Wolfratshausen:Unterricht auf Vertrauensbasis

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Eingespieltes Team: Mithilfe von Coach Anette Henrich lernt der 15-jährige Hagen für den Qualifizierenden Mittelschulabschluss. (Foto: Hartmut Pöstges)

Der 15-jährige Hagen bereitet sich mit Coach Anette Henrich vom Verein "Arbeit für Jugend" auf die Abschlussprüfung vor

Von Cornelius Zange, Wolfratshausen

Auf dem Tisch im Wohnzimmer liegen diverse Hefte verstreut, alle dienen der Vorbereitung auf die Prüfung. Während der 15-jährige Hagen drinnen pauken muss, hat es der Hund draußen besser, er kann nach Herzenslust durch den Garten streifen. Jeden Montagnachmittag trifft sich der Schüler mit Anette Henrich, die als Coach für den Verein "Arbeit für Jugend" tätig ist. Sie hilft ihm, sich auf den Qualifizierenden Mittelschulabschluss vorzubereiten.

Es ist noch nicht lange her, da hatte Hagen, der die neunte Klasse der Mittelschule Wolfratshausen besucht, in Englisch erhebliche Probleme. Inzwischen hat er sich von Note zu Note auf eine Zwei verbessert. Das wäre kaum möglich gewesen ohne Henrich, beide lernen zusammen seit Oktober vergangenen Jahres einmal wöchentlich für anderthalb Stunden. Seine Heimlehrerin ist Business Coach und Kommunikationstrainerin, sie engagiert sich seit diesem Schuljahr im Verein Arbeit für Jugend. "Beidseitiges Vertrauen ist mit das Wichtigste", sagt Henrich. Sie habe von Anfang an gemerkt, dass Hagen etwas lernen wollte. "Ich habe von Anfang an gemerkt, dass mir die Unterstützung hilft", sagt der 15-Jährige. So wurden beide schnell zu einem eingespielten Team.

Die Zahlen des Vereins sprechen für sich: Im vorigen Schuljahr wurden zehn Schülerinnen und 22 Schüler von Coaches begleitet. Von 21 Neuntklässlern erreichten 14 den Qualifizierenden Hauptschulabschluss und sieben den Mittelschulabschluss. 15 bekamen einen Ausbildungsplatz, drei besuchten eine weiterführende Schule, zwei die Berufsschule, ein Schüler wiederholte die neunte Klasse freiwillig. Nur einer brach das Coaching ab. Und elf der Schülerinnen und Schüler besuchten eine niedrigere Jahrgangsstufe.

Coaches würden dringend gesucht, betont Christiane von Beckerath vom Vorstand des Vereins. "Deutlich mehr Schüler wollen das Angebot wahrnehmen, als es Coaches gibt." Sie selbst unterstützt den Verein seit seiner Gründung 2005, seither hat sie selbst zehn Schüler begleitet. Ziel des Vereins, benachteiligte Schüler zum Schulabschluss und beim Übergang von der Schule zur Ausbildung zu unterstützen. Das Angebot richtet sich an Jugendliche, die einen Notendurchschnitt von 3,5 und schlechter haben. Derzeit gibt es 32 Coaches, die 34 Schüler von den Mittelschulen in Wolfratshausen, Waldram, Geretsried und Königsdorf betreuen. Wer ein solcher Trainer werden wolle, müsse kein Pädagoge sein, sagt von Beckerath. "Egal ob Mann oder Frau, wie alt oder welcher Beruf: Coach kann eigentlich jeder werden." Die Aufgaben der Betreuer umfassen Schule, Auftreten und Bewerbung, erklärt sie. Zusätzlich zu den Coaches, die sich ehrenamtlich meist nur um je einen Schüler kümmern, engagiert der Verein auch Nachhilfelehrer, die durch Spenden finanziert werden. Jeder brauche eine andere Art der Unterstützung, meint von Beckerath.

Bei Hagen geht es hauptsächlich um das Lernen. "Ich hatte nie Sorgen, dass er keinen Ausbildungsplatz bekommt", sagt Henrich. Denn er trete selbstbewusst auf und bekomme auch von seiner Mutter Hilfe bei seinen Bewerbungen. "Mir macht es nichts aus, bei Betrieben anzurufen und mich nach einer Ausbildungsstelle zu erkundigen", sagt der Schüler. Laut von Beckerath ist er damit eher die Ausnahme. Manchen müsse man erst einmal Dinge wie Pünktlichkeit beibringen.

Nach seinem Abschluss möchte Hagen Automechatroniker werden. Er hat sich auf mehrere Stellen beworben und wartet noch auf Antworten von Betrieben, am Montag hatte er vor seinem Treffen mit Henrich aber schon ein Vorstellungsgespräch. "Es lief gut", sagt er. Ende der Woche ist er zum Probearbeiten in einer Autowerkstatt in Egling eingeladen. Er wirkt hoch motiviert und scheint sich auf die Ausbildung zu freuen. "Ich will eine Arbeit zum Anfassen", sagt er.

Das Angebot des Coaching kann der 15-Jährige nur weiterempfehlen. Allerdings müsse man es als Schüler wollen, sagt er. "Sonst ist es unfair, jemandem den Platz wegzunehmen." Henrich sieht sich eher als Ratgeberin. "Es ist Hagens Sache. Ich gebe ihm Tipps, aber ob er macht, was ich ihm rate, bleibt ihm überlassen", sagt sie. Das sei eben Vertrauenssache.

© SZ vom 29.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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