SZ-Adventskalender:200 Euro zum Leben

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Wolfgang B. kann sich von seiner Rente nichts leisten

Von Claudia Koestler, Bad Tölz-Wolfratshausen

Das Sprechen fällt Wolfgang B. (Name geändert) hörbar schwer. Um jedes Wort muss der Rentner kämpfen, nach jedem zweiten, dritten muss er wieder Luft holen. Ein Geschwür auf der Zunge ist die Ursache, dass er kaum noch Sprechen kann und nur in wenigen Worten ausdrücken muss, was ihn derzeit so sehr belastet. Doch seine beiden Katzen sind an seiner Seite: Mohrli und Mausi schnurren laut, streichen um seine Beine und schauen ihn dabei intensiv an, ganz so, als wollten sie ihn motivieren, nicht aufzugeben.

Der heute Ende 60-Jährige Wolfgang B. erkrankte in jungen Jahren an Kinderlähmung. Aufgrund dessen verkrüppelte eines seiner Beine. Weil die Ärzte zur damaligen Zeit keine Möglichkeit sahen, das Bein zu erhalten, rieten sie zur Amputation - und weil Wolfgang B. zu dem Zeitpunkt zwar schon 17 Jahre alt war, aber eben noch nicht volljährig, entschied sein Vater für ihn. Die Ärzte nahmen ihm das Bein ab. "Aber ich wollte das eigentlich nicht", sagt er. Fortan ist der Mann Prothesenträger.

"Anders sein, das wollte ich aber auch nicht", erinnert er sich. Und so versucht er mit viel Willenskraft und Pragmatismus, sich von der Prothese nicht einschränken zu lassen. Nach der Schule absolvierte er eine Lehre und wurde schließlich Straßenarbeiter. Auch wenn der Beruf nicht immer leicht war, er bei Wind und Wetter draußen arbeiten musste, Asphaltflächen bei größter Sommerhitze aufzutragen waren oder Schäden auch im Winter repariert werden mussten: Fleißig sei er gewesen, die Aufgaben stets zuverlässig und auch gerne erledigt, betont er.

Doch Fleiß und jahrzehntelange harte Arbeit trotz der Behinderung, das reichte alles nicht - zumindest nicht für eine Rente, die ihn nun den Lebensabend sorgenfrei genießen lässt. Denn obwohl Wolfgang B. nur in einem winzigen, spartanischen Einzimmer-Apartment lebt, kein Auto hat und auf vieles andere verzichtet, bleiben ihm nach Abzug der Miete gerade einmal knappe 200 Euro im Monat zum Leben. Im vergangenen Winter hatte er deshalb ganz auf seine Heizung verzichtet, um ein bisschen was zu sparen. Weil er Sozialleistungen empfängt, wurde die Rückzahlung der Heizkosten einbehalten. "Das hat mich sehr traurig gemacht, ich wusste es nicht, dass ich so nicht sparen kann", sagt er.

Für seine geliebten Katzen, die er seit dem Tod seiner Lebensgefährtin bei sich aufgenommen hat, gibt er jeden Monat die ersten Euros seiner Rente aus. Erst wenn sie versorgt sind, kauft er mit dem Rest die Lebensmittel für sich. "Ihnen soll es gut gehen. Sie können ja nichts dafür, dass ich arm bin", sagte er. Für einen neuen Kühlschrank, der dringen notwendig ist, nachdem der alte in der kleinen Küchenzeile kaputt gegangen ist, reicht seine Rente allerdings nicht - und auch nicht für ein paar neue Winterschuhe. Denn weil er eben nicht nur Prothesenträger ist, sondern auch noch alles zu Fuß erledigen muss, braucht er öfters als andere gutes, passendes Schuhwerk. "Hier ein bisschen Hilfe", sagt er, hält inne, holt Luft und fügt dann an: "Das wäre wirklich wie Weihnachten und Ostern zusammen". Und die Katzen schnurren dazu.

© SZ vom 27.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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