiss mich nicht" einen Anstoß, über das oft verdrängte Thema Demenz nachzudenken. Denn wie gesagt: Es kann jeden treffen.

© SZ vom 22.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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