Kandidat für den Tassilo 2018:Ganz entspannt eingespannt

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Christoph Heuberger an der Orgel der Stadtpfarrkirche Bad Tölz. (Foto: Manfred Neubauer)

Christoph Heuberger ist als Organist, Dirigent, Pädagoge und Musiktherapeut fast immer im Einsatz.

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Freizeitstress ist Christoph Heuberger fremd. Das liegt ganz einfach daran, dass er als Kirchenmusiker der Pfarrgemeinde Maria Himmelfahrt kaum einmal freie Zeit hat. Jedenfalls nicht am Stück, wie er sagt: "Es gibt eigentlich keine Wochenenden, ganze Feiertage fallen weg." Auch an manchen Abenden sieht man ihn vom Schulgraben aus im erleuchteten Pfarrheim stehen, in einer Partitur blättern oder dirigieren, mitten in einer Probe, mit Kindern, mit Jugendlichen, mit Erwachsenen. So ist das Berufsleben nun einmal, wenn man Organist, Dirigent, Pädagoge und Musiktherapeut ist. Davon haben allerdings nicht bloß die Kirchgänger etwas. Ganz Bad Tölz profitiert von den stets niveauvollen, bisweilen herausragenden Konzerten, die Heuberger organisiert und leitet. So viele sind es inzwischen, dass der Notenschrank daheim kaum noch aufnahmefähig ist. "Darin hat sich was angesammelt in 30 Jahren", sagt der 59-Jährige.

Als er 1989 nach Tölz kam, hatte der gebürtige Würzburger ein Studium der Kirchenmusik und der Musikpädagogik an der Fachakademie Regensburg und am Mozarteum Salzburg hinter sich. Das Dirigieren lernte er in der Klasse von Michael Gielen, dem Anti-Romantiker, dem ganz und gar Intellektuellen unter den berühmten Dirigenten. Für Heuberger war dies eine Umstellung. Als Kirchenmusiker sei er aus einem behüteten Raum gekommen, erzählt er. Unter Gielen musste er jedes zu dirigierende Stück vor der Gruppe erst analysieren, sich vorher die Interpretation genauestens überlegen, um nicht einem Gefühlsschwulst anheimzufallen. Dieses Rüstzeug ist geblieben. Noch immer, sagt Heuberger, hege er großen Respekt für Gielen. Der Unterricht bei ihm habe auch später Einfluss auf ihn ausgeübt.

Nach einer ersten Station als Kirchenmusiker in Bad Reichenhall begann er in Tölz, sich ein umfangreiches Repertoire zu erarbeiten. "Ich bin nicht so spezialisiert", sagt er. "Mich interessiert wirklich die große Bandbreite von der Gregorianik bis zur zeitgenössischen Musik." Aber auch er hat Lieblingskomponisten. Seit er zwölf Jahre alt war, liebt er die Werke von Johann Sebastian Bach, später kam noch Heinrich Schütz hinzu. 2014 führte er mit dem Kammerchor der Pfarrgemeinde Maria Himmelfahrt zu dessen 20-jährigem Bestehen die gesamte geistliche Chormusik von Schütz auf. Sie umfasst 28 Motetten. "Das war eine Sache, auf die ich wirklich stolz bin", sagt er. Hingezogen fühlt er sich auch zur Wiener Klassik mit Mozart und Haydn, ebenso zur Moderne.

Das künstlerische Wirken ist nur ein Aspekt in der Arbeit eines Kirchenmusikers. Er ist auch pädagogisch und therapeutisch tätig. Nicht weniger als fünf Ensembles betreut er in der Pfarrgemeinde: den Kirchenchor mit etwa 35 Sängerinnen und Sängern, den Kammerchor mit circa 20, den Jugendchor und den Kinderchor mit ebenfalls je 20 Mitgliedern, dazu die Choralschola mit zehn Sängern. "Wenn man all diese Ensembles am Leben erhalten will, muss man schon ein wenig beseelt sein", sagt er. Denn die Menschen fühlten ungemein schnell, wenn man sich nicht sonderlich für sie interessiere. "Das ist nicht immer einfach." Schließlich könne es zu einem Durchhänger kommen, wenn etwas nicht so funktioniere. Das Gute für ihn ist dann die Vielzahl der Chöre: "Man macht momentan eben das, was funktioniert, das andere ein bisschen weniger."

Andernorts müssen Kirchenmusiker in der Chorarbeit starke Abstriche machen, weil nur wenige Frauen und Männer überhaupt zu den Proben kommen, nicht alle auch ein Talent zum Singen mitbringen. Damit hatte Heuberger in Tölz nie ein Problem. "Es gibt viele Ehemalige vom Knabenchor." Die legten dann schon ein Niveau fest, an dem man sich orientieren könne. Dieses Jahr leitet Heuberger ein Passionskonzert mit Werken von Bach und Schütz und ein klassisches Konzert mit Kompositionen von Mozart und Haydn. Die "Mass of the Children" von John Rutter soll mit der Musikschule und dem Gymnasium aufgeführt werden.

Trotz der guten Bedingungen in der katholischen Pfarrgemeinde gab es für Heuberger einen Moment, an dem er stark ins Grübeln geriet und beruflich um ein Haar in eine andere Richtung gegangen wäre. Das war nach dem Studium der Musiktherapie, das er mit Ende 40 in Augsburg begonnen hatte. "Da haben sich mir andere Welten eröffnet", sagt er. In die Psychoanalyse hängte er sich richtig hinein. Unter anderem therapierte er sich selbst, 100 Stunden in der Gruppe, 150 einzeln, wie es das Studium erforderte. Daraus habe er gelernt, dass es dem Musiker nicht darum gehen sollte, sich selbst zu präsentieren, sagt er. Wichtiger sei, dass sich die Zuhörer gut fühlten. "Was brauchen Leute, die zu einem Requiem kommen, weil jemand jung gestorben ist?" Im Umgang mit einem Chor müsse ein Einklang geschaffen werden zwischen dem, was man selbst, und dem, was die Mitglieder leisten können. Dabei müssten sich alle gut fühlen, "sonst kann keine gute Musik entstehen".

Fast hätte Heuberger seine Stelle in der Pfarrgemeinde aufgegeben, ein Haus gekauft und eine Therapie-Praxis eingerichtet. Aber das war ihm finanziell doch zu unsicher. Schließlich hat er eine Familie, eine richtige Profimusikerfamilie. Seine Frau ist Pianistin, seine ältere Tochter auch, seine jüngere ist Geigerin. Und weil seine Frau aus Tokyo stammt, fliegt Christoph Heuberger im Urlaub häufig nach Japan. Vier Wochen lang könne er dort fern von allem völlig ausspannen, sagt er. Ganz ohne Freizeitstress

© SZ vom 24.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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