"Woche der seelischen Gesundheit":Tabuzone Psyche

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Auch ein Weg, sich auszudrücken: Psychologin Karin Moser präsentiert das Gemälde der Kunsttherapie-Gruppe der "ReAL Isarwinkel". (Foto: Manfred Neubauer)

Von der Veranstaltung im Tölzer Kurhaus geht der Appell aus, Kranke nicht mehr zu stigmatisieren.

Von Alexandra Vecchiato, Bad Tölz

Psychisch gesund zu sein bedeutet, dass sich ein Mensch seelisch und geistig wohlfühlt. In diesem Idealzustand hat er keine Probleme, mit Belastungen und Stress fertig zu werden. Er ist leistungsfähig. Kurzum: Es gelingt ihm, im privaten Umfeld wie auch im Job seine Balance zu halten. Aber was ist, wenn diese Balance ins Wanken gerät? Wenn der Alltag zur Herausforderung wird? Darüber berichteten Betroffene am Montagabend im Tölzer Kurhaus. Bei dieser Veranstaltung der "Woche der seelischen Gesundheit" stand nicht die Erkrankung, sondern das Gesundwerden im Vordergrund.

Beeindruckend waren die Berichte der Mitglieder des "Montagsclubs", einer Gesprächsgruppe für seelische Gesundheit. Deren Gründerin Christel Hansing erzählte, sie selbst sei vor etwa 20 Jahren "total zerstört" gewesen. Ihr Mann hatte sie verlassen, die gemeinsamen Kinder zogen zu ihm, sie verlor ihre Freunde. Und heute freue sie sich, dass sie am Lebens sei. Sie sei ein zweites Mal mit ihrem Mann verheiratet, die Kinder sprächen mit ihr. Andere Betroffene berichteten über ihre Antriebslosigkeit, wenn selbst kleinste Handgriffe im Haushalt Überwindung kosteten oder von ihrer Körperbehinderung, die sie aber nicht aus dem Gleichgewicht brächte. Die Erkrankung habe viele Gesichter, sagte Christel Hansing abschließend. Bei jedem Treffen fragten sich die Teilnehmer, was psychische Gesundheit sei. Die Antwort: "Wenn der Mensch sein seelisches Gleichgewicht nicht verliert, dann ist er gesund."

Die Organisatoren hatten ein buntes Programm zusammengestellt. Der Chor ChorXang begeisterte unter der Leitung von Arnim Wittich nicht nur mit dem Robbie-Williams-Hit "Angel" die Anwesenden.

Kunsttherapie ist ebenfalls ein Weg, sein seelisches Gleichgewicht wiederzufinden. Das zeigte das Mosaik, das 27 Betroffene gestaltet hatten. Psychologin Karin Moser stellte es den Gästen vor: Themen wie Freundschaft, das Verhältnis zur Familie, das soziale Leben im Allgemeinen wie auch die Freizeitgestaltung nehmen darin Raum ein. Viel Applaus gab es auch für das Projekt der Band Herzschlag und des Fachbereichs Leben des Reha-Zentrums ReAL Isarwinkel. Etwa zwölf Frauen und Männer brachten nach Art der Percussion-Band Stomp Rhythmus pur in den Saal - und das mit bunten, fluoreszierenden Plastikbechern, sogenannten Cups.

Zu dem Abend hatte der Steuerungsverbund Psychische Gesundheit im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen eingeladen. Dessen Vorsitzender Arnold Torhorst betonte in seinem Grußwort, dass es psychisch Kranke in der Gesellschaft immer noch schwer hätten, sich zu offenbaren und zu ihrer Erkrankung zu stehen. Torhorst sprach von einer "gewachsenen Tabuzone". Man müsse den Betroffenen zugestehen, dass jeder sein eigenes Tempo habe, auf dem Weg wieder zu gesunden. Sprüche wie "Reiß dich zusammen" seien nicht hilfreich.

Der Tölzer Bürgermeister Josef Janker (CSU) sprach ebenfalls von einem "Tabuthema". Dabei sei es für die Allgemeinheit wichtig, wenn ihre Mitglieder gesunde Seelen hätten. Man müsse ohne Stigmatisierung über das Thema "Seelische Erkrankung" sprechen. Die Betroffenen müssten überzeugt werden, die vielfältigen Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen.

Bezirksrat Konrad Specker (FW) hatte einige Zahlen parat: 100 000 Personen durchliefen jährlich allein die Bezirkskrankenhäuser in Oberbayern mit psychischen Erkrankungen. "Das ist schon beachtlich", sagte er in seinem Grußwort. Psychische Erkrankungen stünden obendrein auf Platz zwei der Krankschreibungen in Deutschland. Diese Statistik müsse die Gesellschaft aufrütteln. "Woran kann das liegen?", fragte Bezirksrat Specker in die Menge. Es sei die Pflicht von jedem einzelnen, ob Verwandter, Bekannter oder Arbeitgeber, noch "viel genauer zuzuhören", um ein Abrutschen der Betroffenen zu verhindern.

© SZ vom 12.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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