Wolfratshausen:Der Mann, der die verschwundene Bratsche erschuf

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Schneller findet ein Musiker eine Frau als das passende Instrument, sagt Wolfgang Scharff. Aus seiner Werkstatt stammt die 16 000 Euro teure Bratsche, die ein Münchner Professor in der S-Bahn liegen ließ.

Von Felicitas Amler, Wolfratshausen

Ein Ölgemälde, das Richard Wagner zeigt, an der einen Wand, das stolze Haupt Arturo Toscaninis in Schwarz-Weiß mit einem Autograf des großen Dirigenten an der anderen Wand; dazwischen Geigen, Celli, Bratschen, Holz, Werkzeug und jede Menge Instrumentenkästen: Das ist das Atelier des Geigenbauers Wolfgang Scharff. Aus dieser Werkstatt am Untermarkt in der Wolfratshauser Altstadt stammt die Bratsche, die dem renommierten Musiker und Münchner Hochschulprofessor Hariolf Schlichtig vor Kurzem in der S-Bahn abhanden gekommen ist.

Noch am Abend des misslichen Verlustes rief Schlichtig bei Scharff an. Und seitdem hat sich die Nachricht in der Musikwelt herumgesprochen. Scharff selbst hat mit Hilfe von Kollegen dafür gesorgt, dass deutsche, österreichische und Schweizer Geigenbauer verständigt sind.

Und vermutlich über Schlichtigs Tournee-Partner, den Pianisten András Schiff, ist die Kunde bis ins London Symphony Orchestra gelangt und eine britische Zeitung hat darüber berichtet. Scharff weiß: "Schlichtig ist todunglücklich." Gleichzeitig ist er sicher: Das Instrument werde zurückkommen. Denn wer auch immer es teuer zu verkaufen suchte - der Wert wurde von der Polizei offiziell mit 16 000 Euro angegeben -, täte sich schwer, nicht damit aufzufallen.

Der 53-jährige Scharff hat seine Werkstatt in Wolfratshausen seit 1997. Vom Instrumentenbau hat er offenbar schon viel früher geträumt: "Ich saß mit vierzehn in der Schule und habe F-Löcher und Schnecken gemalt", sagt er und meint damit die wie ein kursives "f" geschwungenen Schalllöcher und die ebenso eleganten Abschlüsse der Instrumentenhälse.

Selbst die Grundierung hat Einfluss auf den Klang

Die Optik ist nicht das Entscheidende bei einem Instrument, aber unterschätzen sollte man ihren Effekt nicht. Scharffs Spezialität ist eine Grundierung, die seinen Geigen, Bratschen und Celli "so eine authentische Bühnenpräsenz" gibt. Ein Holzschutzmittel - mehr verrät er nicht, sonst mache das morgen jeder Chinese nach, sagt er scherzend. Durch dieses Mittel jedenfalls wirkten die Instrumente, "als werde das Holz von Grund her angefeuert".

Selbst auf den Klang habe es Einfluss, sagt Scharff, es dezimiere die Obertöne. "Denn eine Süße im Klang ist eigentlich eine Dezimierung im Klang." Alles Perfekte mache doch Angst, so sei es auch mit dem Klang. Er müsse leichte Fehler haben - so wie der Mensch auch. Für den Geigenbauer sei das eine Gratwanderung: Er wende sein Wissen, sein Können, seine Perfektion an, "und muss trotzdem eine Persönlichkeit ausleben".

Mit dieser Persönlichkeit hat Scharff es zu einer recht ansehnlichen Referenzen-Liste gebracht. Ingolf Turban lässt während eines Konzert schon mal sein Publikum wissen: Achtung, die Geige, die ich jetzt spiele, stammt von Wolfgang Scharff. Benjamin Rivinius spielt auf einer Bratsche vom Wolfratshauser Untermarkt 15. Und die international bekannte russische Cellistin Natalja Gutmann hat nach nur einer halben Stunde Ausprobierens ein Cello Marke Scharff gewählt: "Die bisher weltgrößte Entscheidung", sagt der Meister mit einem gewissen Unterton.

Je berühmter ein Künstler, umso offener ist er

Denn allzu oft erlebe er diesen Prozess ganz anders: "Bis so ein Musiker sein Instrument findet, da hat er schneller seine Frau gefunden." Und weniger heiter berichtet er von Szenen wie dieser: Da nehme ein Musiker ein Instrument mit, frage womöglich nach zweiwöchiger Probierphase, ob er es nicht noch bis zum wichtigen Vorspiel in soundsoviel Wochen behalten könne - und kaufe es am Ende doch nicht.

"Früher habe ich drei Instrumente rausgegeben und dann zwei verkauft; heute gehen fünf raus und ich bin froh, wenn ich eines verkaufe." Worauf er das zurückführt? "Die Persönlichkeit hat nachgelassen", das sei bei Musikern wie bei Politikern.

Allerdings sagt Scharff auch, je berühmter die Künstler seien, umso offener und legerer seien sie. Zu diesem Schluss kann man gut kommen, wenn man schon mit Anne-Sophie Mutter beim Essen war, nach einem Konzert mit Pinchas Zukerman parliert hat oder eine Widmung von Yehudi Menuhin sein eigen nennt.

© SZ vom 12.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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