Stück mit Längen:Typisch Familie

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Immer diese Mischpoke: Anna März als Hannah und Dirk Bender als Mr. Green. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Junges Schauspiel-Ensemble München mit "Mischpoke" in Wolfratshausen

Von Christa Gebhardt, Wolfratshausen

Wer je mit einem über 90-Jährigen Zeit verbracht hat, kann an Mr. Green bestätigt finden, welche Kalamitäten hohes Alter bereiten kann. Dirk Bender spielt den amerikanischen Juden von der Upper West Side in Manhattan in seiner verlotterten wie trotzigen Greisenhaftigkeit. Das Junge Schauspiel-Ensemble München gab das Stück "Mischpoke" von Jeff Baron am Freitag in der städtischen Reihe "Theater pur" in der Loisachhalle.

In der ersten Szene wird deutlich, dass einem alten Mann, der ein liberales amerikanisch-jüdisches Leben gelebt hat, nicht mit religiösen Vorschriften wie koscherem Essen geholfen ist, sondern mit liebevoller Unterstützung. Die bekommt Mr. Green von Ross, einem jungen jüdischen Homosexuellen, der für den Alten sorgt. Ross Gardiner, überzeugend gespielt von Joachim Aßfalg, entfaltet mit Empathie für den ruppigen Mr. Green alle Basis-Talente, die eine Mutter haben sollte: Er kümmert sich um gutes Essen, hält die Wohnung sauber und überwacht die Körperpflege. Ob er Mutterpflichten für ein Kind "jeden Tag und jede Nacht" durchhalten könnte, bezweifelt er, denn welche Verantwortung es bedeutet, ein Kind zu adoptieren und großzuziehen, ist ihm wohl bewusst. Mr. Green, der eine ungewöhnliche Schwulenfamilie mit Kind besser finden würde, als allein im Altenheim zu sitzen, unterstützt die Pläne für eine Adoption, hat aber die Rechnung ohne seine Enkelin Hannah gemacht.

Hannah ist eine Intellektuelle, die in Harvard studiert hat und dort als zunächst nicht praktizierende Jüdin die Freuden eines ultraorthodoxen Lebenswandels kennen und lieben gelernt hat. So erklärt sie das dem Großvater, den sie mit Übereifer und Dogmatismus zu missionieren sucht. Mr. Green lässt es sich eine Weile gefallen, Kippa zu tragen und koscheren Challa zu essen. Während mit dem Kinderwunsch des schwulen Paares ein heute eher nicht mehr so brisantes Thema angeschnitten wird, zeigt sich in der Beziehung zwischen Großvater und Enkelin ein familiendynamisches, wie es zu jeder Zeit aufkommen könnte. Großeltern, Eltern, Kinder und Enkel interpretieren in die Familiengemeinschaft jeweils ihre eigenen Wahrnehmung und glauben, die eigene Weltsicht würde im anderen gespiegelt. Dass es sich um Projektion handelt, erkennt Mr. Green früher als seine verbohrte Enkelin. Als Hannah, die nur ihre Einsamkeit mit den rigiden Riten der orthodoxen Gemeinschaft zu kaschieren suchte, gegen das homosexuelle Paar und gegen Schwulsein generell zu hetzen beginnt, kommt es zum Eklat.

Konflikte können gelöst werden, wenn man das Herz auf dem rechten Fleck hat, wie der katholisch erzogene Chris, der kein Problem damit hat, ein Kind nach jüdischen, aber liberalen Riten aufzuziehen. Ein anderer Lösungsansatz ist Pragmatismus: Hannah beginnt dies zu ahnen, als ihr der Großvater erklärt, er trage die Kippa nicht mehr, weil sie ihn am Kopf kratze. Nach einiger Zeit mit Opa und dem schwulen Paar erkennt sie langsam, dass man Familie mit Toleranz leben muss, wenn sie funktionieren soll.

Dirk Bender (Mr. Green) und Joachim Aßfalg (Ross) präsentieren sich schauspielerisch als überzeugendes Team mit darstellerischen Facetten, während Ruben Hagspiel zwar engagiert den lustigen Chris gibt, dabei aber zuweilen übertreibt. Anna März als Hannah kann den Gesinnungswandel von der klischeehaft Ultraorthodoxen zum einsichtigen Familienmitglied nicht recht plausibel machen. Eine Kürzung hätte dem Stück wohl gut getan, das durchaus spritzige Dialoge und jüdischen Witz aufweist. Das hübsche klare Bühnenbild von Aylin Kaip, das meist die Wohnküche zeigt, bietet bei der Länge des Stücks kaum Abwechslung, sodass sich mancher Theaterbesucher in der Pause überlegt, ob er bis zum Ende in der nur halb gefüllten Loisachhalle durchhält. Daher bleibt der Applaus am Schluss auch recht verhalten.

© SZ vom 16.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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