Thomas-Mann-Jahr in Bad Tölz:Die Bilder im Kopf

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Der Tölzer Künstler Heinz Stoewer versucht, Thomas Manns homoerotische Neigungen in konkrete Darstellungen umzusetzen. Seine Ausstellung "(Un)mögliche Versuchungen" ist im Stadtmuseum zu sehen.

Von Petra Schneider, Bad Tölz

Als Thomas Mann im Jahr 1911 die Novelle "Der Tod in Venedig" schrieb, war Homosexualität ein Straftatbestand. Der ehrgeizige, damals 36-jährige Schriftsteller lebte seine homoerotischen Neigungen nicht aus, entschied sich für eine bürgerliche Existenz, für Ehe und Familie. Die weltberühmte Novelle nannte er später "eine sonderbare moralische Selbstzüchtigung durch ein Buch". Er versuchte des lebenslangen Konflikts Herr zu werden, indem er ihn intellektuell überhöhte. Viele Verweise auf die antike Mythologie, Nietzsche und dessen Lehre vom Apollinischen und Dionysischen Prinzip finden sich: Form, Ordnung, Vernunft gegen das Rauschhafte, Wilde und Triebhafte, dem der alternde Protagonist Gustav von Aschenbach schließlich verfällt. Der geachtete Schriftsteller wandelt sich, unter dem ironischen Blick seines Autors, zum würdelosen Gecken, der dem Objekt seiner Begierde, dem schönen Knaben Tadzio, durch die verschwiegenen Gassen Venedigs folgt. Aschenbach verliert Kontrolle und Orientierung und stirbt nach dem Genuss "überreifer Erdbeeren", merkwürdig erleichtert, an der Cholera.

Heinz Stoewer hat Thomas Mann porträtiert. (Foto: Manfred Neubauer)

Mehrmals hat der Künstler Heinz Stoewer die Novelle gelesen und versucht, sich in die Gedankenwelt Thomas Manns einzuleben. Die Bilder in dessen Kopf, das unerfüllte Begehren, wollte Stoewer in konkrete Bilder übersetzen. Sie sind von Samstag an unter dem Titel "(Un)mögliche Versuchungen" im Rahmen des Tölzer Thomas-Mann-Jahres im Stadtmuseum zu sehen.

Die Fotocollage "Two sides" macht das Thema der Ausstellung dezent augenfällig: Man muss genau hinsehen, damit man in der Überblendung die einander küssenden jungen Männer erkennt, die hinter einem Mann-Portrait aufscheinen. Die Ölbilder sprechen eine klare Sprache: sinnliche, fast fotorealistische Abbildungen männlicher Körper, manche in provozierenden Posen, wie das großformatige "Guy with a yellow shirt". Das, was Mann sublimiert und in seinem Werk intellektuell überhöht habe, "das breche ich auf die reale Ebene herunter", sagt Stoewer. Dass diese konkrete Körperlichkeit bei eingefleischten Mann-Fans Verstörung auslösen könnte, hält Stoewer für möglich. Denn viele hätten ein fest gefügtes Bild des Schriftstellers, an dem er auch gar nicht kratzen wolle. "Ich will den Betrachter auf eine Reise schicken."

Heinz Stoewer zeigt - wie auf dem Swimmingpool-Bild - perfekte männliche Körper. (Foto: Manfred Neubauer)

Stoewer ist in Frankfurt geboren, hat Jura studiert und in Stuttgart als Bankmanager gearbeitet. Im Jahr 1998 ist er ausgestiegen, um sich auf die Malerei zu konzentrieren; er studierte an der Kunstakademie in Esslingen und besuchte diverse Seminare, unter anderem bei Norbert Bisky. Vor fünf Jahren ist er nach Lenggries gezogen, seit zwei Jahren wohnt er in Bad Tölz. Venedig kommt in seinen Bildern nicht vor, nur einmal setzt er eine Szenerie aus der Novelle um: Das "Grand Hotel des Bains" am Lido, die Badehäuser mit den jungen Männern, die von einer modernen Aschenbach-Figur mit Strohhut, Anzug und Sonnenbrille beobachtet werden. Der historische, literarische Ort und die Protagonisten sind ins Heute transportiert, Homosexualität ist ein zeitloses Thema. Längst nicht das einzige, das in der Novelle auftauche: Alter und Jugend, "die besondere Faszination, die die Jugend für einen Älteren bekommt", sagt Stoewer, der selbst nichts über sein Alter verraten mag. Diese Faszination hat er im Bild "Tadzio II - Freedom" ausgedrückt. Anders als in der literarischen Vorlage ist der junge Pole kein zarter, kränklicher Knabe, sondern ein vitaler Balletttänzer, der Freisein und Losgelöstheit ausstrahlt.

Die Überblendung zeigt Thomas Mann als Porträt und das, was der Schriftsteller nur im Kopf ausgelebt hat. (Foto: Veranstalter/oh)

Die Körper, die Stoewer malt, wirken perfekt. So, wie sie "uns in einer medialen Bilderflut überschwemmen". Wie verändert dieser Hype um die Schönheit unsere Vorstellungen von Körperlichkeit? Auch diese Frage will Stoewer mit seinen Bildern anregen. In der Installation "one hundread years of life and death" schlägt er eine Brücke - zu Thomas Mann und generell zur Situation Homosexueller im vergangenen Jahrhundert: Auf Tafeln hängen Denkanstöße: "2017: Todesstrafe noch in sieben Ländern in Afrika und Asien", steht auf einem. "Remembering the friends we lost" rekurriert auf die Aids-Epidemie in den Achtzigerjahren. "Hätte T.M. das KZ überlebt?", heißt es auf einem Holzbrett. Die Situation habe sich natürlich verbessert, sagt Stoewer. Aber immer noch sei die Suizidrate homosexueller Jugendlicher deutlich erhöht. Der Paragraf 175, der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte, galt bis zum Jahr 1994; erst vor drei Monaten hat der Bundestag beschlossen, damalige Urteile aufzuheben und finanzielle Entschädigungen möglich zu machen. Auch diese Aspekte will die Ausstellung ins Bewusstsein bringen. Und das Bild des großen Schriftstellers und Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann um seine menschliche Seiten ergänzen.

Vernissage im Tölzer Stadtmuseum, Samstag, 16. September, 19 Uhr; die Ausstellung ist bis 3. Oktober zu sehen, geöffnet Dienstag bis Sonntag, 10 bis 17 Uhr

© SZ vom 15.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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